Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 355
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Mit hohen Erwartungen auf allen Seiten veröffentlichte der IASB am 17. April 2014 ein Diskussionspapier, in welchem er sich erstmals ausschließlich der Thematik der Absicherung offener Portfolien widmete (DP/2014/1 Accounting for Dynamic Risk Management: a Portfolio Revaluation Approach to Macro Hedging; s. stellvertretend Garz/Wiese, PiR 2014, S. 289ff.; Gehrer/Krakuhn/Stepanova, IRZ 2014, S. 293ff.; Geisel, WPg 2014, S. 813ff.; Wüstemann/Backes, BB 2015, S. 299ff.). In dem gut 100 Seiten starken Papier stellte er heraus, dass man sich zunächst auf das Zinsänderungsrisiko und damit auf den Finanzdienstleistungssektor konzentriere; weitere Risikoarten und Branchen sollten im Nachgang untersucht werden (zu denken wäre hier bspw. an die Energiewirtschaft mit ihren langfristigen Stromlieferverträgen). In dem Diskussionspapier werden nahezu alle kritischen Fragen angesprochen, die im Zuge der Entwicklung von IAS 39 und nachfolgend IFRS 9 va. von der Kreditwirtschaft aufgebracht worden waren: Absicherungen von Nettopositionen, die Steuerung mittels interner Geschäfte, die Absicherung von Sub-Libor-Geschäften sowie die Einbeziehung von Einlagengeschäft, Eigenkapital und sog. Pipeline-Geschäften, um nur einige zu nennen. Akribisch arbeitete der IASB auf, wie Kreditinstitute ihre Zinsrisikosteuerung vornehmen und wie man in der Risikosteuerung getroffene Entscheidungen für Zwecke der Rechnungslegung nachbilden könne. Dafür wurde ein eigenständiges optionales Bewertungsmodell entwickelt, der Portfolio Revaluation Approach, kurz: PRA. Bereits an der Bezeichnung "Neubewertung" wird deutlich, dass bei diesem Ansatz Festzinsrisiken im Zentrum der Betrachtung stehen, weil es nur dort etwas zu bewerten gibt. Man könnte den PRA daher mit Recht als eine Weiterentwicklung des bestehenden Portfolio Fair Value Hedge Accountings betrachten. Im Umkehrschluss bedeutet dies zwangsläufig, dass Unternehmen, die die Absicherung von Einkommensrisiken ins Zentrum ihres Risikomanagements stellen, mit dem vorgelegten Vorschlag wenig anfangen können.
Tz. 356
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Im Kern ist das vom IASB vorgelegte Dokument kein klassisches Diskussionspapier, in welchem verschiedene Vorschläge unterbreitet und gegeneinander abgewogen (eben: diskutiert) werden. Vielmehr ist es vorrangig eine Darstellung, wie die Zinsrisikosteuerung in Großbanken heute abläuft und welche Nüsse "es zu knacken" gelte, wolle man das Handeln der Risikomanager bilanziell abbilden. Bilanzierungskonsequenzen findet man in dem Papier nur wenige, weshalb sich unmittelbar auch keine Prognosen zum weiteren Projektverlauf abgeben lassen. Deutlich wird an der Ausarbeitung aber eines: Wollte man dem stetig vorgetragenen Wunsch nachkommen, Risikomanagement und Bilanzierung synchron zu halten, wird man mit so ziemlich jeder maßgeblichen Bilanzierungskonvention der vergangenen 500 Jahre brechen müssen – ein exemplarischer Vorgeschmack auf drei Aspekte:
- Man müsste die heute bestehenden Elementarbausteine "Vermögenswert" und "Schuld" deutlich granularer fassen. Wie in Tz. 274 dargestellt, arbeitet das Risikomanagement mit (Teilen von) erwarteten (Netto-)Zahlungsströmen (vgl. Tz. 274). Solange ein individueller Zahlungsstrom betrachtet würde, ließe sich eindeutig klären, ob ein Anspruch (Vermögen) oder eine Verpflichtung (Schulden) vorläge; erweitert man aber die Betrachtungsebene auf Nettozahlungsströme, die in einigen Laufzeitenbändern zu (erwarteten) Ein-, in anderen zu (erwarteten) Auszahlungen führen, ist dies mit dem gegebenen Baukasten des Rahmenkonzepts nicht mehr darstellbar.
- In der Risikosteuerung wird vielfach noch nicht kontrahiertes Geschäft real bestehenden Transaktionen gleichgestellt; Wollte man dies reflektieren, ergäben sich neben entsprechenden Ergänzungen bei den Elementarbausteinen erhebliche Konsequenzen für die Ansatzvorschriften. Die Rechnungslegung als Darstellung eines Ist-Zustands hätte ausgedient, mit allen daran hängenden Folgen.
- Die Berücksichtigung interner Geschäfte in der Bilanzierung stellt klassische Konsolidierungsvorschriften elementar infrage. Die Nichtabbildung von In-sich-Geschäften ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der weit über die Bilanzierung hinausgeht und in vielen anderen Rechtsbereichen – genannt seien stellvertretend Steuer-, Gesellschafts- und Schuldrecht – Geltung besitzt.
Neben der Erarbeitung von Lösungen für diese und viele weitere Fragen käme eine Metaaufgabe hinzu, die vermutlich noch viel schwieriger zu lösen sein wird: die Lieferung einer stichfesten Begründung, warum all diese Durchbrechungen klassischer Bilanzierungsnormen eigentlich für Zwecke der Abbildung von Sicherungsmaßnahmen zulässig und akzeptabel sein sollten, ansonsten aber indiskutabel sind. Warum erteilen wir der Berücksichtigung kalkulatorischer Kosten oder der Einbeziehung von Controlling-Daten in die Rechnungslegung grundsätzlich eine Absage, haben aber bei Größen aus der Risikosteuerung kein Störgefühl? Warum kann ein...