"Der Gesetzgeber sollte dringend nachjustieren"
Personalmagazin: Von Seiten der Wirtschaft wurde im Vorfeld zur beabsichtigten Neuregelung der Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes Zurückhaltung angemahnt. Zu Recht, Herr Bauer?
Jobst-Hubertus Bauer: In der Tat sehe auch ich keinen Bedarf für Neuregelungen. Arbeitsministerin Nahles will mit dem vorgelegten Entwurf den ohnehin stark regulierten Arbeitsmarkt mit weiteren überflüssigen Vorschriften zur Leiharbeit und zu Dienst- und Werkverträgen belasten, die nur zusätzliche Rechtsunsicherheit verursachen würden.
Personalmagazin: Die Regierungsparteien hatten schon im Koalitionsvertrag 2013 vereinbart, Leiharbeit auf ihre „Kernfunktion hin zu orientieren“. Ist die Arbeitsministerin jetzt nicht nur diesem Versprechen nachgekommen?
Bauer: Die vorgestellten Regelungen gehen teilweise sogar noch über die Vorgaben des Koalitionsvertrages hinaus. Wünschenswert wäre, dass die Koalition die damals gesetzten Schwerpunkte vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise und der insgesamt fragilen weltpolitischen Lage überdenken sollte.
Personalmagazin: Das heißt, es gibt Wichtigeres, als den von der Arbeitsministerin ins Feld geführten Missbrauch von Leiharbeit zu regulieren?
Bauer: Der Missbrauch von Leiharbeit ist kein Massenphänomen, Leiharbeit ist eine etablierte Form des flexiblen Personaleinsatzes, deren Anteil an der Erwerbstätigkeit nur zwei Prozent ausmacht. Und Leiharbeit hat auch Brückenfunktion für den Einstieg Arbeitsloser in „normale“ Arbeit. Jede weitere Bürokratisierung und Erschwerung der Leiharbeit wird sich deshalb negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken.
Personalmagazin: Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass in Tarifverträgen von der gesetzlichen Höchstdauer der Leiharbeit von 18 Monaten abgewichen werden kann. Was gilt für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer?
Bauer: Nach dem Entwurf können sich nur solche Arbeitgeber auf die tarifvertragliche Öffnungsklausel berufen, die tarifgebunden sind. Das widerspricht allen bisher bekannten Öffnungsklauseln. Ich habe Zweifel, dass eine solche Regelung mit der verfassungsrechtlich nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz ebenfalls garantierten negativen Koalitionsfreiheit vereinbar ist. Der Gesetzgeber sollte insoweit dringend nachjustieren.
Personalmagazin: Der Entwurf enthält auch eine Neuregelung zum „Grundsatz der Gleichstellung“ von Leiharbeitnehmern mit Arbeitnehmern des Einsatzbetriebes vor. Geht wenigstens diese Regelung in Ordnung?
Bauer: Auch hier habe ich erhebliche Zweifel. Vorgesehen ist, dass der Verleiher verpflichtet wird, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher „die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren.
"Die Zulassung einer abweichenden tariflichen Regel nur für die den ersten neun Monate einer Überlassung ist ein Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgte Tarifautonomie. Bleibt die Regelung bestehen, wird sie die bisher üblichen Branchenzuschlagstarifverträge entwerten."
Das wird landläufig als „equal pay“-Regelung bezeichnet. Hierzu gibt es eine Tariföffnungsklausel, die im Unterschied zur Höchstüberlassungsdauer auch nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Anwendung der tariflichen Regelung ermöglicht. So weit, so gut. Nicht gut ist dagegen, dass eine abweichende tarifliche Regelung nur für die ersten neun Monate einer Überlassung an einen Entleiher zugelassen wird. Das ist ein Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgte Tarifautonomie. Bleibt die Regelung bestehen, wird sie die bisher üblichen Branchenzuschlagstarifverträge entwerten.
Personalmagazin: Dem DGB geht der Entwurf nicht weit genug. Er kritisiert, dass sich die Begrenzung der Höchstarbeitsdauer konkret auf Arbeitnehmer beziehe, nicht auf den besetzten Platz als solchen, so dass die Leiharbeitnehmer nach 18 Monaten ausgetauscht werden können. Stimmen Sie dieser Kritik zu?
Bauer: Nein. Es ist gut so, dass wenigstens insoweit der Entwurf nicht über die Vorgaben des Koalitionsvertrages hinausgeht. Würde die Forderung des DGB erfüllt, käme es zu zusätzlicher Rechtsunsicherheit, weil schon fraglich ist, was unter dem Begriff des „Arbeitsplatzes“ zu verstehen ist. Arbeitsplätze verändern sich fortlaufend mehr oder weniger. Ein gewisses Maß an Flexibilität beim Personaleinsatz muss den Unternehmen gewährleistet werden.
Personalmagazin: Was halten Sie von dem im Entwurf vorgesehenen Verbot, Leiharbeitnehmer als „Streikbrecher“ einzusetzen?
Bauer: Das schießt weit über das Ziel hinaus. Ein Arbeitgeber, dessen Betrieb von streikwilligen Arbeitnehmern bestreikt wird, könnte zwar versuchen, seine Produktion mit arbeitswilligen Beschäftigten der Stammbelegschaft aufrecht zu erhalten, müsste aber Leiharbeitnehmern den Zugang zum Betrieb verweigern. Eine solche Regelung lässt sich kaum mit Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes vereinbaren.
Personalmagazin: Der Entwurf sieht auch einen neuen § 611 a Bürgerliches Gesetzbuch vor, der Arbeitsverträge eindeutiger definieren soll und einen Kriterienkatalog zur Abgrenzung missbräuchlicher Dienst- und Werkverträge aufstellt. Ist das nicht sinnvoll?
Bauer: Die im Entwurf genannten Kriterien sind praxisfern: Maßgeblich zur Abgrenzung soll sein, ob jemand „nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder seinen Arbeitsort zu bestimmen“, „die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt“ oder „zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt“.
Diese Maßstäbe entsprechen nicht der modernen Spezialisierung von Unternehmen. Eine große Zahl von Dienst- und Werkverträgen, die heute unstreitig und rechtlich zulässig von selbstständigen Unternehmen, zum Beispiel in der IT-Branche, im Bewachungsgewerbe, von Logistik- und Ingenieurunternehmen durchgeführt werden, würden dadurch problematisiert. Es käme zu neuen Hürden für die arbeitsteilige Wirtschaft.
Es sollte doch allgemein bekannt sein, dass sich Deutschland – wie viele andere Industrienationen auch – auf dem Weg in die digitale Arbeitswelt befindet. Die Rahmenbedingungen für diese digitale Arbeit der Zukunft („Arbeit 4.0“) würden durch die beabsichtigten Neuregelungen massiv beeinträchtigt.
Professor Dr. Jobst-Hubertus Bauer ist Honorarprofessor der Universität Tübingen und Rechtsanwalt bei Gleiss Lutz, Stuttgart
Das Interview führte Katharina Schmitt, Redaktion Personalmagazin
Das vollständige Interview mit Rechtsanwalt Bauer finden Sie in Personalmagazin Heft 1/2016.
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