Zurechnung von Aktien bei Wertpapierleihe
Hintergrund
Streitig war, ob die für 2007 rückwirkende Geltung der Neuregelung zur Wertpapierleihe in § 8b Abs. 10 KStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007 verfassungsgemäß ist. Diese Rückwirkungsproblematik wurde vom BFH allerdings nicht entschieden, da er im Streitfall bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Wertpapierleihe verneinte.
Die X-GmbH schloss mit einem in Großbritannien ansässigen Finanzinstitut (Y-Limited) einen Rahmenvertrag für Wertpapierdarlehen. Mit der Lieferung sollte das unbeschränkte Eigentum an den Darlehenspapieren auf den Darlehensnehmer (X) übergehen. X hatte für jedes Wertpapier ein Entgelt (Leihgebühr) zu zahlen. Y sollten die während der Laufzeit auf die Papiere geleisteten Zinsen, Gewinnanteile sowie sonstige Ausschüttungen zustehen. X hatte in dieser Höhe Kompensationszahlungen zu leisten.
X erhielt aus den geliehenen Wertpapieren im Wirtschaftsjahr 2006/2007 Dividenden (rd. 15 Mio. EUR), die sie als Kompensationszahlungen an Y leistete. Außerdem zahlte sie an Y ein Darlehensentgelt von rd. 300.000 EUR. Für 2007 erklärte X die Dividendengutschriften als steuerfreie Bezüge (§ 8b Abs. 1 KStG). Die Kompensationszahlungen sowie die Darlehensentgelte behandelte sie als Betriebsausgaben und berücksichtigte in Höhe von 5 % der Dividenden die pauschale Kürzung von Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 KStG).
Das FA - und ihm folgend das FG - waren demgegenüber der Auffassung, auf die Wertpapierdarlehen sei die Neuregelung des § 8b Abs. 10 KStG anwendbar. Die an Y gezahlten Entgelte seien somit nicht als Betriebsausgaben abziehbar und die pauschale Kürzung von Betriebsausgaben sei nicht vorzunehmen.
Entscheidung
Die von X begehrte Berücksichtigung steuerfreier Dividenden sowie damit zusammenhängender Betriebsausgaben setzt voraus, dass ihr die Dividenden steuerrechtlich als Anteilseigner und damit als Eigentümer zuzuordnen sind. Bei einer Wertpapierleihe werden die Erträge regelmäßig dem Entleiher zugerechnet, weil er zivilrechtlicher Eigentümer wird. Aufgrund der Feststellungen des FG verblieb im Streitfall das wirtschaftliche Eigentum jedoch ausnahmsweise beim Verleiher (Y). Die Verträge und die Art ihres Vollzugs waren nicht darauf angelegt, X die Erträge aus den verliehenen Aktien zukommen zu lassen. Das ergibt sich aus Folgendem:
- Y hatte sich die Dividenden in Gestalt der Kompensationszahlungen vollständig vorbehalten.
- Zugunsten von X ergaben sich keine Liquiditätsvorteile aus einer etwaigen zeitversetzten Vereinnahmung oder Verausgabung, da die Zahlungen zeit- und betragsgleich erfolgten.
- Angesichts des kurzfristigen Umschlags und Austauschs der Aktientitel kam es X nicht darauf an, Stimmrechte auszuüben oder das erhaltene Kapital wirtschaftlich - etwa zur Zwischenfinanzierung sonstigen Vermögens - zu nutzen.
- Wegen der kurzfristigen Kündigungsmöglichkeit durch Y erfolgte kein endgültiger Übergang der mit dem Eigentum an Wertpapieren verbundenen Chancen und Risiken.
- X war die Ausnutzung von Kursgewinnen nicht möglich und von ihr auch nicht beabsichtigt. Denn die Aktien waren innerhalb von 14 Tagen in derselben Stückzahl und zum selben Stückpreis zurückzugeben. Somit bestanden keine Wertsteigerungschancen oder Wertminderungsrisiken.
- Eine sonstige wirtschaftlich sinnvolle "Benutzung" der Aktien ist nicht erkennbar und wurde von X auch nicht behauptet.
Die Gesamtwürdigung der Umstände zeigt somit, dass X lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition, eine leere Eigentumshülle, verschafft wurde, die es ihr ermöglichen sollte formal steuerfrei Dividenden zu beziehen und zugleich steuerlich abziehbare Betriebsausgaben (Dividendenkompensationszahlungen und Leihgebühren) zu generieren, um daraus einen Steuervorteil zu erzielen.
Der BFH wies deshalb die Revision der X als unbegründet zurück.
Hinweis
Bei der Wertpapierleihe handelt es sich um einen Sachdarlehensvertrag. Der Verleiher wird verpflichtet, dem Entleiher das Eigentum an den Aktien zu übertragen. Der Entleiher wiederum wird verpflichtet, nicht dieselben, sondern Papiere gleicher Art und Ausstattung nach Ablauf der Vertragslaufzeit zurück zu übertragen. Der Entleiher vereinnahmt die Dividende und zahlt an den Verleiher eine Leihgebühr und eine Ausgleichszahlung für die erhaltene Dividende. der Entleiher kann die Dividende nach § 8b Abs. 1, 5 KStG zu 95 % steuerfrei vereinnahmen. Die Leihgebühr und die Ausgleichszahlungen können voll als Betriebsausgabe abgezogen werden. Für den Entleiher ergibt sich insgesamt ein steuerlicher Verlust, der mit anderen positiven Einnahmen ausgeglichen werden kann. Für den Entleiher ist der Vorgang steuerlich neutral. Bei ihm wäre die Dividende nach § 8b Abs. 7 KStG steuerpflichtig gewesen. An die Stelle der Dividende tritt die Ausgleichszahlung als steuerpflichtige Betriebseinnahme. § 8b Abs. 10 KStG soll den beim Entleiher entstehenden Steuervorteil beseitigen, indem die für die Überlassung der Anteile geleisteten Entgelte (Ausgleichszahlung, Leihgebühr) nicht als Betriebsausgabe abgezogen werden dürfen.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass eine Wertpapierleihe nur dann steuerlich anzuerkennen ist, wenn der Entleiher als wirtschaftlicher Eigentümer angesehen werden kann. Das setzt voraus, dass die mit dem Eigentum an Wertpapieren verbundenen Chancen und Risiken tatsächlich auf ihn übergegangen sind.
Da es am wirtschaftlichen Eigentum der X fehlte, konnte der BFH offen lassen, ob die Aktien auch deshalb der Y zuzurechnen sind, weil die Übertragungsvorgänge als rechtsmissbräuchlich i.S. von § 42 AO anzusehen wären.
BFH, Urteil v. 18.8.2015, I R 88/13, veröffentlicht am 13.1.2016
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