Leitsatz
Eine Körperschaft dient nicht ausschließlich gemeinnützigen Zwecken, wenn die Beschäftigung Behinderter im Rahmen eines Integrationsprojekts nach der Vertragsgestaltung erkennbar dazu dient, den ermäßigten Umsatzsteuersatz zugunsten einer nicht gemeinnützigen Körperschaft zu nutzen.
Normenkette
§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG 2005, Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3, Anhang H Nr. 14 6. EG-RL, § 52, § 56, § 68 Nr. 3 Buchst. c AO, § 132 Abs. 1 SGB IX
Sachverhalt
Die Klägerin beanspruchte als "gemeinnützige" GmbH die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG für ihre Subleasingumsätze, weil sie hierfür Behinderte beschäftige und ein Integrationsprojekt i.S.d. § 68 Nr. 3 Buchst. c AO vorliege. Verträge zwischen der Klägerin und einer nicht "gemeinnützigen" Leasinggesellschaft waren – verkürzt dargestellt – so gestaltet, dass die Klägerin vollständig und ausschließlich in die wirtschaftliche Zielsetzung der anderen Gesellschaft eingebunden war, die die wesentlichen Grundlagen der Leasinggeschäfte vorprogrammiert hatte und mit Ausnahme einer prozentualen Beteiligung der GmbH Erfolg und Risiko der Geschäfte hielt.
Entscheidung
1. Der BFH bestätigte das FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.10.2009, 9 K 411/06, Haufe-Index 2277556, EFG 2010, 532), eine Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) mit einer Stiftung, deren 100 %ige Tochter die GmbH war, liege nicht vor, weil eine wirtschaftliche Eingliederung entgeltliche Leistungen zwischen den Gesellschaften voraussetzt, woran es im Streitfall fehlte.
Die die Ermäßigung betreffenden Kriterien ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
1. Eine Steuervergünstigung wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke erhält eine Körperschaft nur, wenn sie gem. § 56 AO ausschließlich gemeinnützigen Zwecken dient, also nur ihre gemeinnützigen satzungsmäßigen Zwecke verfolgt. Eine Tätigkeit, die gegen das Gebot der Ausschließlichkeit verstößt, führt zum vollständigen Verlust der Steuerbegünstigung. Eine Ausnahme gilt insoweit nur für eine lediglich vermögensverwaltende Tätigkeit, deren Verfolgung nicht gegen das Ausschließlichkeitsgebot verstößt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist allein im Veranlagungsverfahren für die jeweilige Steuer und dem jeweiligen Veranlagungszeitraum zu entscheiden.
2. Zu den gemeinnützigen Zwecken gehört nach § 52 Abs. 2 Nr. 2 AO u.a. das Wohlfahrtswesen. Dieses umfasst auch die Beschäftigung von Behinderten (vgl. nunmehr ausdrücklich § 52 Abs. 2 Nr. 10 AO i. d. ab 2007 geltenden Fassung). Ergibt sich aus Inhalt und Zusammenhang von Verträgen zwischen einer Körperschaft, deren Zweck auch die Beschäftigung von Behinderten ist, und einer nicht "wohlfahrtsorientierten" Körperschaft, dass die Beschäftigung der Behinderten im Wesentlichen dazu dient, die Tätigkeit der anderen Gesellschaft zu fördern, dieser den umsatzsteuerrechtlichen Vorteil (voller Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen und ermäßigte Besteuerung der eigenen Umsätze) zuzuführen, wird neben gemeinnützigen Zwecken auch ein nicht gemeinnütziger Zweck verfolgt. Darin liegt ein Verstoß gegen das Ausschließlichkeitsgebot (§ 56 AO).
3. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausgeführt werden. Ausnahme: es liegt ein Zweckbetrieb vor. Nach § 68 Nr. 3 Buchst. c AO sind Zweckbetriebe auch Integrationsprojekte i.S.d. § 132 Abs. 1 SGB IX, wenn mindestens 40 % der Beschäftigten Schwerbehinderte sind. "Integrationsprojekte" i. S. d. § 132 Abs. 1 SGB IX sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Unternehmen (Integrationsunternehmen), unternehmensinterne Integrationsbetriebe und Integrationsabteilungen – § 71 Abs. 3 SGB IX. Weil sich die Umsatzsteuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG auf Umsätze bezieht, ist fraglich, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang danach Umsätze ermäßigt zu besteuern sind, wenn es sich lediglich um eine Integrationsabteilung handelt, der keine Umsätze zugeordnet werden können (z.B. ein Großunternehmen unterhält auch eine Werkstatt, in der Behinderte im Betrieb anfallende Reparaturen ausführen, die nicht unmittelbar mit Ausgangsumsätzen zusammenhängen). Darüber war im Streitfall nicht zu entscheiden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.2.2012 – V R 59/09