Elektrische Gefährdungen bei Gewittern und Blitzereignissen beruhen im Wesentlichen auf Durchströmungen des menschlichen Körpers mit elektrischem Strom. Daher sind Erkenntnisse von Elektrounfällen auf direkte und indirekte Blitzunfälle weitgehend übertragbar.
Direkte Wirkungen
Wesentlicher Unterschied zum normalen Wechselstromunfall ist der schnelle zeitliche Ablauf eines Blitzereignisses, wobei der Scheitelwert des Blitzstroms bereits nach circa 10 μs erreicht wird.
Der größte Teil des Blitzstroms dringt daher nicht in den menschlichen Körper ein, sondern fließt über dessen Oberfläche ab (Skineffekt). Nur ein geringer Teil führt zur eigentlichen Körperdurchströmung, die zur Reizung von Nerven-, Muskel- und Sinneszellen sowie zur Beeinflussung der Herzaktion führen kann. Je nach Höhe des Körperstroms können sich reversible oder irreversible biologische Wirkungen ergeben.
Reversible Gesundheitsschädigungen sind z. B. Taubheitsgefühl und Lähmungserscheinungen in den betroffenen Körperteilen, Störungen des Gleichgewichtssinns und vorübergehende Bewusstseinsstörungen.
Bei höheren Stromstärken, die an den Ein- und Austrittstellen am Körper so genannte "Strommarken" hinterlassen können, kann es zu Herzkammerflimmern, bis hin zu dauerhaften Schäden des zentralen Nervensystems und des Herzens kommen. Möglich ist auch ein akuter Atem- und Herzstillstand oder der Tod der betroffenen Person.
Indirekte Wirkungen
Bei Blitzereignissen kommt es – auch über große Distanzen hinweg – zu raschen Veränderungen in den elektrischen und magnetischen Feldern. Aufgrund von Influenz- und Induktionswirkungen können dadurch indirekte Gefährdungen auftreten.
Influenzwirkungen
Durch die elektrische Ladung der Gewitterwolke werden am Boden und auf allen in Bodennähe befindlichen metallischen Objekten, z. B. Flugzeugen, Ladungen influenziert.
Die negative Wolkenladung ruft an der Oberseite des Flugzeugs eine positive Influenzladung hervor – siehe Abbildung 3a) – die an der Unterseite des Flugzeugs durch eine gleich große negative Spiegelladung kompensiert wird. Das Flugzeug ist trotz dieser erzwungenen Ladungstrennung weiterhin potentialfrei. Die am Erdboden auftretende positive Influenzladung wiederum kompensiert die an der Flugzeugunterseite vorhandene negative Ladung.
Über vorhandene Leckwiderstände, wie z. B. Fahrwerk und angeschlossene Versorgungsleitungen, können sich die bodennahen Ladungen ganz oder teilweise aufheben – siehe Abbildung 3b).
Abb. 3 Indirekte Gefährdungen an leitfähigen Objekten in Bodennähe aufgrund von Influenz
Die an der Oberseite des Flugzeugs vorhandene positive Ladung wird jedoch weiterhin durch die entsprechende Ladung der Gewitterwolke fixiert. Wird jedoch durch eine – auch weit entfernte – Blitzentladung die Ladung der Gewitterwolke verringert oder entfernt, so bleibt ein geladenes Flugzeug zurück, an dem gefährliche Berührungsspannungen und -ströme auftreten – siehe Abbildung 3c). Diese können für Personen in unmittelbarer Nähe des Luftfahrzeugs oder für jemand, der mit ihm in Kontakt steht, ähnliche Gefährdungen zur Folge haben, wie ein direkter Blitzschlag.
Induktionswirkungen
Gemäß dem Induktionsgesetz rufen zeitlich veränderliche Magnetfelder in leitfähigen Gebilden Spannungen hervor, die umso höher sind, je schneller die zeitliche Änderung erfolgt und je höher das Magnetfeld ist. Da die Stromstärke dem auftretenden Magnetfeld proportional ist und Blitzereignisse gleichzeitig mit hohen Stromänderungsgeschwindigkeiten und damit schnellen zeitlichen Änderungen des Magnetfelds einhergehen, können an allen leitfähigen Gebilden gefährliche Berührungsspannungen und -ströme auftreten. Auch hier ergeben sich ähnliche Gefährdungen wie beim direkten Blitzeinschlag für alle Personen, die mit diesen Objekten in Kontakt stehen oder sich in deren unmittelbarer Umgebung befinden.
Spannungstrichter
Schlägt der Blitz in den Erdboden ein oder wird er über Objekte oder Blitzableiter in den Boden abgeleitet, so bildet sich aufgrund der begrenzten Leitfähigkeit des Erdreichs und der hohen Blitzströme ein so genannter "Spannungstrichter" im Erdboden aus – siehe Abbildung 4. Dabei können auch zwischen zwei unmittelbar benachbarten Punkten gefährliche Spannungsdifferenzen auftreten.
Befindet sich eine Person in der Nähe eines solchen Einschlagspunktes, so können sich bereits durch den Abstand der Füße, die so genannte "Schrittspannung US", lebensgefährliche Körperspannungen und -ströme ergeben. Gleiches gilt für die beim Berühren von Objekten oder anderen Personen auftretende Berührungsspannung UB, siehe Abbildung 4.
Abb. 4 Spannungstrichter nach Blitzentladung