Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG. Ein-Euro-Jobber
Leitsatz (amtlich)
Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zu, wenn der Arbeitgeber in seinem Betrieb erwerbsfähige Hilfebedürftige i.S.d. § 16 Abs.3 S.2 SGB II (sog. Ein-Euro-Jobber) beschäftigt.
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Arbeitgeber (Beteiligte Ziff.2) verpflichtet ist, den Betriebsrat (Antragsteller) vor der Einstellung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (Ein-Euro-Jobbern) nach § 99 BetrVG zu beteiligen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Betriebsrat ein Mitwirkungsrecht bei der Einstellung von sogenannten Ein-Euro-Jobbern zusteht.
Der Arbeitgeber (Beteiligte Ziff.2) ist ein gemeinnütziger Verein und hat nach seiner Satzung den Zweck, Maßnahmen und Einrichtungen zu fördern, die eine wirksame Hilfe für Menschen mit Behinderung und alte Menschen bedeuten. Er betreibt mit rund 1.200 Arbeitnehmern u.a. eine Körperbehindertenschule, Schulkindergärten sowie Einrichtungen für alte Menschen. Der Antragsteller (Beteiligte Ziff.1) ist der im Betrieb des Arbeitgebers gebildete Betriebsrat.
Der Arbeitgeber setzt in seinem Betrieb regelmäßig eine Vielzahl erwerbsfähiger, arbeitsloser Hilfebedürftiger (sog. Ein-Euro-Jobber) ein, deren Auswahl nach entsprechenden schriftlichen Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit auf Grund der vom Arbeitgeber geführten Vorstellungsgespräche erfolgt. Eine Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG vor der Tätigkeitsaufnahme erfolgt nicht.
Der Betriebsrat ist der Auffassung, der Einsatz der Ein-Euro-Jobber stelle eine nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige Einstellung dar. Unabhängig von konkret zu entscheidenden Einzelfällen bestehe ein Bedürfnis zur Klärung dieser Streitfrage, weil der Arbeitgeber regelmäßig Beschäftigungen von Ein-Euro-Jobbern vornehme und dabei der Ansicht sei, dass eine Beteiligung des Betriebsrats nicht erfolgen müsse.
Der Betriebsrat beantragt:
Es wird festgestellt, dass der Beteiligte Ziff.2 verpflichtet ist, den Antragsteller vor der Einstellung von sogenannten 1-Euro-Jobbern (Zusatzjobbern) nach § 99 BetrVG zu beteiligen.
Der Arbeitgeber beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Arbeitgeber meint, bei der Beschäftigung von Personen in Arbeitsgelegenheiten nach § 16 Abs.3 Satz 2 SGB II handele es sich nicht um eine Einstellung i.S.v. § 99 BetrVG. Die Ein-Euro-Jobber seien nur 6-12 Monate tätig und würden gerade nicht wie Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert. Ihnen solle ein Wiedereinstieg in das Berufsleben ermöglicht werden. Sie erledigten Tätigkeiten, die über den normalen Arbeitsbedarf hinausgingen. Bei ihrem Einsatz handele sich um eine sozialrechtliche Maßnahme, die nicht zu einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats führe. Ausreichend sei es, wenn – wie unstreitig geschehen – der Betriebsrat darüber informiert worden sei, dass Ein-Euro-Jobber im Unternehmen tätig seien. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG scheide auch deswegen aus, weil zwar Vorstellungsgespräche mit den „Bewerbern” geführt würden, eine Auswahlentscheidung angesichts der sozialrechtlichen Vorgaben aber zumindest gemindert sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und Anlagen, die Gegenstand des Anhörungstermins vor der Kammer waren, sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 17.10.2006 und 18.01.2007 verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Antrag ist zulässig.
a. Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Im Beschlussverfahren kann das Bestehen, der Inhalt oder der Umfang eines Mitbestimmungsrechts losgelöst von einem konkreten Ausgangsfall geklärt werden, wenn die Maßnahme, für die ein Mitbestimmungsrecht in Anspruch genommen wird, häufiger im Betrieb auftritt und sich auch zukünftig jederzeit wiederholen kann. Eine gerichtliche Entscheidung ist in der Lage, das betreffende Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten umfassend zu klären und seinen Inhalt auch für die Zukunft hinreichend konkret festzustellen (vgl. BAG AP Nr.36 zu § 95 BetrVG 1972). Da der Arbeitgeber regelmäßig Ein-Euro-Jobber zeitlich begrenzt beschäftigt und für sie entsprechende Einsatzmöglichkeiten eingerichtet hat, kann sich die „Einstellung” eines Ein-Euro-Jobbers jederzeit wiederholen. Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht entgegen, dass der Betriebsrat sein Ziel mit einem Leistungsantrag erreichen könnte. Ein Antrag nach § 101 BetrVG könnte sich nur auf bereits erfolgte „Einstellungen” von Ein-Euro-Jobbern beziehen und wäre somit nicht geeignet, ein Mitbestimmungsrecht nach … § 99 BetrVG für die zukünftige Beschäftigung dieses Personenkreises zu klären.
b. Der Betriebsrat ist antragsbefugt. Er reklamiert ein ihm nach seiner Auffassung zustehendes Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.
2. Der Antrag ist auch begründet. Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zu, wenn der Arbeitgeber in seinem Betrieb erwerbsfähige Hilfebedürftig...