Tz. 92
Mit den Deutschen Rechnungslegungsstandards (DRS) hat der Gesetzgeber im Jahre 1998 im Zuge der Einführung des KonTraG Neuland betreten. Nach internationalem Vorbild wurde die Möglichkeit eröffnet, dass ein privates Rechnungslegungsgremium als Standard Setter eingerichtet wird (Fünfter Abschnitt des Dritten Buchs des HGB, vgl. § 342 HGB). Das private Rechnungslegungsgremium ist dem International Accounting Standards Board (IASB) sowie dem US-amerikanischen Financial Accounting Standards Board (FASB) nachgebildet. Es wird vom Bundeministerium der Justiz und für Verbraucherschutz durch Vertrag anerkannt und hatte zunächst nur die Aufgaben nach § 342 Abs. 1 Nr. 1–3 HGB übertragen bekommen, nämlich die Entwicklung von Empfehlungen zur Anwendung der Grundsätze über die Konzernrechnungslegung (Nr. 1), die Beratung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz bei Gesetzgebungsvorhaben zu Rechnungslegungsvorschriften (Nr. 2) und die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in internationalen Standardisierungsgremien (Nr. 3). Allerdings ist die Entwicklung von Deutschen Rechnungslegungsstandards gem. Nr. 1 bewusst auf die Konzernrechnungslegung beschränkt, was jedenfalls auf Dauer international unbefriedigend ist. Daher wurde durch das BilMoG 2009 mit § 342 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 HGB die Zuständigkeit des Gremiums um die Aufgabe erweitert, Interpretationen der IFRS zu erarbeiten. Aber auch ohne diese ausdrückliche Kompetenzerweiterung ist damit zu rechnen, dass es zu Rückwirkungen der Standardisierungstätigkeit des DRSC auf den Einzelabschluss kommen wird. Ob es dafür, wie im Schrifttum gefordert, wirklich eines conceptual framework bedarf, erscheint zweifelhaft, denn die regelungsmethodischen Voraussetzungen sind in Deutschland von der Situation bei des IFRS und den ISA grundlegend verschieden.
Tz. 93
Für den Fall, dass es zur Anerkennung eines privaten Gremiums nicht gekommen wäre oder dass eine erklärte Anerkennung aufgehoben würde, hat der Gesetzgeber in § 342a HGB hilfsweise die Einrichtung eines Rechnungslegungsbeirats beim Bundeministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgesehen.
Tz. 94
Nach § 342 HGB ist das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee e. V. (DRSC ) (offizieller englischer Name: Accounting Standards Committee of Germany) mit Sitz in Berlin durch Standardisierungsvertrag vom 3. September 1998 vom Bundesminister der Justiz anerkannt worden. Nach Beendigung dieses Vertrages und einigen Neustrukturierungen wurde am 2. Dezember 2011 ein neuer Standardisierungsvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Tz. 95
Nach § 342 Abs. 1 HGB müssen die Empfehlungen des Standardisierungsrates in einem Verfahren entwickelt und beschlossen werden, das die fachlich interessierte Öffentlichkeit einbezieht. Darüber hinaus hat das DRSC die Öffentlichkeit über seine Tätigkeit zu informieren (§ 4 Standardisierungsvertrag). Ferner sind Transparenzanforderungen zu beachten: Ein Standard darf nur veröffentlicht werden, wenn zuvor ein Entwurf beschlossen und mit einer Frist von sechs Wochen veröffentlicht worden ist, wenn die eingegangenen Stellungnahmen ausgewertet und die wesentlichen Einwendungen und Änderungsvorschläge in einer öffentlichen Sitzung erörtert worden sind und wenn im Falle wesentlicher Änderungen der Entwurf nochmal mit einer vierwöchigen Frist zur Stellungnahme ausgelegt worden ist.
Tz. 96
Die Rechtsnatur der DRS ist bis heute Gegenstand einer Kontroverse. Dabei wird allerdings nicht hinreichend unterschieden zwischen den Standards einerseits und der rechtlichen Bedeutung der Vermutungsregelung gem. § 342 Abs. 2 HGB andererseits. Die DRS sind, wie § 342 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB ausdrücklich statuiert, lediglich Empfehlungen. Sie entfalten keine Rechtsbindungswirkung. Und daher fehlt es dem DRSC aus juristischer Sicht auch an der vielfach behaupteten "Normsetzungsbefugnis". An diesem Befund ändert nach zutreffender Auffassung nichts, dass das DRSC vom Gesetzgeber als eine "privatrechtlich organisierte Einrichtung" in § 342 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB vorgesehen ist und dass ihm vom Bundesjustizministerium der Justiz und für Verbraucherschutz durch Vertrag die Aufgabe der Entwicklung der Standards übertragen worden ist. Wollte man dem DRSC Normsetzungsbefugnis zubilligen und die Standards als Rechtsnormen i. S. d. § 2 EGBGB qualifizieren, ergäbe sich ein verfassungsrechtliches Problem. Denn die Ermächtigung zum Erlass positiven Rechts ist nach Art. 80 Abs. 1 GG nur begrenzt zulässig und die dort genannten Voraussetzungen sind im Fall der Standards des DRSC nicht erfüllt. Man wird in § 342 Abs. 2 HGB gewiss auch keine – verfassungsrechtlich unzulässige – Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen sehen können.
Tz. 97
Nach der Bekanntmachung der vom Rechnungslegungsgremium gem. § 342 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. 4 HGB entwickelten Empfehlungen und Interpretationen durch das Bundesjustizministerium haben die DRS die Vermutung der Richtigk...