Leitsatz (redaktionell)
Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld nach Vollendung des 60. Lebensjahres und mindestens einjähriger Arbeitslosigkeit besteht nur, wenn eindeutig eine ernste Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen besteht. Daher ist besonders zu prüfen, ob eine Tätigkeit angestrebt wird, die die Arbeitskraft in der Hauptsache in Anspruch nimmt, und ob bei Frauen häusliche Pflichten eine derartige Arbeit überhaupt zulassen.
Normenkette
RVO § 1248 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVAVG § 76 Abs. 1 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts in Schleswig vom 14. Mai 1959 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die im ... 1895 geborene, seit 1919 verheiratete Klägerin begehrt das vorgezogene Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nF.
Sie war von 1911 bis 1919 als Hausgehilfin, von 1934 bis 1940 als Packerin und anschließend bis 1942 als Serviererin versicherungspflichtig beschäftigt gewesen und hat von 1920 bis 1933, ferner von 1942 bis 1951 und schließlich von 1954 an freiwillige Beiträge gezahlt. Wegen der Folgen einer Radikaloperation, mit der ein Unterleibskrebs entfernt worden war, erhielt die Klägerin vom 1. Januar 1952 bis 31. Mai 1954 die Invalidenrente. Gegen die wegen eingetretener Besserung erfolgte Rentenentziehung erhob die Klägerin ergebnislos Klage vor dem Sozialgericht (SG) Lübeck.
Ebensowenig Erfolg hatte sie mit einem neuen im Oktober 1955 gestellten Rentenantrag; in dem das Verfahren rechtskräftig abschließenden Urteil vom 2. Mai 1957 des Landessozialgerichts (LSG) Schleswig wurde u.a. ausgeführt, ein vorgezogenes Altersruhegeld stehe der Klägerin nicht zu da sie keine mindestens einjährige Arbeitslosigkeit nachgewiesen habe.
Die Klägerin meldete sich daraufhin am 4. Mai 1957 bei dem Arbeitsamt Bad Oldesloe als arbeitslos und kam den erforderlichen Kontrollen seitdem nach, ohne daß dem Arbeitsamt eine Vermittlung der Klägerin gelungen wäre.
Am 28. Januar 1958 beantragte sie das vorgezogene Altersruhegeld. Während auf dem (im Fürsorgeamt der Stadt Ahrensburg ausgefüllten) Antragsformular selbst als Antragsbegründung die Rubrik: “Vollendung des 60. Lebensjahres und mindestens einjährige ununterbrochene Arbeitslosigkeit„ angekreuzt war, war dem Antrag beigefügt eine gleichfalls ausgefüllte Anlage A, die nach dem Vordruck allerdings nur bei einem Rentenantrag wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit auszufüllen gewesen wäre. In diesem Vordruck waren u.a. einige Fragen dahin beantwortet, daß die Klägerin ihre Tätigkeit als Serviererin im September 1956 wegen Alters aufgegeben habe und nach ihrer Ansicht nur noch leichte Hausarbeiten im eigenen Haushalt verrichten könne. Demgegenüber war bei einer weiteren Frage, wegen welcher Leiden sie glaube, berufsunfähig oder erwerbsunfähig zu sein, angegeben, daß es ihr wegen Alters nicht mehr möglich sei, eine Stellung zu finden, und abschließend war vermerkt, der nach dem Vordruck an sich beizufügende ausführliche ärztliche Befundbericht fehle, weil die Rente wegen langfristiger Erwerbslosigkeit beantragt werde.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab; bei der Klägerin sei - auch auf Grund ihrer eigenen Angaben - keine echte Arbeitslosigkeit anzunehmen.
