Entscheidungsstichwort (Thema)
Wann steht Treu und Glauben oder der Verwirkungsgedanke einer Rückforderung entgegen?
Leitsatz (amtlich)
Eine Weiterzahlung des Kindergelds durch die Familienkasse führt jedenfalls in Fällen, in denen ein Wegzug aus dem Inland für einen bestimmten Zeitraum lediglich angekündigt wird, noch nicht zu einer Verwirkung des Rückzahlungsanspruches.
Normenkette
EStG §§ 62-63; AO § 37 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist das Kindergeld für A (geboren 22.07.1989).
Die Klägerin erhielt für A zunächst laufend Kindergeld. Mit dem Formblatt "Antrag auf Kindergeld" sowie einem weiteren Schreiben jeweils vom 11.09.2008 beantragte die Klägerin die Weiterzahlung des Kindergeldes für A. Die Zahlung sollte ab Oktober 2008 nunmehr auf das Konto von A mit der Kontonummer xxx bei der Y-Bank (BLZ: zzz) überwiesen werden. Weiter führte die Klägerin in dem Schreiben aus, dass sie "... nur noch bis Ende Oktober in Deutschland" sei. Als Adresse gab die Klägerin sowohl in dem Formblatt als auch in dem Anschreiben die Sstr. 11 in T an.
Die Familienkasse überwies das Kindergeld in der Zeit von Oktober 2008 bis Mai 2009 an die angegebene Bankverbindung des Sohnes A.
Mitte Mai 2009 erhielt die beklagte Familienkasse die Mitteilungen der Online-Auskunft der kommunalen Datenverarbeitung Bayern sowie der Stadt T, dass die Klägerin sich zum 31.10.2008 an eine unbekannte Adresse im "Vereinigten Königreich" umgemeldet habe. Die Familienkasse stellte daraufhin die Kindergeldzahlung ein.
Mit Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 31.05.2010 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab November 2008 auf und forderte das in der Zeit von November 2008 bis Mai 2009 i.H.v. 1.128 € ausbezahlte Kindergeld sowie den im Monat April 2009 i.H.v. 100 € ausbezahlten Kinderzuschlag zurück.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 62 EStG nicht vorliegen würden, da die Klägerin ab November 2008 weder ihren Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe.
Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos.
Mit der Klage beantragt die Klägerin die Aufhebung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 31.05.2010 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 06.08.2010.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:
Die Familienkasse sei aus Gründen von Treu und Glauben daran gehindert, die Kindergeldfestsetzung rückwirkend aufzuheben und die ausbezahlten Beträge zurückzufordern. § 68 EStG regele die besonderen Mitwirkungspflichten im Kindergeldverfahren. Wer Kindergeld beantrage oder erhalte, habe die Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind und über die in Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben werden, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen. Die Klägerin habe mit dem Schreiben vom 11.09.2008 der Familienkasse mitgeteilt, dass sie im November nach E ziehen werde. Sie sei damals davon ausgegangen, dass dies keinen Einfluss auf den Kindergeldbezug für A habe. Damit habe sie aber die Mitwirkungspflichten des § 68 erfüllt. Die Familienkasse habe trotz dieser Mitteilung weitere Zahlungen vorgenommen. Zwar sehe das EStG keine dem § 45 SGB X entsprechende Vorschrift vor, im Streitfall habe die Familienkasse jedoch einen Anspruch auf die rückwirkende Aufhebung und die Rückforderung des Kindergeldes verwirkt. Besondere Umstände seien darin zu sehen, dass das Kind A weiterstudiert habe, der Vater bereits im Jahr 2002 verstorben sei und die Familienkasse weiterhin Zahlungen geleistet habe, obwohl ihr bekannt gewesen sei, dass die Klägerin ins Ausland verzogen sei. Inhaltlich handle es sich bei den Kindergeldleistungen um Sozialleistungen, sodass in Bezug auf das Kindergeld die materiellen Bewertungen des Sozialrechts zu berücksichtigen seien. Der § 45 SGB X sei mit seinem Vertrauensschutzgedanken in das materielle Kindergeld zu integrieren. Daher könne sich die Klägerin auf den Vertrauensschutz berufen. Zudem sei die Klägerin auch deshalb nicht verpflichtet, Kindergeld zurückzuzahlen, da dieses nicht auf ein Konto gegangen sei, über welches sie Verfügungsmacht hatte und die Beträge zwischenzeitlich auch verbraucht seien.
Schließlich sei es diskriminierend, wenn die Klägerin kein Kindergeld erhalte, weil sei im Ausland lebe und das Kind selbst auch keine Kindergeldleistungen empfange, obwohl es in Deutschland lebe und studiere. Da wohl für A kein Kindergeld in E möglich sei, werde die Klägerin gegenüber anderen gleich zu behandelnden Personen benachteiligt.
Die Familienkasse beantragt Klageabweisung.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen:
Die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung von Kindergeld nach § 62 Abs. 1 EStG lägen im Streitfall nicht vor. Die Klägerin habe weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland noch sei sie nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommen-steuerpflichtig oder werde nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Deshalb habe die Familienkasse die K...