Heute schon Agilität simuliert?

Funktioniert der Beamer in der Besprechung nicht, ist das ein Test, wie agil das Team ist. Vergisst jemand eine wesentliche Abstimmung in einem großen Projekt, ist das normal, weil agil. Funktioniert das mit der Digitalisierung nicht, war man nicht agil genug.

Niemand kann es sich heute noch leisten, als "nicht agil" zu gelten. Agilität hat sich durchgesetzt. Alles, was passiert, ist heute irgendwie agil und geht dadurch besser, schneller, leichter.

Die Realität sieht anders aus und beweist eindrucksvoll: Agilität wird meist nur simuliert und bleibt weit hinter der eigentlichen Idee zurück.

Flexibilität vs. Agilität

Dass das Meeting trotz des kaputten Beamers stattfindet, hat nichts mit Agilität zu tun, sondern ist Ergebnis von Flexibilität. Denn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat niemand den Beamer absichtlich kaputt gemacht, um dem Team eine neue Arbeitsweise zu ermöglichen. Rein reaktives Handeln auf eine sich plötzlich ändernde Situation ist nicht agil.

Agilität ist vielmehr die proaktive Anpassung, um Veränderungen zu ermöglichen.

Und es bedeutet die grundsätzliche Bereitschaft, bei sich ändernden Rahmenbedingungen von Plänen abzuweichen. Organisationen sind daher gut beraten, darauf zu achten, dass professionell gearbeitet wird. Wir müssen aufhören, Fehler als „agil“ zu kaschieren.

Customer first

Spannend wird es, wenn in ach so agilen Organisationen nur der eine Prozess, Software, Plattform oder Werkzeug eingesetzt werden darf. Einheitlichkeit und Kostensenkung sind und bleiben vorrangige Ziele in den allermeisten Veränderungsprozessen. Gerade in der digitalen Transformation.

Dafür habe ich volles Verständnis. Diese durchaus sinnvollen Regeln sind aber das genaue Gegenteil von Agilität. Diese stellt nämlich konsequent die Kunden und deren Bedürfnisse in den Fokus. Prozesse und Werkzeuge treten in den Hintergrund.

Wenn also Fachabteilungen ein anderes Tools nutzen möchten und dafür gute Gründe nennen, dann ist der ablehnende Verweis auf die homogene Systemlandschaft alles - aber nicht agil. Das ist ok, aber wir sollten dann aufhören, so zu tun, als wären diese Organisationen trotzdem maximal agil.

Partizipation

Agilität bedeutet, den Kunden viel stärker in die Prozesse zu integrieren, mit ihm die Dinge früh zu testen und auf seine Wünsche schnell zu reagieren.

Das findet in den Digitalisierungsprozessen unserer Organisationen zum Teil schon statt. Leider meist nur mit den Beschäftigten. Agile Behörden müssten viel öfter Onlineservices, Formulare und Plattformen auch mit ihren Bürgern testen und diese bei der Entwicklung einbeziehen.

Dafür braucht es eine andere Einstellung. Der öffentliche Dienst muss sein „Ich weiß schon, was gut für euch ist“ – Denken ablegen und offen auf seine Kunden zugehen.

Agiles Mindset

Um erfolgreich agil zu handeln, braucht es Systeme, die schnelle Entscheidungen ermöglichen. Agile Manager entscheiden eigenständig in ihrem Verantwortungsbereich. Eine damit zwangsweise verbundene Fehler- und Lernkultur ist Teil eines agilen Mindsets. Ausprobieren und schnelles Scheitern sind wichtig, um sich anzupassen.

Agilität geht also nur mit Machern, Innovatoren und mutigen Talenten. Und die sind Mangelware. Behörden sind zudem bis heute maximal hierarchisch angelegt. Entscheidungen werden oben getroffen, haben bis dahin einen weiten Weg und sind damit meistens zu langsam. Auch, dass das Scheitern Teil der agilen Transformation ist, ist längst noch nicht überall angekommen. Beurteilungs- und Prämiensysteme der Organisationen sehen das leider oft anders.

Augenhöhe

Agilität bedeutet, Führung ganz neu zu denken: Die Führungskraft als Unterstützer des Teams. Dafür sollte sie fachliche Expertise haben. Wer jetzt laut aufschreit, dem sei gesagt: Ja, ich bin überzeugt, dass Führung grundsätzlich auch ohne Fachlichkeit gut funktionieren kann. Nur eben nicht in agilen Projekten. Darum rolliert hier die Führungsrolle – je nachdem, wer jetzt gerade am meisten vom Thema versteht und Unterstützung bieten kann.

Trotz des Expertentums sind Führungspersönlichkeiten gefragt, die sich von besseren Argumenten überzeugen lassen und die ihre Ideen zur Disposition stellen. In hierarchischen Systemen wie Behörden ist das alles aktuell sehr selten bis kaum vorstellbar. Dafür gibt es einfach noch zu viele Lenkungskreise, Controlboards und Steuerungsausschüsse.

Transparenz

Würden Kunden und Mitarbeiter im Fokus stehen, würden die Informationen zu den Veränderungsprozessen anders aufbereitet, geschrieben und über andere Medien verteilt werden.

Agilität bedeutet Transparenz. Und transparent kann man nur sein, wenn man die Sprache der Kunden spricht.

Also weg mit dem Fachchinesisch und der 100 Seiten PDF-Vorlage. Überlasst Profis die Kommunikation. Das bedeutet auch viel mehr Austausch und weniger Informationsübermittlung.

Agilität ist kein Ziel!

Ich arbeite gern agil. Seit Jahren. Dennoch glaube ich nicht, dass Organisationen auf Teufel komm raus agil sein müssen, um erfolgreich zu sein. Mehr noch: Das Generalisieren von Agilität, das sich eigentlich auf Individuen konzentriert, führt zu den genannten Problemen. Es bedarf der Rückbesinnung auf das ursprüngliche agile Manifest.

Was nicht passieren darf, ist, Agilität als Ziel zu definieren. Denn letztlich ist es nur eine Methode, die uns auf dem Weg zu unserer angestrebten Veränderung helfen soll. Dort, wo traditionelle Rahmenbedingungen herrschen, funktioniert agiles Arbeiten nicht. Wird Agilität trotzdem verordnet, beginnen die Leute zu simulieren. Unnötig, denn traditionelles Projektmanagement hat durchaus was für sich.

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