Personelle Mindestbesetzung: "Arbeitgeber können zunächst aufatmen"
Haufe Online-Redaktion: Das Arbeitsgericht Kiel entschied, dass der Betriebsrat bei der personellen Mindestbesetzung von Pflegepersonal in einer Klinik mitbestimmen kann. Diese Entscheidung hat das LAG Schleswig-Holstein zugunsten des Arbeitgebers korrigiert: Der Betriebsrat kann aus einem Mitbestimmungsrecht beim Gesundheitsschutz keine Vorgaben an den Arbeitgeber ableiten. Sind Mindestbesetzungsregelungen nur im Pflegebereich ein Thema?
Thomas Ubber: Mindestbesetzungsregelungen zum Zwecke des Gesundheitsschutzes spielen insbesondere dort eine Rolle, wo die Arbeitsmenge und Arbeitsintensität jeweils aktuell durch äußere Einflüsse vorgegeben wird. Die Pflege in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen ist hierfür nur ein Beispiel. Zu denken ist auch an Bereiche, in denen die Belastung jeweils aktuell von der Zahl der Kunden abhängig ist. Dies ist beispielsweise im Handel aber auch bei Servicetätigkeiten der Fall, etwa im IT-Support.
Regeln zur Mindestbesetzung: Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
Haufe Online-Redaktion: Was bedeutet der LAG-Beschluss konkret für Arbeitgeber?
Ubber: Arbeitgeber können hier zunächst einmal aufatmen. Wie das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein festgestellt hat, besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zur Durchsetzung von Mindestbesetzungsregelungen. Ein Mitbestimmungsrecht ergibt sich insbesondere nicht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 ArbSchG. Der Gesetzgeber hat nämlich durch § 92 BetrVG deutlich gemacht, dass die dem Betriebsrat eingeräumten Mitwirkungsrechte gerade nicht zu einem Eingriff in die eigentlichen unternehmerischen Entscheidungen, zu denen auch die Personalplanung gehört, führe dürfen. Überdies wird durch § 3 Abs. 2 ArbSchG verdeutlicht, dass sich die zum Zwecke des Gesundheitsschutzes zu treffenden Maßnahmen an den betrieblichen Gegebenheiten zu orientieren haben; als betriebliche Gegebenheit ist unter anderem auch die Anzahl der Beschäftigten hinzunehmen und unterliegt nicht der Mitbestimmung. Mit der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein ist allerdings noch nicht das letzte Wort gesprochen. Das Gericht hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Der verfahrensbeteiligte Betriebsrat ist fest entschlossen, die Entscheidung durch das BAG überprüfen zu lassen.
Personelle Besetzung: Grundsätzlich keine Untergrenze
Haufe Online-Redaktion: Sind Arbeitgeber nun völlig ungebunden, was die personelle Mindestbesetzung angeht oder gibt es – unabhängig vom Gesundheitsschutz und Mitbestimmung des Betriebsrats – Untergrenzen für eine personelle Besetzung?
Ubber: Grundsätzlich gibt es keine Untergrenzen für eine personelle Besetzung. Der Arbeitgeber legt die Personalbesetzung nach Unterrichtung des Betriebsrats und gegebenenfalls der Entgegennahme von dessen Vorschlägen eigenverantwortlich fest. Allerdings wären Mindestbesetzungsregelungen in tariflichen Bestimmungen wohl wirksam; hierzu hat das BAG bereits vor einigen Jahren Stellung genommen. Es gibt auch sicherheitsrelevante Bereiche, in denen spezialgesetzliche Mindestbesetzungen vorgeschrieben sind. Zu beachten ist auch, dass der Betriebsrat bei personeller Unterbesetzung - nach Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten durchsetzen kann. Er kann aber keine bestimmte Besetzung erzwingen.
Haufe Online-Redaktion: Gewerkschaften fordern schon länger personelle Mindestbesetzungen in Krankenhäusern. Sind gesetzliche "Untergrenzen" in Krankenhäusern und die Gesundheitsbranche geplant?
Ubber: In Krankenhäusern hat sich die Koalition vorgenommen, gewisse Mindestbesetzungsregelungen gesetzlich festzuschreiben. So sollen nach dem Koalitionsvertrag strikte Personalvorgaben für alle Stationen verbindlich festgelegt und die Kosten des Pflegepersonals künftig unabhängig von Fallpauschalen erstattet werden. Bereits im März des vergangenen Jahres hatte das Bundesgesundheitsministerium gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen und den Ländern auf der Grundlage der Beratungen der Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ Maßnahmen zur Verbesserung der Personalsituation in der pflegerischen Patientenversorgung vorgeschlagen. Danach soll die Selbstverwaltung von Krankenhäusern und Krankenkassen zur Vereinbarung von Personaluntergrenzen in Krankenhausbereichen verpflichtet werden, in denen dies aufgrund der Patientensicherheit besonders notwendig ist, wie beispielsweise in Intensivstationen oder im Nachtdienst. Sollten bis zum 30. Juni 2018 keine entsprechenden Vereinbarungen der Selbstverwaltung zustande kommen, die ab dem 1. Januar 2019 wirksam werden, will das Bundesministerium bis zum Jahresende ersatzweise entsprechende Entscheidungen treffen.
Mitbestimmung bei Mindestbesetzung: BAG hat letztes Wort
Haufe Online-Redaktion: Gibt es noch weitere Entscheidungen oder anhängige Verfahren von Betriebsräten, um bei personellen Mindestbesetzungen mitzubestimmen?
Ubber: Das Hessische LAG hat schon im Jahr 2011, mit Beschluss vom 12. Mai 2011, Aktenzeichen 9 TaBV 208/10, entschieden, dass ein Mitbestimmungsrecht zur Festlegung der Anzahl der für eine Schicht einzuplanenden Mitarbeiter nicht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, also dem Mitbestimmungsrecht zur Festlegung der Lage der Arbeitszeit, folgt. Derzeit anhängige Verfahren zum Komplex der personellen Mindestbesetzung sind mir nicht bekannt. Ich rechne auch nicht damit, dass solche Verfahren initiiert werden, solange das BAG nicht über die vorliegende Sache entschieden hat.
Das Interview führte Michael Miller, Redaktion Personalmagazin.
Thomas Ubber ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Senior Partner bei Allen & Overy Deutschland.
Nachtrag mit Stand 19.11.2019: Mittlerweile hat das BAG die Sache entschieden und dem Antrag der Arbeitgeberin, mit dem diese einen Einigungsstellenspruch über Mindestbesetzungen im Pflegedienst einer Klinik angefochten hat, stattgegeben (BAG, Beschluss vom 19.11.2019, Az: 1 ABR 22/18). Allerdings hat der Senat nicht über die Zulässigkeit von solchen Regelungen als Maßnahme des Gesundheitsschutzes entschieden.
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