Schmerzensgeld wegen Miterleben des Unfalltodes der Ehefrau
Über einen Anspruch auf Schmerzensgeld als Schockschadensersatz hat der BGH in einer Grundsatzentscheidung geurteilt. Der Entscheidung zu Grunde lag ein Straßenverkehrsunfall.
Todesverursacher: rasender alkoholisierter Autofahrer
Der Beklagte führte im April 2007 ein Kfz im öffentlichen Straßenverkehr,
- obwohl er in erheblichem Maße alkoholisiert war.
- Die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritt er um mindestens 58 km/h.
Nach einer lang gezogenen Linkskurve kam er mit seinem Fahrzeug von der Fahrbahn ab und geriet in den Gegenverkehr.
Visuellen und akustischen Crash-Horror gespeichert
Auf der Gegenfahrbahn kamen ihm der Kläger und dessen Ehefrau auf zwei einzelnen Motorrädern mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h entgegen.
- Das vom Ehemann geführte Motorrad verfehlte der aus der Spur geratene PKW nur knapp,
- er erfasste aber das von der Ehefrau gelenkte Motorrad, die hierdurch zu Tode kam.
- Dies konnte der Kläger, der das Geschehen kommen sah, durch den Rückspiegel seines Motorrades beobachten.
Der visuelle und akustische Horror des Geschehens prägte sich tief in seinem Bewusstsein ein.
Laut OLG ist die psychische Belastung keine Gesundheitsverletzung
Nach dem Unfallereignis diagnostizierte der Hausarzt beim Kläger eine akute Belastungsreaktion.
- Der Kläger litt unter panischen Angstzuständen und Zitteranfällen.
- Seinen Beruf als LKW-Fahrer musste er aufgeben.
- Auf Anraten seines Arztes zog er ein knappes Jahr später aus der vormaligen, mit seiner Ehefrau gemeinsam bewohnten Eigentumswohnung aus, um so die Erinnerungen an seine Frau besser verarbeiten zu können.
Die Versicherung des Unfallgegners zahlte ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 Euro. Dies reichte nach Auffassung des Klägers nicht aus. Er forderte die Zahlung von weiteren 8.000 Euro und machte diesen Anspruch gerichtlich geltend. Vor dem LG und dem OLG hatte er hiermit zunächst keinen Erfolg. Das OLG vertrat die Auffassung, die vom Kläger geschilderte psychische Belastung stelle keine Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB dar.
Grundsätze zu Schmerzensgeld bei Trauer und seelischem Schmerz
Der mit der Sache befasste BGH stellte zunächst klar, dass eine traumatisch bedingte psychische Störung nach ständiger Rechtsprechung eine Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB darstellen kann (BGH, Urteil v. 20.5.2007, VI ZR 17/06). Dieser Grundsatz erfahre allerdings eine Einschränkung bei Schockschäden:
- Seelische Erschütterungen wie Trauer und seelischer Schmerz, dem Hinterbliebene beim Unfalltod eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt seien, stellten nicht per se eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar.
- Dies gelte selbst dann, wenn eine tiefe Trauer von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werde, die für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind.
Klar umrissene Deliktshaftung
Der Gesetzgeber habe bei Formulierung der Vorschriften der §§ 823 ff BGB die Absicht gehabt, die Deliktshaftung auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken. Beeinträchtigungen, die auf die Rechtsgutverletzung eines Dritten zurückzuführen seien, sollten nach der Intention des Gesetzgebers mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos bleiben (BGH, Urteil v. 31.1.1984, VI ZR 56/82).
Nur pathologisch fassbarer seelischer Schmerz löst Ansprüche aus
Hiernach können nach Auffassung des Senats psychische Beeinträchtigungen infolge des Todes naher Angehöriger nur dann als Gesundheitsverletzung angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über psychische Beeinträchtigungen hinausgehen, die bei der Nachricht des Todes von Angehörigen üblich sind (BGH, Urteil v. 20.3.2012, VI ZR 114/11).
OLG hat die Anforderungen überspannt
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kam der BGH zu dem Ergebnis, dass das OLG die Anforderungen an die Annahme einer Gesundheitsverletzung im konkreten Fall überspannt hat. Insbesondere habe das OLG nicht berücksichtigt, dass der Kläger
- den Unfalltod seiner Ehefrau unmittelbar optisch und akustisch miterlebt habe und
- zuvor durch das grob pflichtwidrige Verhalten des Unfallgegners selbst in Lebensgefahr geraten war.
- Darüber hinaus habe das Berufungsgericht die beim Kläger vom Hausarzt festgestellte Belastungsreaktion nicht angemessen gewürdigt.
Einschränkung der sozialen Funktionen
Die laut Attest festgestellte Belastungsreaktion nach ICD F43.9 G ( International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) umfasste eine „neurotische Belastung mit somatoformen Störungen“, die beim Kläger zu schweren Anpassungsstörungen geführt hätten.
- Die hierdurch bedingte Einschränkung der sozialen Funktionsfähigkeit hätten den Kläger sogar zur Aufgabe seiner bisherigen Berufstätigkeit als LKW-Fahrer und zur Aufgabe seiner Eigentumswohnung gezwungen
- und habe damit eine schwere psychische Schädigung deutlich sichtbar nach außen hin manifestiert.
- Diese erheblichen psychischen Folgen haben nach Auffassung des Senats eindeutig die Qualität einer Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB.
Der Schmerzensgeldanspruch sei hiernach grundsätzlich begründet. Hinsichtlich der Höhe seien die Feststellungen der Vorinstanz allerdings noch unzureichend, so dass insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung erforderlich sei. Der Senat wies daher den Rechtsstreit zur weiteren Entscheidung an das OLG zurück.
(BGH, Urteil v. 27.1.2015, VI ZR 548/12).
Das Schmerzensgeld scheint hier in Anbetracht der Folgen auch für deutsche Maßstäbe nicht hoch.
Bemessung von Schmerzensgeld: Bei der Höhe des Schmerzensgeldes orientiert sich die Rechtsprechung i. d. R. an Schmerzensgeldtabellen, z.B. an der von Hacks begründeten Schmerzensgeldtabelle.
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