Mit ihrer Klage trug die Klägerin demgegenüber vor, sie bemühe sich laufend um Arbeit, wozu sie gezwungen sei, da ihr Ehemann jahrelang arbeitslos sei; ihre Angaben im Rentenantrag seien nur infolge des Andrangs bei der Annahmestelle, der ihr eine Durchsicht des ausgefüllten Formulars nicht mehr ermöglicht habe, ungenau und könnten deshalb nicht gegen sie verwertet werden. Nachträglich beschränkte die Klägerin ihren Antrag auf Gewährung einer Rente erst vom 4. Mai 1958 ab; das SG Lübeck sprach ihr das vorgezogene Altersruhegeld darauf von diesem Tage an zu. Die Klägerin habe sich ordnungsmäßig arbeitslos gemeldet; Anhaltspunkte, daß diese Meldung nur der Form halber erfolgt sei, lägen nicht vor.
Das LSG Schleswig wies die Berufung gegen dieses Urteil am 14. Mai 1959 zurück. Es geht entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, daß der Begriff der Arbeitslosigkeit sich nach den §§ 87 und 87 a des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aF richte. Es ist der Ansicht, daß die Klägerin die dort geforderten Voraussetzungen erfülle, denn sie sei ohne entgeltliche Beschäftigung, habe sich subjektiv durch ihre Meldung bei dem Arbeitsamt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt und dem Arbeitsmarkt auch objektiv zur Verfügung gestanden. Die einjährige Arbeitslosigkeit im Sinne des § 1248 Abs. 2 RVO erfordere nicht, daß ihr ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis unmittelbar vorausgegangen sein müsse.
Es könne dahingestellt bleiben, warum die Klägerin sich arbeitslos gemeldet habe; auch wenn dies nur deshalb erfolgt wäre, um dadurch die Voraussetzung für das vorgezogene Altersruhegeld zu schaffen, sei noch der objektive Tatbestand der §§ 87, 87 a aaO erfüllt. Nur wenn man der Beklagten darin folge, daß die Klägerin in Wirklichkeit gar keine Arbeit suche, wäre Arbeitslosigkeit zu verneinen, da die Klägerin alsdann dem Arbeitsmarkt nicht subjektiv zur Verfügung stehe. Diese Feststellung glaubt das LSG jedoch nicht treffen zu können. Auch wenn der Anreiz die Erlangung des vorgezogenen Altersruhegeldes gewesen sei, würde dadurch der ernsthafte Wille, im Falle des Angebots einer Arbeit auch tatsächlich zu arbeiten, nicht ausgeschlossen. Das LSG führt aus, es sei im Falle der Klägerin davon überzeugt, daß sie sich nicht nur im Hinblick auf das zu erwartende Altersruhegeld arbeitslos gemeldet habe. Ihr Berufsbild lasse erkennen, daß sie auch nach der Eheschließung jahrelang noch Arbeitnehmerin gewesen sei. Beachtlich sei auch, daß der Ehemann der Klägerin schon lange Zeit arbeitslos sei, so daß der Klägerin an einem Gelderwerb habe liegen müssen. Wenn sie sich erst nach erfolgtem Abschluß ihres früheren Rentenverfahrens arbeitslos gemeldet habe, so sei das verständlich, da sie bis dahin gehofft habe, mit ihrer Rente zum gemeinsamen Lebensunterhalt beitragen zu können.
Das Arbeitsamt habe auf Anfrage mitgeteilt, daß die Klägerin der Meldekontrolle ordnungsgemäß nachgekommen sei. Sein Bemühen, der Klägerin Arbeit zu vermitteln, sei ohne Verschulden der Klägerin ergebnislos verlaufen. Das LSG kommt daher zu dem Schluß, daß bei der Klägerin eine echte Arbeitslosigkeit im Sinne des § 1248 Abs. 2 RVO vorliege.
Gegen das am 3. August 1959 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1. September 1959 die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und sie gleichzeitig begründet.
Der Begriff der Arbeitslosigkeit müsse den §§ 75, 76 AVAVG entnommen werden. Dann jedoch fehle es bei der Klägerin schon an den objektiven Voraussetzungen, da sie nicht zu dem Kreis der Personen gehöre, die berufsmäßig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegten. Seit 1942 habe sie keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt, sondern sei nur noch im Haushalt tätig gewesen. Berufsmäßige Arbeitnehmertätigkeit könne jedoch niemals mit einer Arbeitslosigkeit beginnen.
