Agile Leadership: Was agile Führung ausmacht
Das Thema Agilität - ursprünglich ein Konzept aus der Softwareentwicklung - hat in den vergangenen Jahren immer größere Popularität in der Organisationstheorie und Managementpraxis gewonnen. Agilität gilt im Zeitalter der Digitalisierung und des disruptiven Wandels als überlebenswichtig für Unternehmen.
Agile Leadership: Führung im agilen Umfeld
Dabei bezieht sich Agilität nicht nur auf die Organisationsstruktur (agile Organisation) und Prozesse (agiles Arbeiten), sondern auch auf die Verhaltensweisen und Einstellungen der Organisationsmitglieder (agiles Mindset). Inbesondere Führungskräfte stehen im agilen Umfeld vor radikal veränderten Rahmenbedingungen: Agile Leadership (deutsch: agile Führung) erfordert ein neues Führungsverständnis und eine neue Führungshaltung. Agile Führungsmodelle bringen neue Führungsprinzipien und Führungsrollen mit sich. Welche Veränderungen das konkret sind, was agile Führung ausmacht und welche Kompetenzen und Skills agile Führungskräfte brauchen, wird im Folgenden erläutert.
Agile Führung = Führen durch Vorbild
Für Führungskräfte bedeutet das Führen in einer agilen Organisation: Die Pyramide steht Kopf, hierarchische Führung dank Macht wird durch dienende Führung dank Vorbild ersetzt. Führungskräfte, die sich über Vorgabe und Kontrolle, starre Zielsysteme und Motivationsprämien, feste Prozesse und fachliche Autorität definieren, stehen nun vor der Herausforderung, Führung neu denken zu müssen.
Führungskräfte im agilen Kontext sind in erster Linie verantwortlich für das Vermitteln des "Big Picture", das Schaffen von Rahmenbedingungen und der nötigen Infrastruktur (agile Kultur) sowie das individuelle Entwickeln jedes Mitarbeiters. Sie wandeln sich vom Fachvorgesetzten zur Führungskraft.
Entscheidungen in selbstorganisierten Teams treffen
Die fachliche Verantwortung wird dorthin verlagert, wo die Entscheidungen am besten und am schnellsten getroffen werden können: in crossfunktionalen Teams. Dort wird ohne Angst vor Fehlern und Konsequenzen Neues ausprobiert und Entscheidungen dezentral selbstorganisiert und selbstverantwortlich gefällt. (Lesen Sie dazu auch den Beitrag "Agile Führung: Delegieren lernen in selbstorganisierten Teams").
Agile Führung im Kontext anderer Führungsmodelle
Was ist daran wirklich neu? Eigentlich nicht so viel. Schaut man in die Führungsliteratur der vergangenen 50 Jahre, findet man vieles von dem, was erfolgreiche Führung, echte Motivation, reale Menschenbilder et cetera ausmacht. Und dennoch herrscht in den Führungsebenen der Unternehmen weiterhin gähnende Führungs-Leere. Deshalb ist es immer noch nötig, ein neues Führungsverständnis zu kommunizieren und zu verankern.
Bei einem schnellen Blick scheint agile Führung also alter Wein in neuen Schläuchen zu sein. Schaut man genauer hin, erkennt man jedoch, dass die Qualität des Weins sich deutlich verbessern muss.
Wie dies gelingen kann, zeigen zwei Beispiele zum Thema "gute Führung": die Ergebnisse einer internen Studie des US-Internetkonzerns Google zu guten Führungsprinzipien sowie die Führungsprinzipien, die sich aus dem Modell der Transformationalen Führung ableiten lassen.
Beispiel 1: Prinzipien guter Führung laut Google-Studie:
- Sei ein guter Coach.
- Befähige dein Team und kümmere dich dann nicht um jede Kleinigkeit.
- Zeige Interesse am Erfolg und am Wohlergehen deiner Leute.
- Sei produktiv und orientiere dich an Ergebnissen.
- Sei ein guter Kommunikator und höre deinem Team zu.
- Unterstütze deine Mitarbeiter in ihrer Karriereentwicklung.
- Zeige eine klare Vision und nachvollziehbare Strategie.
- Besitze die notwendigen fachlichen Fähigkeiten, um dein Team beraten zu können.
Beispiel 2: Führungsprinzipien laut dem Modell der Transformationalen Führung:
- Sei ein Vorbild
- Fordere andere heraus (Inspiration)
- Rege andere zur Leistung an (Stimulation).
- Handle unternehmerisch (Innovation)
- Entwickle Kompetenzen (Enabling).
- Kommuniziere fair (Consideration).
