Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmungen B 1 der Allgemeinen Vorschriften Im Teil I, Titel I des Gemeinsamen Zolltarifs können die Weitergeltung des § 22 Abs. 2 ZG nicht In Frage stellen.
2. Die Frage, ob der Vertragstarif für den Zollbeteiligten günstiger ist als der Zolltarif, kann nur nach dem Betrag beurteilt werden, der nach dem einen oder anderen Tarif als Zoll berechnet worden ist und nach § 36 Abs. 3 ZG für ihn als Zollschuld entsteht.
3. Wird eine Im passiven Veredelungsverkehr eingeführte Ware zum freien Verkehr abgefertigt, so kann die Entscheidung, ob der Vertragstarif für den Zollbeteiligten günstiger ist als der Zolltarif, nur getroffen werden, indem als Grundlage für die in § 52 Abs. 4 ZG geforderte Berechnung des Differenzzolls einmal der Vertragstarif und zum anderen Mal der Zolltarif angewandt wird.
Normenkette
GZT, Teil I, Titel I, Allgemeine Vorschriften B 1; ZG § 22 Abs. 2, § 52 Abs. 4, § 36 Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ in der Zeit vom 1. Oktober 1968 bis zum 11. September 1969 im passiven Veredelungsverkehr aus Jugoslawien eingeführte Unterkleidung zum freien Verkehr abfertigen. Bei der Erhebung des Zolls und dessen Verminderung nach § 52 Abs. 4 ZG wandte das Zollamt (ZA) den Vertragstarif an. Mit der Klage machte die Klägerin vergeblich geltend, nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 ZG sei der Vertragstarif nur anzuwenden, wenn er für den Zollbeteiligten günstiger sei als der Zolltarif. Das sei hier nicht der Fall. Die Anwendung des Vertragstarifs bei der Berechnung des Zolls für die veredelte Ware und die unveredelte Ware nach § 52 Abs. 4 ZG führe im vorliegenden Fall zu einer höheren Belastung als die Anwendung des Zolltarifs.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 22 Abs. 2 und 52 Abs. 4 ZG. § 22 Abs. 2 ZG könne nach seinem klaren Wortlaut nur dahin verstanden werden, daß sich der Vertragstarif gemäß seiner Aufgabe nur begünstigend auswirken solle und daher dort außer Betracht bleiben müsse, wo er gegenüber dem Zolltarif nachteilige Folgen hätte. Diese Regelung werde nicht durch § 52 Abs. 4 ZG modifiziert. Die hier geregelte Differenzverzollung unterscheide sich von einer normalen Verzollung nur darin, daß die Zollbelastung nicht unmittelbar aus dem Tarif entnommen werden könne, sondern erst nach einer Rechenoperation feststellbar sei. Dabei werde die Einfuhr der unveredelten Ware fingiert, so daß es sich bei dem diesbezüglichen Zollbetrag (dem Minderungsbetrag) nur um einen Berechnungsfaktor handele. Der Zollschuldner werde beim passiven Veredelungsverkehr wie bei der normalen Verzollung nur von einer einzigen Zollbelastung betroffen. Nur diese sei wirtschaftlich relevant und könne allein Ansatzpunkt für die Antwort auf die Frage sein, ob der Zolltarif oder der Vertragstarif anzuwenden sei. Nur wenn die den Zollschuldner treffende Zollbelastung bei Anwendung des Vertragstarifs niedriger werde, schließe § 22 Abs. 2 ZG die Anwendbarkeit des Zolltarifs aus.
