Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristversäumnis durch Steuerberater in Sozietät, der den Verlust seiner Zulassung nicht offengelegt hat
Leitsatz (amtlich)
Bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist dem Kläger die Fristversäumnis durch die von ihm beauftragte Steuerberatungsgesellschaft auch dann zuzurechnen, wenn für diese als ausgewiesener Vertreter ein (Schein-)"Steuerberater" aufgetreten ist, der den Verlust seiner Zulassung nicht offengelegt hat.
Normenkette
AO §§ 80, 122 Abs. 1 S. 3, § 129; FGO §§ 47, 56, 155; ZPO § 85 Abs. 2, § 233
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist zu gewähren ist.
Materiell-rechtlich geht es darum, ob im Rahmen der Einnahme-Überschussrechnung für das Jahr 2002 zusätzliche Betriebsausgaben zu berücksichtigen sowie von der Klägerin vorgenommene Einzahlungen als Privateinlagen zu behandeln und die Einkommen- und Umsatzsteuerfestsetzung für 2002 entsprechend anzupassen sind.
I.
1. Die Klägerin betreibt im ... Einkaufszentrum in Hamburg eine Salat- und Saftbar.
2. Die Gewinnermittlung der Klägerin nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) für das Jahr 2002 sowie die Einkommen- und Umsatzsteuererklärung für 2002 wurden von dem Steuerberater B erstellt. Beide Steuererklärungen einschließlich Gewinnermittlung gingen am 21. Juli 2003 beim FA ein (Einkommensteuer-Akte -ESt-A- Bl. 5 ff; Umsatzsteuer-Akte -USt-A- Bl. 1 f).
3. Das Steuerberatungsunternehmen des Herrn B wurde im April 2004 von der ... Steuerberatungsgesellschaft mbH (F-GmbH) aus der Insolvenzmasse heraus gekauft. Herr B war ab diesem Zeitpunkt für die F-GmbH als Steuerberater tätig.
Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) änderte mit Änderungsnachweis vom 10. Mai 2005 die Daten des Empfangsbevollmächtigten der Klägerin entsprechend auf die der F-GmbH ab (ESt-A Bl. 19).
4. Laut Schreiben der Steuerberaterkammer Hamburg vom 2. März 2006 ist Herr B ab dem 28. Januar 2005 kein Steuerberater und damit auch kein Mitglied der Steuerberaterkammer Hamburg mehr.
Geschäftsführer der F-GmbH war bis Mitte Februar 2006 Steuerberater J gewesen, seitdem ist es Steuerberater E (Finanzgerichtsakte -FG-A- Bl. 39 f, 50).
5. Unter dem 31. Januar 2005 (Eingang: 2. Februar 2005) teilte die F-GmbH dem FA mit, dass sie die Klägerin nicht mehr betreue. Die Unterschrift auf dem Schreiben ist unleserlich (ESt-A Bl. 22), sie entspricht anderweitigen Unterschriften von Herrn B (vgl. z.B. Rechtsbehelfs-Akte -Rb-A- Bl. 15, FG-A Bl. 17).
II.
1. Abweichend von den eingereichten Erklärungen der Klägerin für das Jahr 2002 behandelte das FA in dem Einkommensteuerbescheid und dem Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 1. April 2005 als Privateinlagen deklarierte Einzahlungen der Klägerin in Höhe von insgesamt 38.854,49 EUR stattdessen als steuerpflichtige Einnahmen und davon netto 36.312,60 EUR als Umsatzerlöse und versagte es aus drei Rechnungen in Höhe von zusammen netto 11.880,10 EUR + 16 % USt 1.900,81 EUR = brutto 13.780,91 EUR den Betriebsausgaben- und Vorsteuerabzug (ESt-A Bl. 29 ff; USt-A Bl. 10 ff).
2. Mit Schreiben vom 12. April 2005, eingegangen am 14. April 2005, legte die F-GmbH für die Klägerin Einspruch sowohl gegen den Einkommensteuerbescheid als auch gegen den Umsatzsteuerbescheid 2002 ein. Das Schreiben ist mit B unterzeichnet; der Briefkopf enthält die Angaben "... (B) Steuerberater (§ 58 StBerG)" (Rb-A Bl. 11).
3. Das FA forderte daraufhin unter dem 18. April 2005 eine aktuelle Vollmacht von der F-GmbH an (Rb-A Bl. 13). Diese ging am 3. Mai 2005 mit Anschreiben unter den vorgenannten Briefkopfangaben der F-GmbH vom 27. April 2005 und mit Unterschrift "B..." beim FA ein (Rb-A Bl. 15 f). Die Vollmacht ist mit "R..." unterschrieben und mit dem Firmenstempel der F-GmbH versehen (Rb-A Bl. 16).
4. Mit Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 wies das Finanzamt die Einsprüche der Klägerin als unbegründet zurück, da die Zahlungsvorgänge, die zu den streitigen Abweichungen in den Steuererklärungen geführt hätten, weiterhin nicht nachgewiesen seien. Die Feststellungslast (§§ 90 ff. Abgabenordnung -AO-) liege insoweit bei der Klägerin.
Die Einspruchsentscheidung wurde mit einfachem Brief zur Post gegeben und war an die Anschrift der F-GmbH gerichtet (Rb-A Bl. 30). Dort ging sie am 27. Oktober 2005 ein und wurde mit einem Eingangsstempel versehen. Unter dem Eingangsstempel befindet sich der handschriftliche Namensvermerk "...B./Pa" (FG-A Bl. 15).
Binnen der einmonatigen Frist wurde nach der Einspruchsentscheidung keine Klage erhoben.
5. Zwischenzeitlich war Herr B bereits seit dem 30. September 2005 nicht mehr für die F-GmbH tätig, wie nach seiner schriftlichen Erklärung vom 1. Februar 2006 und nach Beweisaufnahme unstreitig ist (FG-A Bl. 17, 85).
6. Aus einem Aktenvermerk des FA geht hervor, dass am 2. Januar 2006 "Herr und Frau R..." an Amtsstelle erschienen seien und erklärt hätten, nichts von der Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 gewusst zu haben (Rb-A Bl. 34).
7. Laut einem weiteren Aktenverme...