Agilität erfordert ein neues Führungsverständnis "auf Augenhöhe"
Die beiden genannten Modelle zeigen die Bandbreite der Erwartungen, vor der jede Führungskraft und ganz besonders agile Führungskräfte stehen. Managern, die aufgrund von Fachexpertise in eine Führungsrolle aufgestiegen sind, kann das durchaus Angst bereiten, denn der beste Fachexperte ist nicht zwangsläufig ein guter Coach oder Entwicklungsbegleiter.
Es muss sich also die Führungshaltung verändern. Im Einzelnen bedeutet das: Führungskräfte agieren im agilen Umfeld auf Augenhöhe mit ihren Mitarbeitern. Sie erschaffen Rahmenbedingungen, in denen agiles Arbeiten möglich ist. Sie arbeiten aktiv an der Kulturveränderung, an der Unternehmensentwicklung und an der Visionsvermittlung.
Mitarbeiter stärkenorientiert fördern
Außerdem entwickeln sie jeden Mitarbeiter individuell auf der Basis der persönlichen Bedürfnisse und Motive sowie der jeweiligen Stärken und Talente. Disziplinarische Aufgaben wie Urlaubsgenehmigung, Personalauswahl, Budgetplanung oder gar Vergütungsentscheidungen werden dabei je nach Grad der Selbstorganisation immer weiter in Richtung Team delegiert.
Entscheidet nur der Chef, dauern die Prozesse zulang
Bleibt Führung weiterhin ein hierarchisch, arbeitsteiliges Denkmodell, wird sie zum kritischen Engpass, da eine Führungskraft kaum in der Lage ist, die Wünsche und Bedürfnisse des Markts oder gar jedes Kunden wirklich zu kennen. Entscheiden lediglich Führungskräfte, dauern die Prozesse schlicht zu lang.
Im Veränderungsprozess von einem klassischen zu einem agilen Unternehmen kommt der Führungskraft eine besondere Bedeutung zu. Zum einen muss sie aktiv eine Gestaltungsrolle übernehmen und damit als Vorbild vorausgehen. Zum anderen ist sie maßgeblich selbst durch die Veränderung betroffen. Manche Unternehmen – wie Haufe Umantis – lassen gar die Führungsrollen auf Zeit durch Mitarbeiter wählen. Dass dafür ein verändertes Verständnis von Führung sowie der Führungskompetenzen notwendig wird, ist spätestens mit diesem Beispiel klar.
Das Kompetenzprofil einer agilen Führungskraft
Welche Kompetenzen benötigen Führungskräfte nun, um in dieser komplexen Welt beziehungsweise in einem agilen Kontext als Führungskraft erfolgreich zu sein? Der US-amerikanische Managementexperte Jim Collins führt es auf die essenzielle Frage zurück: "Warum will ich führen?" Er beantwortet diese Frage unter anderem mit einer Aussage von James McGregor Burns: "Wahre Menschenführung ist, wenn Menschen dir nur dann folgen, wenn sie die Möglichkeit hätten, es nicht zu tun."
Selbstführung kommt vor Mitarbeiterführung
Selbstreflexion beziehungsweise seine eigenen Werte, Bedürfnisse und Motive zu kennen und zu verstehen, sind die Basis, um authentisch als Vorbild zu agieren. Wer seine Stärken und Schwächen und damit auch seine "eigene Landkarte" kennt, ist in der Lage, sich und anderen mit Wertschätzung, Offenheit und Respekt zu begegnen und zu entwickeln.
Von der Schnittstelle zur Verbindungsstelle: Agile Leadership braucht interkulturelle Kompetenz
Interdisziplinäre Teamstrukturen beziehungsweise flexible Netzwerke führen dazu, dass Teamfähigkeit sowie die Fähigkeit, Teams zu führen, zu entwickeln und auszurichten immer wichtiger werden. Einfühlungsvermögen und Empathie für unterschiedliche Erfahrungen, Denk- und Handlungsweisen sind die Grundlagen, um interne und externe Schnittstellen zu tragfähigen Nahtstellen zu entwickeln.
Interkulturelle Kompetenz sowie die Fähigkeit, virtuelle Teams zu führen, wird in der internationalen und globalen Zusammenarbeit als Führungskompetenz noch wichtiger. Getragen werden diese Kompetenzen von einer hohen Kommunikationsfähigkeit – sowohl im Vermitteln von Inhalten als auch im aktiven Zuhören.