Die Klägerin hat beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Abgaben nach dem Zolltarif festzusetzen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt – HZA –) hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er macht geltend:
Der Klägerin sei zuzugeben, daß § 22 Abs. 2 ZG nicht auf den Zollsatz, sondern auf die Zollbelastung abstelle und daß auch der Sinn dieser Vorschrift für ihre Auffassung spreche. Aber § 22 Abs. 2 ZG sei im vorliegenden Fall nicht mehr anwendbar, weil am 1. Juli 1968, also vor den Abfertigungen, die Verordnung Nr. 950/68 des Rates der EWG – VO (EWG) 950/68 – vom 28. Juni 1968 über den Gemeinsamen Zolltarif – GZT – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 22, Juli 1968 Nr. L 172/1 – ABlEG 1968 Nr. L 172/1 – in Kraft getreten sei und der durch sie eingeführte GZT unter B 1 der Allgemeinen Vorschriften im Teil I, Titel 1 eine ausdrückliche Regelung der Frage enthalte, wann autonome und wann vertragsmäßige Zollsätze anzuwenden seien. Diese Regelung verlange nur, beide Zollsätze miteinander zu vergleichen, kenne also nicht das im § 22 Abs. 2 ZG zum Ausdruck gekommene Begünstigungsprinzip.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
Die Vorschriften des Kapitels II des ZG über die Bemessung des Zolls bestimmen zunächst im § 21, daß der Zoll im Rahmen zwischenstaatlicher Verpflichtungen nach dem Zolltarif erhoben wird. § 22 Abs. 1 ZG läßt zu, daß durch zwischenstaatliche Vereinbarungen für bestimmte Waren Zollfreiheit oder andere Maßstäbe und Zollsätze als die des Zolltarifs festgesetzt werden, daß also „vertragliche Zollfreiheit” gewährt oder „vertragliche Zollsätze” festgesetzt werden. Es handelt sich hier um eine Ausnahmevorschrift gegenüber der im § 21 ZG festgelegten grundsätzlichen Maßgeblichkeit der Bestimmungen des Zolltarifs. § 22 Abs. 2 und 3 ZG bestimmen, wann „der Vertragstarif” angewandt wird, und verstehen mit diesem Begriff in Verbindung mit der vorangehenden Vorschrift des Abs. 1 die Gesamtheit vertraglicher Vorschriften, durch die für bestimmte Waren Zollfreiheit oder vom Zolltarif abweichende Maßstäbe und Zollsätze festgesetzt worden sind. Der Begriff „Vertragstarif” geht also über den Begriff „Zollsatz” hinaus. Wenn daher § 22 Abs. 2 Nr. 1 ZG vorsieht, daß der Vertragstarif angewandt wird, wenn er für den Zollbeteiligten günstiger ist als der Zolltarif, so ist der gebotene Vergleich danach anzustellen, wie sich die Zollerhebung nach dem einen oder anderen Tarif auf den Zollbeteiligten auswirkt. Es sind nicht etwa Zollsätze zu vergleichen und nicht die Belastung der Ware zu untersuchen.
Die Auffassung des HZA, § 22 Abs. 2 ZG sei im vorliegenden Fall wegen der im GZT enthaltenen Regelung der Anwendung autonomer und vertragsmäßiger Zollsätze nicht mehr zu beachten, kann der Senat nicht teilen. Abgesehen davon, daß § 22 Abs. 2 ZG die Anwendung eines Tarifs, die vom HZA erwähnte Bestimmung des GZT aber nur die Anwendung von Zollsätzen zum Gegenstand hat, wird der Gedanke des § 22 Abs. 2 ZG, das dem Zollbeteiligten günstigere Ergebnis herbeizuführen, im GZT a. a. O, durch die Vorschrift unterstützt, den autonomen Zollsatz anzuwenden, wenn der vertragsmäßige höher ist. Die erwähnten Bestimmungen des GZT können daher die Weitergeltung des § 22 Abs. 2 ZG nur bestätigen, nicht aber in Frage stellen.
Wird Zollgut gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1, §§ 35 ff. ZG zum freien Verkehr abgefertigt, so wird nach § 36 Abs. 1 ZG geprüft, ob es nach dem Zolltarif oder nach dem Vertragstarif oder aus anderen Gründen zollfrei ist. Ist das nicht der Fall, ist also Zoll zu erheben, so wird gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 ZG „der berechnete Zoll” von dem Zollbeteiligten als Zollschuldner angefordert. Eine Beziehung zwischen dem von der Zollstelle „berechneten Zoll” und dem Zollbeteiligten tritt erst mit der Bekanntgabe des Zollbescheides ein, da nach § 36 Abs. 3 Satz 2 ZG erst in diesem Zeitpunkt die Zollschuld in der Höhe entsteht, die sich aus den Zollvorschriften ergibt. Erst mit der Bekanntgabe des Zollbescheides wird der Zollbeteiligte durch den Zoll belastet. Die Frage, ob der Vertragstarif für ihn günstiger ist als der Zolltarif, kann daher nur nach dem Betrag beurteilt werden, der nach dem einen oder anderen Tarif als Zoll berechnet worden ist und nach § 36 Abs. 3 ZG für ihn als Zollschuld entsteht. Wird eine im passiven Veredelungsverkehr eingeführte Ware zum freien Verkehr abgefertigt, so ist „berechneter Zoll” im Sinne des § 36 Abs. 3 ZG gemäß § 52 Abs. 4 Satz 1 ZG derjenige Betrag, der verbleibt, wenn der Zoll für die eingeführte veredelte Ware um den Betrag gemindert wird, der als Zoll für die unveredelte Ware zu erheben gewesen wäre, wenn sie unter den gleichen Umständen zum freien Verkehr abgefertigt würde. Da erst mit der Bekanntgabe dieses Restbetrages (Differenzzolls) an den Zollbeteiligten in dessen Person die Zollschuld entsteht, kann die Entscheidung im Sinne des § 22 Abs. 2 ZG, ob der Vertragstarif für den Zollbeteiligten günstiger ist als der Zolltarif, nur getroffen werden, indem als Grundlage für die im § 52 Abs. 4 ZG geforderte Berechnung des Differenzzolls einmal der Vertragstarif und zum anderen Mal der Zolltarif angewandt wird (vgl. auch Sauer in Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters 1970 S. 558 – AWD 1970, 558 –).
