Änderungsarbeit ist selten ein Neuanfang im eigentlichen Sinne, sondern baut auf Vorerfahrungen und Einstellungen aller Beteiligten auf. Nur wenige Änderungsimpulse und realisierte Veränderungen erweisen sich sofort als befriedigend und vorteilhaft. Vielmehr ist der Verzicht auf Gewohnheiten, Haltungen oder Regeln mit Verunsicherung verbunden, die mit Willenskraft gesteuert werden muss - nicht selten über lange Zeiträume. Es kommt erst dann zu einem selbst tragenden Prozess, wenn der Veränderungsgewinn spürbar wird. Während der "Durststrecke" erleben die Änderungsbeteiligten immer wieder von außen oder innen die Versuchung, zu den alten Gewohnheiten zurückzukehren oder konkurrierende Ziele anzusteuern, die vermeintlich noch besser sind, bevor das vereinbarte Ziel erreicht ist. Organisationsentwicklung ist deswegen so schwierig, weil Veränderungen dort anfangen, wo sie dem größten Widerstand ausgesetzt sind: Im Kopf der Menschen (Heyse, 2011).
Einige Quellen von Widerstand seien etwas näher betrachtet. Die Leserinnen und Leser sollten ihre bisherigen Projekterfahrungen damit in Beziehung setzen. Zunächst geht es um individuelle Änderungshindernisse.
Man muss normalerweise mit drei Arten von Widerständen gegen einen Veränderungsplan rechnen:
- Ich-Hindernisse in der einzelnen Person: Z. B. widersprüchliche Motivation, fehlende Fähigkeiten, Übungsmangel, Überforderung, fehlende Selbstkonkordanz, typische Entschuldigungen
Definition: Selbstkonkordanz Selbstkonkordanz wird als das Ausmaß definiert, mit dem einerseits die Ziele und andererseits die authentischen Interessen und Werte einer Person vereinbar sind. |
- Du-Hindernisse durch Mitmenschen bzw. Interaktionspartner: Partner, Freunde, Kollegen, Vorgesetzte, Untergebene und andere relevanten Gruppen, die negativ auf geändertes Verhalten reagieren
- Es-Hindernisse in der Organisation: Zeitmangel, ungünstige Strukturen, Denkströmungen, Rechtsunsicherheit, Ressourcenmangel
Wenn hier ernsthafte Barrieren deutlich werden, muss man sich damit ausdrücklich befassen und ggf. zunächst einen Plan für deren Bewältigung entwerfen.
Subjektive Theorien reflektieren
Alle Betroffenen haben mehr oder weniger prägnante Vorstellungen und Prioritäten, welche Aspekte ihrer Arbeit - Verfahrensweisen, Gewohnheiten oder Regeln und Organisationsstrukturen - sie unter gesundheitlichen Aspekten für besonders erhaltens- oder änderungswürdig halten. Änderungsbedürfnis und Veränderungsbereitschaft hängen ganz wesentlich von diesen "subjektiven Theorien" ab. Die subjektiven Theorien von Schulleiterinnen und Schulleitern darüber, wie Menschen oder eine Schule zu führen seien, was eine gute und gesunde Schule ist usw., wirken sich u. a. auf ihren Führungsstil und ihre Innovationskonzepte aus. Auch Lehrkräfte selbst, Schülerinnen, Schüler und Eltern haben subjektive Theorien darüber, was ein guter Lehrer, eine gute Schule und Schulleitung ist. Diese müssen nicht unbedingt kongruent sein. Wenn darüber nicht kommuniziert wird, resultieren Konflikte, Misstrauen und Widerstand. Argyris (1990) unterscheidet in diesem Zusammenhang offiziell vertretene Theorien und Leitsätze, wie gute Praxis im Prinzip funktionieren sollte (= expoused theory), von den Theorien, die der realisierten Praxis zugrunde liegen und diese rechtfertigen (= theory in use). Nicht selten stimmt beides nicht überein ("Sie predigen Wasser und trinken Wein").
Definition: Subjektive Theorien Subjektive Theorien sind Modelle von Wirklichkeit, mit denen wir versuchen, uns die Welt zu erklären, indem wir subjektiv plausible Zusammenhänge zwischen Ereignissen und Erscheinungen in unserer Erlebniswelt herstellen oder Ursachen und Wirkungen für uns definieren. Sie sind in hohem Maße individuell, können aber auch von Gruppen geteilt werden, deren Mitglieder ähnlich denken. Wir entwickeln sie aufgrund unserer Erfahrungen, durch soziale Kontakte und angeeignetes Wissen. Wissenschaftlich-objektive Theorien beruhen hingegen auf systematischer Forschung unter professionellen Standards. Die subjektiven Modelle können mehr oder minder differenziert wissenschaftlich fundierten Theorien oder der "objektiven" Wirklichkeit angemessen sein. In der Regel wird man sich der eigenen subjektiven Theorien erst in der Auseinandersetzung mit anderen Personen bewusst; dennoch haben sie großen Einfluss auf unser Handeln und Denken und sind schwer aufzubrechen, selbst wenn objektive Erkenntnisse dagegenstehen. |
Bemerken die Akteure jedoch nicht, dass ihre tatsächliche Praxis von ihren subjektiven Theorien abweicht, fehlt ihnen die Inkongruenz-Erfahrung mit dem Impuls zur Veränderung.
Unterschiedliche Problemwahrnehmung verstehen
Widerstände in einem Kollegium zu Beginn und im Verlauf von Veränderungsprozessen können auch daraus resultieren, dass die Kolleginnen und Kollegen sich auf unterschiedlichen Stufen der Problemwahrnehmung befinden und sich nicht im Gleichtakt eines Veränderungsprozesses bewegen. Daraus entstehende Skepsis und Zurückhaltung sollten zunächst als normale und ...