Fachkompetenz tritt bei agiler Führung in den Hintergrund
Im agilen Kontext tritt die benötigte Fachkompetenz einer Führungskraft in den Hintergrund. Führungskräfte geben Orientierung (Vision und Ziele) vor, die Teams entscheiden operativ selbstverantwortlich. Somit fokussieren sich Führungskräfte stärker auf die Unternehmensperspektive. Das heißt: Unternehmerisches Denken und Handeln, getragen von einer radikalen Kundenorientierung ist Kernkompetenz. Ergänzt um die Kenntnis (agiler) Management- und Prozess-Methoden sowie tief gehender Change-Management-Expertise übernimmt die Führungskraft eine aktive Rolle bei der Weiterentwicklung des Unternehmens.
Ambiguitätstoleranz, Flexibilität, Lösungskompetenz
Abgerundet wird das Kompetenzprofil von einer hohen Ambiguitätstoleranz, basierend auf einer hohen Flexibilität und Lösungskompetenz, um in diesem auf Unsicherheit basierenden Umfeld Prioritäten definieren, Entscheidungen treffen, Chancen erkennen und ergreifen zu können und damit operative Umsetzungskompetenz durch nachhaltige Ergebnisse zu zeigen.
Fazit: Diese Skills braucht agile Leadership
Zusammenfassend lassen sich folgende Kompetenzen und Skills festhalten, die eine Führungskraft im agilen Umfeld benötigt:
- Unternehmerisches Denken
- radikale Kundenorientierung
- Mitarbeiterorientierung
- Teamfähigkeit
- Fähigkeit zur Selbstführung und Selbstreflexion
- Ambiguitätstoleranz
- Flexibilität
- Change-Management-Kompetenzen
- Lösungskompetenz
- interkulturelle Kompetenz
- Führung virtueller Teams, Führen auf Distanz
- Kenntnis agiler Arbeits- und Management-Methoden
- hohe Kommunikationsfähigkeit
Man kann mit dieser Aufzählung leicht erkennen, dass Führungskräfte auch zukünftig eine wichtige Rolle spielen werden. Jetzt dürfen Führungskräfte endlich führen. Damit gewinnen letztlich alle: Mitarbeiter gewinnen Autonomie, Freiheit und Verantwortung, Führungskräfte gestalten Unternehmen und schaffen Umfelder, in denen Erwachsene arbeiten wollen. Und der Kunde ist König.
Agile Führungskraft: Manager, Leader oder Coach?
Zurück zur Rolle der Führungskraft: Ist sie im agilen Umfeld Führungskraft oder Coach? Manager oder Leader? Hier geht es nicht um "entweder oder", sondern um "sowohl als auch". Als Führungskraft gilt es, Dinge, Zahlen und Prozesse zu managen. Das muss effektiv und effizient sein, das ist Pflicht. Als Leader gilt es, Menschen zu entwickeln und zu coachen. Das ist die Kür.
Alle Infos zum Thema "Agilität" finden Sie auf der Themenseite.
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die Prinzipien guter Führung laut Google sind perfekt auf den Punkt gebracht.
Die Guides von Google habe ich mir auch durchgelesen: https://rework.withgoogle.com/subjects/managers/
Du hast die vielen Inhalte sehr verständlich und gut gekürzt verfasst! Danke dafür.
Agile Führung funktioniert natürlich auch ohne ein passendes Leitbild. Dennoch würde ich hier gerne ergänzen, dass die Führung durch ein passendes Leitbild noch effektiver ist. (Siehe Beispiel hier: https://okrexperten.de/leitbild-unternehmen/)
Was denkst du? Kann agil geführt werden, ohne dass ein Unternehmensleitbild existiert?
Ich freue mich auf deine Rückmeldung.
Gruß Tizian
Führung geht immer. Ob menschlich, agil oder servant - gut geführt werden darf immer. Ich darf eine gute Führungskraft sein, auch wenn es meine nicht ist. Ich darf ein Leader sein, auch wenn es kein Leitbild gibt. Wichtig wäre für mich, dass jede Führungskraft ein eigenes Leitbild hat, im Sinne "Wozu bin ich Führungskraft?", "Wofür möchte ich stehen", " Wie gestalte ich mein Umfeld" etc. "Es gibt kein Leitbild und deshalb kann ich nicht agil führen", darf keine Ausrede sein.
Wenn es dazu ein inspirierendes und sinn-volles Leitbild gibt, dann verstärkt es Führung und Kultur, in dem es eine echte Orientierung im komplexen Umfeld bietet. Leitbild aus Vision, Mission, Werten, Purpose in einer komplexen Welt ist ein guter Navigator hinsichtlich gemeinsamer Handlungsweisen. Doch erst Leadership schafft den Raum für Resonanz und Reflexion darüber.
Grüße
Bernd