Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortsetzung des Einspruchsverfahrens gegen einen Duldungsbescheid nach Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerschuldners
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Recht des Schenkers, unter bestimmten Voraussetzungen seinen 4/5-Anteil am Grundstück von dem Beschenkten zurückfordern und seinem Vermögen wieder zuführen zu können, hat Vermögenswert. Der spätere unentgeltliche Verzicht auf dieses Recht ist eine unter den Voraussetzungen des § 1 AnfG (Gläubigerbenachteiligung) durch Duldungsbescheid gegenüber dem Beschenkten anfechtbare Rechtshandlung.
2. Ein Einspruchsverfahren gegen einen Duldungsbescheid, der sich durch die Unterbrechung nicht erledigt hat, wird mit der Eröffnung des (Regel-)Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerschuldners unterbrochen. Der Insolvenzverwalter kann das Verfahren durch einfache Erklärung gegenüber dem FA entsprechend § 17 Abs. 1 S. 2 AnfG aufnehmen.
3. Im sog. vereinfachten Insolvenzverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 313 Abs. 2 S. 1 InsO nicht der Treuhänder anstelle des Insolvenzverwalters, sondern der Gläubiger und damit bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis das FA berechtigt, das unterbrochene Verfahren fortzusetzen und den Anfechtungsanspruch geltend zu machen. Jedoch gehört der Anfechtungsanspruch nunmehr zur Insolvenzmasse (§ 143 InsO) und das FA darf das Verfahren nur noch „fremdnützig” zugunsten der Masse fortführen.
Normenkette
AnfG §§ 1-2, 4, 17 Abs. 1; AO § 191 Abs. 1, § 5; InsO § 313 Abs. 2 S. 1, § 143
Tenor
1. Der Duldungsbescheid vom 4. September 2008 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2011 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt das Finanzamt.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Streitig ist insbesondere, ob nach Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens eine Entscheidung über den Einspruch gegen einen Duldungsbescheid ergehen durfte.
Die Klägerin und ihr Ehemann (UR) waren zu 20/100 (Klägerin) und 80/100 (UR) Eigentümer des Grundstücks Astr. 7 in E. Mit notariellem Vertrag vom 9. Dezember 2003 überließ UR seinen 4/5 Miteigentumsanteil am vorbezeichneten Grundbesitz der Klägerin, so dass diese Alleineigentümerin geworden ist. Dabei wurde vereinbart, dass die Ehegatten weiter gemeinsam für das durch eine Grundschuld gesicherte Darlehen haften. Des Weiteren wurde unter 2.5 des Vertrags UR ein Rückforderungsrecht für den Fall eingeräumt, dass ein Ehepartner die Scheidung beantragt, die Klägerin vor UR stirbt, in Vermögensverfall gerät oder der übertragene Teil ohne Zustimmung von UR belastet, veräußert oder zur Zwangsvollstreckung gebracht wird.
Nachdem ein Duldungsbescheid gegen die Klägerin, mit dem das beklagte Finanzamt die unentgeltliche Überlassung des 4/5 Anteils von UR angefochten hatte, aufgrund Einspruchs aufgehoben wurde, pfändete es am 23. Juni 2008 den UR zustehenden „bedingten Rückforderungsanspruch”, weil dieser dem Freistaat Bayern 129.449,64 EUR schuldete. Die gepfändete Forderung wurde jedoch von der Klägerin nicht anerkannt, da UR am 9. Dezember 2007 auf sein, unter 2.5 im Überlassungsvertrag vereinbartes Rückübertragungsrecht zu ihren Gunsten verzichtet hatte.
Mit Datum vom 4. September 2008 erging an die Klägerin erneut ein Duldungsbescheid gemäß § 191 Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 4 des Anfechtungsgesetzes (AnfG). Wegen Abgabenschulden des UR in Höhe von zwischenzeitlich insgesamt 131.509,16 EUR wurde dessen unentgeltlicher Verzicht auf sein bedingtes Rückforderungsrecht vom 9. Dezember 2007 angefochten und der Klägerin mitgeteilt, dass sie entsprechend § 11 AnfG die Vollstreckung in das bedingte Rückübertragungsrecht zu dulden habe.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung wurde mit Schreiben vom 9. März 2009 vorgebracht, dass über das Vermögen des UR durch Beschluss des Amtsgerichts W vom 20. Oktober 2008 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, weshalb sich eine weitere Stellungnahme zum Duldungsbescheid erübrige. Auf die Aufforderung des Finanzamts, den Einspruch dennoch zu begründen, verwies die Klägerin auf § 16 AnfG. Das Finanzamt wies den Einspruch sodann mit Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2011 als unbegründet zurück. In den Entscheidungsgründen wies es darauf hin, dass im Falle einer Verbraucherinsolvenz jeder Insolvenzgläubiger zur Anfechtung von Rechtshandlungen des Insolvenzschuldners berechtigt sei, und stützte die Anfechtung nun auf § 133 Abs. 1 und § 134 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO).
Ihre hiergegen eingelegte Klage begründete die Klägerin im Wesentlichen damit, dass mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des UR das vom Finanzamt angestrengte Anfechtungsverfahren gemäß § 17 Abs. 1 AnfG unterbrochen sei und es zu einer Au...