Leitsatz
1. Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Einsicht in eine Steuerakte außerhalb eines finanzgerichtlichen Verfahrens besteht nicht, wenn der Steuerpflichtige für den betroffenen Besteuerungszeitraum bereits bestandskräftig veranlagt wurde und die Einsichtnahme der Verfolgung steuerverfahrensfremder Zwecke dienen soll (hier: Prüfung eines Schadenersatzanspruchs gegen den ehemaligen Steuerberater).
2. Der Anspruch auf Auskunftserteilung über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 Abs. 1 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wird nicht nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) ausgeschlossen, wenn hierdurch auch Daten berührt werden, die dem (ehemaligen) Steuerberater der betroffenen Person zuzuordnen sind, allerdings aus einer Erklärung stammen, die der Steuerberater als deren Vertreter im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 1 AO übermittelt hat.
3. Gesetzliche Aufbewahrungsvorschriften für Steuerakten der Finanzverwaltung bestehen nicht, sodass ein Auskunftsrecht über darin enthaltene personenbezogene Daten nicht nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AO ausgeschlossen ist.
Normenkette
Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4, Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO, § 30 Abs. 2 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 2, § 32c Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 3 Buchst. a, § 80 Abs. 1 Satz 1, § 91 Abs. 1 AO, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a, § 242 BGB, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 41 Abs. 1 und 2 EUGrdRCh
Sachverhalt
Das FA hatte gegen die Kläger ESt für 2015 festgesetzt. Nach Bestandskraft des Bescheids beantragten die Kläger Einsicht in die für sie geführte Einkommensteuerakte. Sie führten an, ihr damaliger Steuerberater habe sie nicht über den Gang des Veranlagungsverfahrens informiert, sie erwogen, einen Schadenersatzanspruch gegen den Steuerberater geltend zu machen. Das FA lehnte den Antrag ab, wogegen sich die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage wandten.
Während des Klageverfahrens beantragten die Kläger beim FA unter Bezugnahme auf Art. 15 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 DSGVO die Einsichtnahme in die Einkommensteuerakte. Auch diesen Antrag lehnte das FA ab. Die Kläger erhoben hiergegen ebenfalls Klage, die mit Urteil vom 28.1.2020 – 12 K 213/19, Haufe-Index 13768026, EFG 2020, 665, abgewiesen wurde.
Auf die Revision der Kläger hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Die (zweite) Klage sei wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig, könne vom FG aber mit der zuerst anhängig gemachten Klage, über die seinerzeit noch nicht entschieden war, verbunden werden (BFH, Urteil vom 8.6.2021, II R 15/20, BFH/NV 2022, 34).
Nachdem beide Sachen miteinander verbunden worden waren, gab das FG den Klagen statt und verpflichtete das FA, den Klägern "Einsicht in die Einkommensteuerakte des Veranlagungszeitraums 2015 zu gewähren und den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO zu erfüllen" (Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.3.2022, 7 K 11127/18, Haufe-Index 15147260, EFG 2022, 816).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hat der BFH das Urteil des FG insoweit aufgehoben, als das FA verpflichtet wurde, Einsicht in die Einkommensteuerakte des VZ 2015 zu gewähren. Insoweit wurde die Klage abgewiesen. Soweit das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO betroffen war, wies der BFH die Revision des FA zurück. Da kein Ausschlussgrund vorliege, habe das FG zu Recht erkannt, dass das FA den von den Klägern geltend gemachten Auskunftsanspruch "zu erfüllen" hat.
Hinweis
Die Entscheidung stellt wiederum klar, dass das Akteneinsichtsrecht und der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch (Art. 15 DSGVO) streng zu unterscheiden sind.
1. Bei bestandskräftigen Bescheiden besteht kein Recht auf Akteneinsicht, genauer auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung über den Antrag. Denn der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs wird in diesem Stadium grundsätzlich nicht mehr berührt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Bescheid mit einem Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 AO versehen ist und nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO eine Berichtigungspflicht des Steuerpflichtigen besteht.
2. Den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO gegen das FA hat das FG zutreffend bejaht. Nach Ansicht des BFH liegen auch keine Ausschlussgründe vor. Deutlich weist der BFH darauf hin, dass § 32c Abs. 1 Nr. 3 AO (auf den sich die Finanzverwaltung häufig beruft) nach derzeitiger Rechtslage leerläuft, weil es keine gesetzliche Aufbewahrungspflicht für Steuerakten gibt. Aufbewahrungspflichten sind nur zulasten des Steuerpflichtigen normiert (§ 147 AO). Diese Pflichten sind nicht auf die Finanzbehörde übertragbar und verpflichten diese deshalb nicht, die Steuerakten bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist aufzubewahren. Untergesetzlich auf ministerieller Ebene geregelte Pflichten zur Aufbewahrung von Steuerakten sind nach dem klaren Wortlaut der Norm nicht maßgeblich.
3. Nicht entscheiden musste der BFH, ob der ...