Dr. Falk Mylich, Dr. Mathias Link
Tz. 35
Das Prinzip des true and fair view findet über § 252 Abs. 2 HGB bzw. § 246 Abs. 3 Satz 2 HGB bzw. § 265 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz HGB Eingang in die Rechnungslegung. Die begründeten Ausnahmen von den Ansatz, Bewertungs- und Gliederungsvorschriften können am Maßstab der Bilanzwahrheit gemessen werden. So kann im Lichte von § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB über ein Abrücken vom Vorsichts- bzw. Gewinnrealisationsprinzip nachgedacht werden, wenn die Beseitigung einer bilanziellen Überschuldung notwendig wird. Prinzipiell wird das nicht möglich sein. Jedoch kann man bei Transaktionen, bei denen eigentlich mangels Drittvergleichs am Markt eine Gewinnrealisation zu versagen ist, in begründeten Ausnahmefällen gleichwohl eine Gewinnrealisation zulassen.
BEISPIEL
Die A-AG ist an der G-GmbH zu 100 % beteiligt. Die Beteiligung ist in der Bilanz zu den Anschaffungskosten von 1 Mio. EUR ausgewiesen; das bilanzielle Vermögen beträgt jedoch 3 Mio. EUR. Die B-AG ist an der H-GmbH zu 100 % beteiligt. Sie hatte Anschaffungskosten von 5 Mio. EUR; das bilanzielle Vermögen der H-GmbH beträgt 2 Mio. EUR. Wird die G-GmbH auf die A-AG bzw. die H-GmbH auf die B-AG verschmolzen, ist es einerseits fraglich, ob es auf das bilanzielle Vermögen des übertragenden Rechtsträgers oder die Beteiligungswerte des übernehmenden Rechtsträgers ankommt. Zutreffend erscheint hier, unter Rückgriff auf § 264 Abs. 2 HGB gerade keinen Verschmelzungsverlust entstehen zu lassen bzw. gar einen Verschmelzungsgewinn zu erzeugen und deshalb den jeweils höheren Wert zu nehmen. Zum Teil wird unter Rückgriff auf § 264 Abs. 2 HGB vertreten, dass § 24 UmwG zur vollständigen Neubewertung mit entsprechendem Verschmelzungsgewinn herangezogen werden, auch wenn es sich um eine konzerninterne Verschmelzung handelt.
Tz. 36
Nach einer z. T. vertretenen Ansicht soll die Wahlrechtsausübung im Lichte des § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB geschehen, während die Gegenauffassung keine weiteren Einschränkungen vornehmen will, es sei denn, die Wahlrechtsausübung geschieht missbräuchlich. Ob die Ansichten allerdings doch zu gleichen Ergebnissen gelangen, weil der zweckwidrige Gebrauch dem Rechtsmissbrauch gleichzustellen ist, scheint zweifelhaft. Das zeigt sich gerade bei der Wahl der Abschreibungsmethode bzw. der Einbeziehung von Gemeinkosten in die Herstellungskosten.
Tz. 37
Gem. § 253 Abs. 3 Satz 5 HGB n. F. ist ein Gegenstand des Anlagevermögens außerplanmäßig abzuschreiben, wenn eine voraussichtlich dauerhafte Wertminderung eintritt. Bei vorübergehender Wertminderung ist die Abschreibung ausgeschlossen; jedoch drohen Schwierigkeiten in einer Krise. Ggf. ist die Gesellschaft zur Veräußerung des Vermögensgegenstandes gezwungen und erhält dann nur einen Mindererlös. Wenn nicht abgeschrieben wird, kommen sogar noch Ausschüttungen in Betracht, wenn ein Bilanzgewinn ausgewiesen werden kann bzw. das Stammkapital noch gedeckt ist. Soweit noch ausreichend Bar- und Bankvermögen vorhanden ist, kann man nicht einmal unter Berufung auf § 64 Satz 3 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG Gewinnauszahlungen verweigern. Selbst wenn gegenüber Gesellschaftern nicht mehr ausgeschüttet werden braucht, sind insbesondere die Wirkungen gegenüber den am Verlust teilnehmenden stillen Gesellschaftern beachtlich. Hier hilft selbst die Kombination von Zahlenwerk und erläuterndem Anhang wenig. § 285 Nr. 18 HGB beschränkt zusätzliche Anhangangaben auf nicht abgeschriebene Finanzanlagen und erfasst damit andere Vermögensgegenstände wie Immaterialgüter oder Grundstücke nicht. Daher ist unter Rückgriff auf § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB auch bei nichtdauerhafter Wertminderung der Vermögensgegenstand außerplanmäßig abzuschreiben, wenn eine Veräußerung vor dem Wegfall der vorübergehenden Wertminderung wahrscheinlich wird.
BEISPIEL
Ein Grundstück ist in der Bilanz der G-GmbH mit den Anschaffungskosten von 1 Mio. EUR aktiviert. Weil in der Umgehung Grundstückkontaminationen entdeckt worden sind, sind die Preise vorübergehend gesunken, nach Abschluss aller Untersuchungen wird aber mit einer Erholung der Preise der unbelasteten Grundstücke gerechnet. Die G-GmbH hat Finanzsorgen und muss evtl. ihr vermutlich nichtkontaminiertes Grundstück demnächst verkaufen und könnte derzeit allenfalls 600.000 EUR erlösen. Fraglich ist, inwieweit § 264 Abs. 2 HGB gebietet, trotz fehlender Dauerhaftigkeit der Wertminderung wegen der Verkaufsabsicht abzuschreiben, damit den Jahresgewinn zu mindern bzw. den Jahresfehlbetrag zu erhöhen und auf diese Weise auch das Ausschüttungspotenzial zu begrenzen. Läge eine Verkaufsabsicht vor, müsste das Grundstück in das Umlaufvermögen umgegliedert und gem. § 253 Abs. 4 Satz 1 HGB zwingend auf den derzeitigen Marktwert abgeschrieben werden. Im vorliegenden Fall fehlt es aber an der Verkaufsabsicht, vielmehr rechnet man evtl. mit einem Verkaufszwang aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Das Grundstück verbleibt im Anlagevermögen, jedoch gebietet § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB eine außerplanmäßige Abschrei...