Prof. Dr. Hanne Böckem, Dennis Bröcker
I. Überblick
Tz. 1
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Im Rahmen von Kapitalmarkttransaktionen und M&A-Transaktionen ist es regelmäßig erforderlich, historische Finanzinformationen nach IFRS zu erstellen und prüfen zu lassen. Wenn es sich bei dem zu notierenden und/oder zu verkaufenden Geschäftsbereich aber weder um eine rechtlich selbständige Einheit noch um einen (Teil-)Konzern handelt, kann die historische Geschäftstätigkeit nicht durch Einzel- oder Konzernabschlüsse iSd. IFRS 10 dargestellt werden. In der Praxis haben sich für diese Fälle sog. kombinierte Abschlüsse etabliert.
Tz. 2
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Die Aufstellung von kombinierten Abschlüssen ist in den IFRS nicht explizit geregelt. Jedoch enthält das in 2018 veröffentlichte Conceptual Framework des IASB Ausführungen zur Abgrenzung einer Berichtseinheit, wobei auch explizit kombinierte Abschlüsse als Abschlüsse einer Berichtseinheit genannt werden. Gemäß dem Conceptual Framework sind kombinierte Abschlüsse "Abschlüsse einer berichtenden Einheit, die zwei oder mehr Unternehmen umfassen, die nicht durch eine Mutter-Tochter-Beziehung verbunden sind" (vgl. Conceptual Framework (2018), Tz. 3.12). UE ist es daher zulässig, kombinierte Abschlüsse in Übereinstimmung mit den IFRS aufzustellen. Explizite Vorgaben, in welchen Fällen und nach welchen Grundsätzen kombinierte Abschlüsse aufgestellt werden können, werden vom IASB bislang jedoch nicht gegeben (vgl. Conceptual Framework (2018), Basis for Conclusion, BC3.21). Auf die vielfältigen Regelungen im US-amerikanischen Kapitalmarktumfeld wird in der vorliegenden Kommentierung nicht eingegangen.
Tz. 3
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Zu den spezifischen Fragestellungen bei der Aufstellung kombinierter Abschlüsse zählen in Praxis und Fachliteratur insbesondere die Abgrenzung des Kombinierungskreises und damit verbunden die Zuordnung von Vermögenswerten und Schulden sowie die Allokation von Aufwendungen und Erträgen zur Berichtseinheit, der Umgang mit auflebenden konzerninternen Transaktionen sowie die Bestimmung der anzusetzenden Buchwertbasis. Eine umfassende Darstellung von Lösungsansätzen bietet das von der Capital Markets Working Party der Federation of European Accountants (FEE, heutige: Accountancy Europe) im Februar 2013 veröffentlichte Working Paper "Combined and Carve-Out Financial Statements – Analysis of Common Practices", in dem die Praxis der Aufstellung von kombinierten und carve-out-Abschlüssen nach den IFRS analysiert wird. Auch das IDW hat die Relevanz des Themas erkannt und mit der Modulverlautbarung IDW RS HFA 50, IFRS 1 – M1 ausgewählte praktische Handreichungen veröffentlicht. Die Modulverlautbarung befasst sich im Schwerpunkt mit dem Übergang von einem kombinierten Abschluss unter Anwendung der sog. extraction method auf den konsolidierten Folgeabschluss (vgl. Tz. 76ff.).
II. Begriffsabgrenzung
Tz. 4
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
In der Praxis werden die Begriffe "kombinierter Abschluss" und "Carve-out-Abschluss" häufig synonym verwendet. In der deutschen Fachliteratur wird idR folgendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt (vgl. Pföhler et al., WPg 2014, S. 476):
1) |
Kombinierter Abschluss ieS: Zusammenfassung von Finanzinformationen für zwei oder mehr rechtlich selbständigen Einheiten, die Teil desselben Konzerns sein können oder auch nicht, aber für sich genommen nicht die Definition eines Konzerns (group) gem. der einschlägigen Rechnungslegungsstandards, hier insb. IFRS 10, darstellen. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet die Erstellung eines kombinierten Abschlusses, dass die Finanzinformationen von zwei oder mehr rechtlich selbstständigen Einheiten addiert und darauffolgend sämtliche interne Transaktionen, wie z. B. interne Umsatztransaktionen mit Zwischengewinnen, Erträge und Aufwendungen aus internen Dauerschuldverhältnissen sowie Forderungen und Verbindlichkeiten eliminiert werden. |
2) |
Carve-out-Abschluss: Finanzinformationen für einen Ausschnitt aus einer größeren Berichtseinheit. Das kann sowohl ein Teil einer rechtlichen Einheit, aber auch eine Kombinierung von Teileinheiten mehrerer rechtlicher Einheiten sein. |
Als Überbegriff wird zumeist der Begriff "kombinierter Abschluss" genutzt (vgl. Pföhler et al., WPg 2014, S. 476). Im Folgenden wird entsprechend ausschließlich der Begriff "kombinierter Abschluss" verwendet.
III. Arten von Finanzinformationen
Tz. 5
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Finanzinformationen lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien klassifizieren. Zunächst lässt sich zwischen retrospektiven (vergangenheitsorientierten) und prospektiven (zukunftsorientierten) Finanzinformationen differenzieren.
Während retrospektive Finanzinformationen die Vergangenheit abbilden, werden bei prospektiven Finanzinformationen für die Zukunft erwartete Geschäftsvorfälle und Transaktionen abgebildet. Zu den prospektiven Finanzinformationen zählen insbesondere Prognosen (forecasts) und Projektionen (projections), auf die hier nicht näher eingegangen wird (vgl. zu den Definitionen von Prognosen und Projektionen ISAE 3400, Tz. 4f.). Die Klassifikation von Finanzinformationen ist in fo...