Eine mögliche Erklärung, warum die menschliche Wahrnehmung störanfällig ist, kann in der Evolution des Menschen gesehen werden. Beim Kampf um das eigene Überleben war es entscheidend, schnell Vorannahmen über die umgebende Welt zu treffen und schnell und v. a. angemessen zu reagieren. Vorannahmen sorgen zwar dafür, dass man sich auch mal irrt. In den meisten Fällen war das jedoch hilfreich. Überspitzt formuliert war es besser, beim Anblick eines Raubtiers sofort die Flucht zu ergreifen, als die Situation zu ergründen und gefressen zu werden.
Störungen oder Fehler werden auch als kognitive Verzerrungen bezeichnet. Kognitive Verzerrungen sind so vielfältig, dass eine vollständige Auflistung kaum möglich ist. In der Literatur werden über 100 solcher "Wahrnehmungsfehler" beschrieben. Nachfolgend werden die relevantesten für die Praxis kurz skizziert.
3.1.1 Der fundamentale Attributionsfehler
Menschen tendieren dazu, das Verhalten anderer Personen auf Persönlichkeitseigenschaften zurückzuführen und nicht auf situative oder Umweltfaktoren. Wenn der Mitarbeiter seine Arbeit nicht korrekt erledigt, dann kann der Schluss naheliegen, dass er die Aufgabe nicht bewältigt hat, weil er es nicht wollte oder sich nicht angestrengt hat. Dabei könnte es genauso gut sein, dass die Informationen nicht ausreichend waren oder andere Faktoren ihn daran gehindert haben (ein anderer Termin, ein Zwischenfall etc.). Bei eigenem Fehlverhalten neigen Personen hingegen dazu, eher die äußeren Faktoren höher einzuschätzen ("Ich konnte die Aufgabe gar nicht schaffen, weil ...").
3.1.2 Dunning-Kruger-Effekt
Dunning und Kruger (die hierfür den alternativen Nobelpreis erhielten) zeigten bei bestimmten Aufgaben, dass Unwissenheit zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen. Weniger kompetente Personen neigen demnach dazu, die eigenen Kompetenzen höher einzustufen, als sie sind, und überlegene Fähigkeiten von anderen nicht anzuerkennen etc. Im Gegenzug schätzen sich Experten oftmals als weniger kompetent ein.
Die simple Erklärung für den Effekt könnte darin liegen, dass jemand, der inkompetent ist, nicht wissen kann, dass er inkompetent ist, wohingegen Experten oft sehr viel besser einschätzen können, was sie alles nicht so genau wissen. Die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, sind genau die Fähigkeiten, die man braucht, um eine Lösung als falsch oder richtig zu bewerten. Für die Praxis in der Führungs- oder Teamarbeit ist relevant, dass Selbstvertrauen, Auftreten und Kompetenz nicht zusammenhängen müssen.
3.1.3 Halo-Effekt
Bei diesem Effekt wird von bestimmten Eigenschaften einer Person auf andere Eigenschaften geschlossen. Forschungen in diesem Bereich haben dazu geführt, dass die Auswahl von Profisportlern und später auch Mitarbeitern grundlegend überarbeitet wurde. Talentsucher ließen sich beispielsweise von der Athletik oder Statur eines Sportlers, die sie an Spitzensportler erinnerte, dazu verleiten, diese besser zu bewerten und ihnen Fähigkeiten zuzusprechen, die sie gar nicht hatten.
Aus diesem Grund wurden objektivere, datengestützte Verfahren eingeführt. Der "Wahrnehmungsfehler", dass man eine eloquente und redegewandte Person als kompetenter einschätzt als eine eher in sich gekehrte und zurückhaltende Person, ist dennoch im Alltag jedem geläufig und ein oft genannter Kritikpunkt an z. B. mündlichen Prüfungen.
3.1.4 Verzerrung zugunsten der Gewinner
Diese Verzerrung bezeichnet einen statistischen Fehlschluss. "Gewinner" haben im Alltag eine höhere Sichtbarkeit und ihnen wird mehr Aufmerksamkeit zuteil als "Verlierern". Hat es jemand "vom Tellerwäscher zum Millionär" geschafft, werden oftmals alle anderen, die es nicht geschafft haben, vernachlässigt.
Englische Ingenieure im 2. Weltkrieg
Die Ingenieure wollten die Panzerung der Flugzeuge verbessern, um die Überlebensrate der Piloten zu verbessern.
Dazu wurden die zurückgekehrten Flugzeuge untersucht und die Panzerung wurde an den Stellen, an denen die meisten Einschusslöcher waren, verstärkt. Die Überlebensrate hat sich dadurch jedoch nicht verbessert.
Erst später wurde der Irrtum erkannt und es wurden die Stellen gepanzert, die keine Einschusslöcher aufwiesen, da Treffer an diesen Stellen offensichtlich die Rückkehr unmöglich machten: Die Ingenieure hatten im ersten Versuch jene Stellen am Flugzeug verstärkt, denen Einschusslöcher offenbar nicht schadeten, sodass sie zurückkehren konnten. Jene Flugzeuge, die abgestürzt waren, hatten an anderen, kritischeren Stellen, Einschlusslöcher – dies waren genau die Stellen, die eigentlich verstärkt hätten werden müssen. Die Überlebensrate der Piloten wurde dadurch gesteigert.
In der Praxis ist das beispielsweise für Mitarbeiterbefragungen interessant. Mitarbeiter, die eine positive Einstellung haben und zufrieden sind, werden eher an der Befragung teilnehmen als unzufriedene Mitarbeiter. Die unzufriedenen Mitarbeiter werden dadurch nicht berücksichtigt und das Ergebnis verzerrt sich: Das Ergebnis wirkt positiver, als es ist.
3.1.5 Rückschaufehler
Der Rückschaufehler bezeichnet das Phänomen, dass das Eintreten eines Ereignisses, nachdem es eingetreten ist, als wah...