Der Senat tritt damit der Auffassung der Klägerin bei, daß der Zollbeteiligte bei der Verzollung einer im passiven Veredelungsverkehr eingeführten Ware wie bei einer normalen Verzollung nur mit einer einzigen Zollschuld belastet wird und daß nur nach der Höhe des gemäß § 52 Abs. 4 ZG errechneten Differenzzolls gemäß § 22 Abs. 2 ZG die Frage beantwortet werden kann, ob der Vertragstarif für den Zollbeteiligten günstiger ist als der Zolltarif. Die Klägerin hat auch zutreffend darauf hingewiesen, daß sich die Differenzverzollung nach § 52 Abs. 4 ZG von der normalen Verzollung nur insofern unterscheidet, als bei ihr der für die Belastung des Zollbeteiligten in Betracht kommende Betrag nicht unmittelbar durch Anwendung eines Tarifs auf die veredelte Ware, sondern erst durch eine Rechenoperation ermittelt werden kann und daß der Zollbetrag, der für die unveredelte Ware zu erheben wäre, wenn sie unter den gleichen Umständen zum freien Verkehr abgefertigt würde, lediglich einen Berechnungsfaktor darstellt. Da die nach § 22 Abs. 2 ZG zu entscheidende Frage, welcher Tarif für den Zollbeteiligten günstiger ist, nur nach dem Ergebnis der nach § 52 Abs. 4 ZG anzustellenden Rechenoperation beantwortet werden darf, kann die in § 52 Abs. 4 Satz 1 ZG für die fiktive Abfertigung der unveredelten Ware enthaltene Forderung, daß sie „unter den gleichen Umständen” geschieht, nicht ihrerseits schon Anlaß geben, bei der Bemessung des für die fiktive Abfertigung in Betracht kommenden Zolls eine Entscheidung nach § 22 Abs. 2 ZG zu treffen. Das wird von Schulz-Zimmermann (Der Veredelungsverkehr, 1/37/9 und 10, Fußnote 2 S. 3) nicht bedacht.
Das FG und das HZA haben übersehen, daß auch § 52 Abs. 4 ZG dazu dient, den Zoll zu berechnen, der nach § 36 Abs. 3 ZG als Zollschuld und damit als Belastung des Zollbeteiligten in Betracht kommt, die allein maßgeblich dafür sein kann, welcher Tarif für den Zollbeteiligten günstiger ist. Die Auffassung des FG, § 52 Abs. 4 ZG spreche von einer Minderung des autonomen und des Vertragszolls für die veredelte Ware, widerspricht dem Wortlaut des Gesetzes, da dort nur vom „Zoll” schlechthin die Rede ist.
Das FG hat somit zu Unrecht das mit der Klage verfolgte Begehren abgelehnt, die Zollbescheide in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 1969 insoweit aufzuheben, als der Steuerberechnung nicht der Zolltarif zugrunde gelegt worden ist. Sein Urteil war daher aufzuheben. Da das FG-Urteil keine Feststellungen über die Besteuerungsgrundlagen und über den tatsächlichen Inhalt der angefochtenen Verwaltungsakte enthält, die Sache also nicht Spruchreif ist, war sie an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 514674 |
BFHE 1973, 402 |