Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsbesetzung bei Rechtsstreit über Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus durch Gemeinsamen Bundesausschuss. Nichtanerkennung der Protonentherapie bei Ästhesioneuroblastom und Mammakarzinom rechtmäßig. Umfang des Aufsichtsrechts
Orientierungssatz
1. Bei einem Rechtsstreit über die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses bezüglich der Bewertung einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode im Krankenhaus entscheidet das Gericht in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Versicherten und dem der Arbeitgeber.
2. Die Einordnung der Protonentherapie für die Indikationen "Ästhesioneuroblastom" und "Mammakarzinom" in die Anlage B der Verfahrensregeln zur Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ist nicht zu beanstanden. Sie ist weder aus förmlicher noch aus wissenschaftlicher Sicht rechtswidrig.
3. Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung als Aufsichtsbehörde gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss kann alle Auskünfte und Unterlagen verlangen, die den Weg vom Überprüfungsantrag bis zum Richtlinienbeschluss transparent machen. Die damit korrespondierende Pflicht des Gemeinsamen Bundesausschusses umfasst jedoch nicht, dass er seine Entscheidung begründen muss.
Tenor
Die Beschlüsse der Beklagten vom 22.07.2004 und 18.01.2005 werden aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um aufsichtsrechtliche Beanstandungen.
Der Kläger ist im System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ein Organ der gemeinsamen Selbstverwaltung. Ihm ist - u. a. unter Beteiligung der Beigeladenen - aufgegeben, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu bewerten, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen (§ 137 c Abs. 1 Buch V des Sozialgesetzbuches - SGB V -). Bei einem negativen Bewerten erlässt der Kläger eine entsprechende Richtlinie. Sie hat er dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) vorzulegen, der sie innerhalb von 2 Monaten nach Vorlage beanstanden kann (§ 94 Abs. 1 SGB V).
Unter dem 30.08.2001 beantragte die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen, die Protonentherapie zu beraten. Diese ist ein Hochpräzisionsstrahlen-Therapieverfahren, das bei onkologischen Erkrankungen eingesetzt wird. Dabei werden durch einen Teilchenbeschleuniger die positiv geladenen, massereichen Teile des Atomkerns mit mehr als halber Lichtgeschwindigkeit auf den Körper gerichtet und können, da sie ihre maximale Energie erst kurz vor deren Verlust entfalten, sehr zielgenau den zu bestrahlenden Tumor treffen. Dadurch wird der gesunde Organismus wesentlich mehr geschont als bei der herkömmlichen Photonen- oder Röntgenbestrahlung. Auch dringen Protonenstrahlen im Gegensatz zu Photonenstrahlen (nur) begrenzt in das Gewebe ein; hinter dem sogenannten "Bragg"-Punkt ist keine Bestrahlung mehr nachweisbar. Deshalb ermöglicht die Protonentherapie sehr hohe Strahlendosen, ohne dass gesundes, den Tumor umgebendes Gewebe geschädigt wird. Für die Beschaffung einer Protonenbestrahlungsanlage ist eine Investition von ca. 150.000.000,- Euro erforderlich.
Mit Beschluss vom 11.05.2004 stellte der Kläger fest, dass die Protonentherapie bei der Indikation "Ästhesioneuroblastom" derzeit weder allein noch in Kombination mit einer anderen Therapie die Kriterien des § 137 c SGB V (Erforderlichkeit für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten) erfüllt und damit keine Leistung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Er ordnete sie in die Richtlinie zur Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus gemäß § 137c SGB V ein, Anlage B "Nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden." Dort sind solche Methoden aufgeführt, die nicht als Krankenhausbehandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht werden dürfen (Ziffer 3.4).
Mit Beschluss vom 16.11.2004 traf der Kläger die gleiche Feststellung für die Protonentherapie bei der Indikation "Mammakarzinom" und ordnete sie ebenfalls in die Anlage B der oben genannten Richtlinie ein.
Die entsprechenden Abschlussberichte hatte der Kläger (mit Stand vom 06.04.2004 bzw. 17.09.2004) jeweils mit seiner Entscheidung dem BMGS vorgelegt. Die dagegen gerichteten Einwände des Ministeriums beriet der Kläger, blieb aber bei seinen Bewertungen.
Mit Bescheiden vom 22.07.2004 und 18.01.2005 beanstandete die Beklagte die Beschlüsse des Klägers.
Gegen die erste Beanstandung betreffend die Indikation Ästhesioneuroblastom hat der Kläger am ... Klage erhoben. Sie wurde zunächst unter dem Az.: S 00 KA 00/00 geführt, später jedoch nicht mehr als Angelegenheit der Vertragsärzte betrachtet und in jenen Anteil der Kammer 19 übernommen, der sich mit dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung befasst. Dort wurde sie unter dem Az.: S 00 ...