Entscheidungsstichwort (Thema)
Fusionsrichtlinie
Normenkette
AEUV Art. 267; EGRL 133/2009 Art. 8 Abs. 2
Beteiligte
GE Infrastructure Hungary Holding |
GE Infrastructure Hungary Holding Kft |
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága |
Verfahrensgang
Fővárosi Törvényszék (Ungarn) (Beschluss vom 27.04.2022; ABl. EU 2022, Nr. C 326/7) |
Tenor
1. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist nach Art. 267 AEUV für die Auslegung des Unionsrechts zuständig, wenn dieses den betreffenden Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, der nationale Gesetzgeber sich aber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales Recht dafür entschieden hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die durch diese Richtlinie geregelt werden, gleich zu behandeln, wie ihm dies zu tun freisteht.
2. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2009/133/EG des Rates vom 19. Oktober 2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat
ist dahin auszulegen, dass
er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die die Inanspruchnahme dieser Bestimmung von Voraussetzungen abhängig machen, die sich auf die Verringerung der Beteiligung des Gesellschafters der einbringenden Gesellschaft an dieser Gesellschaft oder auf die Verringerung des Gesellschaftskapitals dieser Gesellschaft beziehen und in dieser Richtlinie nicht vorgesehen sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 27. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2022, in dem Verfahren
GE Infrastructure Hungary Holding Kft.
gegen
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei, des Richters J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der GE Infrastructure Hungary Holding Kft., vertreten durch G. Szimler und Z. Várszegi, Ügyvédek,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und B. Béres als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2009/133/EG des Rates vom 19. Oktober 2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat (ABl. 2009, L 310, S. 34) im Licht des zweiten Erwägungsgrundes dieser Richtlinie.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der GE Infrastructure Hungary Holding Kft. (im Folgenden: GE Infrastructure) und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) über die steuerlichen Folgen, die eine bei von der genannten Gesellschaft gehaltenen Gesellschaften vorgenommene Abspaltung mit Fusion durch Übernahme für diese Gesellschaft hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/133 lautet:
„Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, können notwendig sein, um binnenmarktähnliche Verhältnisse in der Gemeinschaft zu schaffen und damit das Funktionieren eines solchen Binnenmarktes zu gewährleisten. Sie sollten nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden. Demzufolge müssen wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen für diese Vorgänge geschaffen werden, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Binnenmarktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen.”
Rz. 4
Art. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Jeder Mitgliedstaat wendet diese Richtlinie auf folgende Vorgänge an:
a) Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, wenn daran Gesellschaften aus zwei oder mehr Mitgliedstaaten beteiligt sind;
…”
Rz. 5
In Art. 2 der R...