Die Beklagte rügt weiter mangelnde Sachaufklärung (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Das LSG habe weder die Akten des Arbeitsamts hinzugezogen noch geprüft, ob die Klägerin durch ihre Haushaltsführung nicht behindert sei, auf dem Arbeitsmarkt eine Arbeit unter den üblichen Bedingungen aufzunehmen.
Die Beklagte beantragt, die Klage unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG abzuweisen.
Da die Klägerin während des Verfahrens vor dem Bundessozialgericht (BSG) das 65. Lebensjahr erreicht hatte, gewährte die Beklagte ihr vom 1. Juli 1960 an das Altersruhegeld.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt. Sie ist vom LSG zugelassen und somit statthaft.
Die Revision ist auch begründet.
Zu entscheiden ist allein darüber, ob die Klägerin, die am 4. Mai 1958 fast 63 Jahre alt war, zu dieser Zeit mindestens ein Jahr arbeitslos im Sinne des § 1248 Abs. 4 RVO gewesen ist.
Wie der erkennende Senat mehrfach, insbesondere in seinem Urteil vom 28. September 1961 (BSG 15, 131) entschieden hat, ist bei der Auslegung des Begriffs der Arbeitslosigkeit von dem jeweils bei Eintritt des Versicherungsfalls im Recht der Arbeitslosenversicherung geltenden Begriff auszugehen; ein Anlaß, diese Rechtsprechung aufzugeben besteht nicht.
Im vorliegenden Fall sind somit der § 75 AVAVG aF und, soweit es sich um die im vorliegenden Fall nicht streitige Frage der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 76 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG nF handelt, auch die sich aus § 76 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 AVAVG ergebenden Gesichtspunkte zur Definition der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 1248 Abs. 2 RVO heranzuziehen.
Da das LSG in seinem Urteil den Begriff der Arbeitslosigkeit unter Zugrundelegung der von der Neuregelung abweichenden älteren Fassung des AVAVG (§§ 87 und 87 a aF) angewandt hat, das Urteil sich auch aus anderen Gründen nicht als richtig darstellt, ist es wegen Rechtsverstoßes aufzuheben.
Eine eigene Entscheidung durch das BSG erlauben die vom LSG getroffenen Feststellungen nicht.
Das Berufungsgericht hat zwar in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. außer BSG 15, 631 insbesondere auch Urteil vom 15. März 1962 - 4 RJ 210/59 -) entschieden, daß der Arbeitslosigkeit kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis unmittelbar vorangegangen sein müsse, es hat jedoch für unerheblich gehalten, welche Gründe die Klägerin zur Arbeitslosmeldung veranlaßt hatten. Nur wenn die Klägerin in Wirklichkeit überhaupt ernsthaft keine Arbeit gesucht habe, fehle es an ihrer subjektiven Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt und damit an einem Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit. Einzig, um die insoweit möglichen Bedenken auszuräumen, führt das LSG aus, weshalb nach seiner Auffassung bei der Klägerin ein ernster Arbeitswille vorgelegen habe. Bei dieser Prüfung ist das LSG zwar auch auf Umstände eingegangen, die nach den erwähnten Urteilen des erkennenden Senats festgestellt werden müssen, um entscheiden zu können, ob der Wille der Klägerin bei ihrer Arbeitssuche wirklich auf den Erwerb von Entgelt ausgerichtet war. Die bisher getroffenen Feststellungen reichen jedoch nicht aus, zu entscheiden, ob bei der Klägerin ein ernster Wille zur Rückkehr in den Kreis der hauptberuflichen Arbeitnehmer vorgelegen hat, insbesondere fehlt bisher jede Klärung, ob die Klägerin sich tatsächlich um Tätigkeiten bemüht hat, bei denen es sich nicht nur um Nebentätigkeiten handelte, die vielmehr ihre Arbeitskraft als Arbeitnehmerin in der Hauptsache in Anspruch genommen hätten. Es fehlt weiter jedes Eingehen darauf, ob sie mit Rücksicht auf ihre häuslichen Pflichten zu einer derartigen Arbeit überhaupt in der Lage gewesen wäre.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen