Rz. 79

Die Beurteilung der Frage, ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entsteht, erfordert eine Abwägung zwischen dem grundsätzlichen Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Eigentümers, die sich einer generalisierenden Betrachtung entzieht und sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation des Vermieters treffen lässt (BGH, Urteil v. 10.5.2017, VIII ZR 292/15, GE 2017, 769). Das Eigentum gewährt dem Vermieter dabei keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Auch das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum i. S. von Art. 14 Abs. 1 GG und deshalb grundgesetzlich geschützt. Auf der anderen Seite dürfen die dem Vermieter entstehenden Nachteile aber auch keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen (BGH, Urteil v. 28.1.2009, VIII ZR 8/08, NJW 2009, 1200).

 

Rz. 80

Die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 setzt einen erheblichen Nachteil beim Vermieter selbst voraus; ein solcher Nachteil bei einer mit der vermietenden Gesellschaft persönlich und wirtschaftlichen verbundenen "Schwestergesellschaft" reicht hingegen nicht aus (BGH, Urteil v. 27.9.2017, VIII ZR 243/16, GE 2017, 1403).

 

Rz. 81

Es reicht auch nicht jedweder wirtschaftliche Nachteil des Vermieters. Vielmehr muss dieser ein solches Gewicht haben, dass die Einbuße für den Vermieter im hohen Maße unerträglich erscheint (vgl. LG Berlin, Urteil v. 21.1.1988, 62 S 165/87, DWW 1988, 178). Es muss dabei nicht unbedingt der Grad von erheblichen Beeinträchtigungen i. S. v. § 573 Abs. 2 Nr. 3 erreicht sein (BGH, Urteil v. 16.12.2020, VIII ZR 70/19, GE 2021, 246). Erhebliche Nachteile sind auch nicht gleichbedeutend mit Existenzverlust (vgl. zum Begriff des Existenzverlusts BVerfG, Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09, GE 1989, 297). Der Nachteil muss daher im konkreten Einzelfall bestimmt werden. Die überwiegende Rechtsprechung (vgl. LG Berlin, Urteil v. 19.6.2009, 63 S 10/08, GE 2009, 1497; LG Berlin, Urteil v. 29.7.2002, 61 S 451/00, GE 2003, 49; LG Berlin, Urteil v. 24.11.2006, 63 S 48/06, GE 2007, 659; LG Berlin, Urteil v. 31.7.1990, 64 S 136/90, MDR 1990, 1121; LG Aachen, Urteil v. 16.8.1991, 5 S 156/91, WuM 1991, 495; LG Arnsberg, Urteil v. 3.9.1991, 5 S 120/91, WuM 1992, 22) fordert zum Zweck der Bestimmung eines erheblichen Nachteils jedenfalls im gerichtlichen Verfahren die Vorlage einer Wirtschaftlichkeitsberechnung, wobei aber keine umfassende Darstellung des Vermögensstatus des Vermieters in betriebswirtschaftlicher und steuerlicher Hinsicht gefordert wird (LG Osnabrück, Urteil v. 2.2.1994, 1 S 179/93, WuM 1994, 214).

 

Rz. 82

Eine besondere Problematik liegt in der Frage, inwiefern bei der Beurteilung des erheblichen Nachteils der Umstand zu bewerten ist, dass üblicherweise der Verkauf eines vermieteten Anwesens bzw. einer vermieteten Eigentumswohnung einen erheblich niedrigeren Verkaufserlös bringt. Einerseits genügt dieser Umstand jedenfalls allein nicht zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals. Andererseits kann dieser Umstand dann entscheidend sein, wenn wegen des Mindererlöses im Zusammenhang mit der gesamten wirtschaftlichen Situation des Vermieters die finanziellen Einbußen erheblich sind. Dies erfordert einen Vergleich der Vermögenslage des Vermieters bei Erwerb der Wohnung bzw. des Anwesens und bei Ausspruch der Kündigung wegen der beabsichtigten Veräußerung (BGH, Urteil v. 16.12.2020, VIII ZR 70/19, GE 2021, 246; BVerfG, Beschluss v. 9.10.1991, 1 BvR 227/91, NJW 1992, 361; LG Berlin, Urteil v. 13.7.2010, 63 S 578/0, GE 2010, 1420; LG Lübeck, Beschluss v. 17.6.1993, 14 S 40/93, WuM 1993, 616; LG Hamburg, Urteil v. 1.10.1992, 334 S 72/92, WuM 1992, 615; LG Berlin, Urteil v. 7.11.1994, 67 S 278/94, WuM 1995, 111). Die Verwertungskündigung ist nicht schon deswegen unwirksam, weil der Vermieter die Wohnung in vermietetem Zustand gekauft und deshalb bereits mit einem entsprechenden Preisvorteil erworben hat (BGH, Urteil v. 8.6.2011, VIII ZR 226/09, GE 2011, 1015; OLG Koblenz, RE v. 1.3.1989, 4 W-RE 695/88, WuM 1989, 164). Bei dem Vergleich der Vermögenslage mag dieses Argument aber eine gewisse Rolle spielen (vgl. LG Freiburg, Urteil v. 17.5.1990, 3 S 378/89, WuM 1991, 183; LG München I, Urteil v. 1.4.1992, 14 S 18927/91, WuM 1992, 374). Erwirbt der Vermieter das vermietete Objekt in Kenntnis eingeschränkter Mieterhöhungsmöglichkeiten und erzielt er mit Blick auf das eingesetzte Kapital gleichwohl eine Rendite von über 7 %, so sind die Fachgerichte nicht gehindert, diese Umstände, wie auch etwaige erhebliche Mieterinvestitionen in das Objekt, angemessen zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss v. 12.11.2003, 1 BvR 1424/02, NJW-RR 2004, 371).

Will der Vermieter kündigen, weil er angeblich im unvermieteten Zustand einen höheren Verkaufserlö...

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