Leitsatz
Einer Aufrechnung des FA gegen den Anspruch auf Auszahlung des KSt-Guthabens während eines vor dem 31.12.2006 eröffneten Insolvenzverfahrens steht das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen.
Normenkette
§ 36 Abs. 7, § 37 KStG 2002, § 38, § 47 AO, §§ 387ff. BGB, §§ 94ff. InsO
Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter in dem durch Beschluss vom 27.04.2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin, einer GmbH.
Das FA hatte zum einen das KSt-Guthaben i.S.d. § 37 Abs. 1 S. 1 KStG 2002 gegenüber der Gemeinschuldnerin festgestellt, und es setzte zum anderen – auf jener Feststellung aufbauend – gegenüber dem Kläger den Anspruch auf Auszahlung des KSt-Guthabens gem. § 37 Abs. 5 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG entsprechend fest. Alsdann rechnete das FA mit einem Erstattungsanspruch aus InvZul 2001 gegen den KSt-Auszahlungsanspruch auf.
Die Klage gegen den auf den Antrag des Klägers hin erteilten Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) blieb erfolglos (Thüringer FG, Urteil vom 18.02.2010, 2 K 215/09, Haufe-Index 2346339, EFG 2010, 750).
Entscheidung
Die anschließende Revision ließ die Insolvenzverwaltung aber obsiegen: Der Anspruch auf das KStGuthaben sei im Zeitpunkt der Aufrechnung weder rechtlich entstanden noch sei er hinreichend "gewiss" gewesen. Es habe der anspruchsauslösende Gewinnausschüttungsbeschluss noch gefehlt. Damit werde den Aufrechnungsanforderungen der §§ 94ff. InsO aber nicht genügt.
Hinweis
Die Streitfrage ging dahin, ob das FA mit dem Anspruch des (insolventen) Steuerschuldners auf Auszahlung des KSt-Guthabens gem. § 37 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG gegen eine anderweitige Forderung aufrechnen darf. Dazu muss man die einschlägigen Vorschriften der InsO"durchdeklinieren":
1. Zwar: Nach § 94 InsO bleibt das zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungsrecht des Insolvenzgläubigers unberührt. Die mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verbundene Beschränkung in der Durchsetzung der Ansprüche der Insolvenzgläubiger hindert damit denjenigen Insolvenzgläubiger nicht an der Aufrechnung, der im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Aufrechnung berechtigt gewesen wäre.
Jedoch: Der betreffende Anspruch muss eben bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen. Ein Anspruch auf Auszahlung des KSt-Guthabens entsteht gem. § 37 Abs. 5 S. 2 KStG indes (erst) mit Ablauf des 31.12.2006.
2. Zwar: Fehlt es infolgedessen (wie im Urteilsfall) an einem solchen Anspruchsentstehen, so gestattet § 95 Abs. 1 S. 1 InsO dennoch – über § 94 InsO hinaus – auch dann eine Aufrechnung, wenn die Aufrechnungslage erst im Insolvenzverfahren eintritt. Voraussetzung dafür ist, dass zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig sind, sofern nicht (§ 95 Abs. 1 S. 3 InsO) die Hauptforderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Damit schützt das Gesetz das vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Vertrauen des Insolvenzgläubigers, mit dem Entstehen der Aufrechnungslage seine Forderung durchsetzen zu können.
Jedoch: Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Eine erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Aufrechnungsbefugnis verdient im Interesse der Insolvenzmasse und dem Ziel einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung keinen Schutz.
3. Aus dem Vorstehenden zu 2. ergibt sich für den Anspruch auf das KSt-Guthaben das Folgende:
Von einer "im Entstehen begriffenen" Aufrechnungslage kann bei dem in Rede stehenden Anspruch erst dann die Rede sein, wenn dieser Anspruch infolge einer Gewinnausschüttung"initialisiert" wird.
Zuvor mag der Anspruch zwar durch die seitens der Körperschaft geleistete KSt wirtschaftlich aufgebaut worden sein. Dieser "materielle Gehalt" des Anspruchs darf aber nicht dazu verführen, ihn mit einem "gemeinen" Erstattungsanspruch auf Rückzahlung von Steuervorauszahlungen gleichzustellen. Die Bedingtheit hier – durch die Gewinnausschüttung und den darauf gerichteten Gesellschafterbeschluss als das auslösende Moment – und die Bedingtheit dort – durch den für den Steuerpflichtigen positiven Saldo über die Vorauszahlungen – sind etwas qualitativ und objektiv völlig Unterschiedliches, und das gilt auch für die jeweiligen anspruchsentstehenden Kausalketten: Während sich der "Saldo" automatisch errechnet, verlangt die "Mobilisierung" des KSt-Guthabens zweifelsohne "mehr", nämlich die (objektive) Gegebenheit eines entsprechend vorhandenen Gewinns zur Ausschüttung sowie den darauf gerichteten (voluntativen) Auskehrungsbeschluss. Bevor beides tatsächlich in der Welt ist, kann sich die Finanzverwaltung noch nicht hinreichend sicher wähnen; ihr ist noch kein Vertrauen zuzugestehen, das es rechtfertigt, die Aufrechnungslage hinsichtlich des rech...