Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollrecht: Zur Bestimmung des Zollwertes und zur Inanspruchnahme des indirekten Vertreters bzw. Fulfillment-Dienstleisters bei der Nacherhebung von Einfuhrabgaben im Zusammenhang mit Online-Verkäufen drittländischer Anbieter
Leitsatz (amtlich)
1. Die Nacherhebung von Einfuhrabgaben findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 101 Abs. 1, 102 Abs. 3 Unterabs. 1 UZK.
2. Auf ein rein drittländisches Kaufgeschäft kann zur Bestimmung des Transaktionswerts nach Art. 70 Abs. 1 UZK nur abgestellt werden, wenn der Anmelder im Besitz aller erforderlichen Unterlagen ist, die der Zollbehörde eine zollwertrechtliche Prüfung des Gesamtvorgangs ermöglichen. Hierzu gehören auch die Buchhaltungsunterlagen des drittländlichen Käufers und späteren Marketplace-Verkäufers, den der Anmelder indirekt vertreten hat.
3. Sofern dies nicht gewährleistet ist, erfolgt die Bewertung auf der Stufe des nächsten Käufers in der Union, also in der Regel unter Heranziehung der eigentlichen grenzüberschreitenden Transaktion.
4. Dabei wird der Zollwert regelmäßig nach einer der nachrangigen Methoden gemäß Art. 74 UZK zu bestimmen sein, wobei wohl in den meisten Fällen - so auch vorliegend - die Schlussmethode nach Art. 74 Abs. 3 UZK Anwendung finden wird.
5. Dabei sind bei der Ermittlung des Zollwertes vom Online-Verkaufspreis die inländische Umsatzsteuer und die enthaltenen Zollabgaben, nicht aber die entstandene Einfuhrumsatzsteuer abzuziehen. Weitere Abzugsposten können vom Anmelder nachgewiesen werden.
Normenkette
AO § 364; UZK Art. 15, 48, 70 Abs. 1, Art. 74, 77 Abs. 1, 3 S. 1, Art. 101 Abs. 1, Art. 102 Abs. 3 Unterabs. 1, Art. 162 Abs. 1
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Einfuhrabgabenbescheids.
Die Antragstellerin befasst sich mit dem Import und Handel von Waren und ist darüber hinaus als indirekter Vertreter für chinesische Handelsfirmen im Rahmen sog. Fulfillmentgeschäfte tätig.
Im September 2021 begann der Antragsgegner mit einer Zollprüfung bei der Antragstellerin und prüfte die Überlassung von Waren zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr während des Zeitraums vom 1. Januar 2019 bis zum 30. Juni 2021. Dabei standen zollwertrechtliche Fragestellungen und die Einreihung von Waren in den Europäischen Zolltarif (EZT) im Vordergrund. Im Prüfungsbericht vom 2. August 2022 vermerkte der Prüfer, dass die Antragstellerin hauptsächlich als indirekter Vertreter für in der Volksrepublik China ansässige Handelsfirmen tätig sei. Sämtliche Waren seien von ihr grundsätzlich zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr der EU angemeldet und unter Anwendung des Drittlandzollsatzes in den zollrechtlich freien Verkehr der EU überlassen worden.
Der Prüfer beanstandete die angemeldeten Zollwerte sowohl bei von der Antragstellerin selbst importierten Waren (4 Einfuhrvorgänge, Anlage 1 des Prüfungsberichts) als auch - vorrangig - bei Waren, die von der Antragstellerin als indirekter Vertreter für chinesische Unternehmen angemeldet worden waren (120 Warenpositionen, Anlage 2 des Prüfungsberichts). Hinsichtlich Letzterer habe die Zollprüfung ergeben, dass die Antragstellerin überwiegend als Anbieter sogenannter Fulfillment-Dienstleistungen für in der Volksrepublik China ansässige Unternehmen (Fulfillment-Kunden) aufgetreten sei. In diesem Rahmen habe sie die Fulfillment-Kunden zollrechtlich indirekt vertreten und für diese auch weitere Dienstleistungen erbracht. Die chinesischen Fulfillment-Kunden hätten sich regelmäßig auch anderer Fulfillment-Dienstleister wie der Antragstellerin in der EU bedient und ihre Waren als Marketplace-Verkäufer oder in einer anderen ähnlichen Konstellation über den Versandhändler X vertrieben.
Die von der Antragstellerin im Rahmen der Zollprüfung vorgelegten regelmäßig an acht chinesische Fulfillment-Kunden gerichteten innerchinesischen Rechnungen könnten der Zollwertermittlung nicht zugrunde gelegt werden. Eine zollwertrechtliche Prüfung des jeweiligen Gesamtvorgangs sei nicht möglich, da die Antragstellerin im Rahmen der Zollprüfung keinerlei Nachweisunterlagen beigebracht habe. Weder die Warenrechnung nach Art. 145 UZK-DVO noch weitere notwendige Unterlagen zur Zollwertermittlung nach Art. 163 UZK (Zahlungsnachweise, Kostenbelege etc.) hätten vorgelegen. Auch Buchführungsunterlagen der Fulfillment-Kunden nach Art. 48 UZK hätten nicht vorgelegt werden können. Damit scheide eine Ermittlung der Zollwerte nach der vorrangigen Transaktionswertmethode nach Art. 70 UZK aus.
In solchen Fällen sei der Zollwert nach einer der nachrangigen Methoden des Art. 74 Abs. 2 und 3 UZK in der vorgeschriebenen Reihenfolge auf der Stufe des ersten Käufers in der EU zu bestimmen. In den vorliegenden Fällen seien die Zollwerte nach der Schlussmethode gemäß Art. 74 Abs. 3 UZK grundsätzlich auf der Grundlage der (voraussichtlichen) X-Verkaufspreise zu ermitteln (Art. 144 UZK-DVO). Im Rahmen der Prüfung seien auch keinerlei Anhaltspunkte zutage getreten, welche die Anwendung e...