Leitsatz (amtlich)
Zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber im Verfahren vor der Vergabekammer.
Normenkette
GWB § 128 Abs. 4; BayVwVfG Art. 80
Verfahrensgang
Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 22.05.2003; Aktenzeichen 120.3–3194.1–17–04/03) |
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 22.5.2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin, eine gesetzliche Krankenkasse, hat die von ihr beabsichtigte Anmietung eines Bürogebäudes öffentlich ausgeschrieben; dabei hat sie auf die Freiwilligkeit der Ausschreibung hingewiesen und keine Nachprüfungsbehörde genannt. Die Antragstellerin, die ein Angebot abgegeben hat, aber nicht zum Zuge kommen sollte, hat ein Nachprüfungsverfahren beantragt. Mit Beschluss vom 22.5.2003 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurück, legte der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auf und erklärte die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig. Die Entscheidung ist im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Ausnahmetatbestand des § 100 Abs. 2 Buchst. h GWB eingreife und der Primärrechtsschutz nicht eröffnet sei. Mit ihrer sofortigen Beschwerde greift die Antragstellerin den Beschluss der Vergabekammer nur insoweit an, als die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig erklärt wurde.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 116, 117 GWB), hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung der Vergabekammer, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären, ist nicht zu beanstanden (§ 128 Abs. 4 S. 3 GWB, Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG).
1. Das Kartellvergaberecht ist eine relativ neue, komplexe und vom Europäischen Gemeinschaftsrecht überlagerte Rechtsmaterie. Das Nachprüfungsverfahren ist als beschleunigtes Verfahren ausgestaltet und steht unter enormem Zeitdruck. Vom öffentlichen Auftraggeber wird regelmäßig eine kurzfristige und gleichwohl in sachlicher wie rechtlicher Hinsicht fundierte umfassende Reaktion auf den Nachprüfungsantrag, sonstige Schriftsätze und Verfügungen der Vergabekammer erwartet. Im Unterschied zum verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren nach § 80 VwVfG, Art. 80 BayVwVfG handelt es sich um ein gerichtsähnliches kontradiktorisches Verfahren, bei dem auch der Gedanke der Waffengleichheit mit dem anwaltlich vertretenen Antragsteller nicht von vornherein gänzlich unberücksichtigt zu bleiben hat. Aus all diesen Gründen ist es nicht angebracht, die zum verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren bestehende restriktive Rechtspraxis zur Erstattung von Rechtsanwaltskosten auf das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer zu übertragen (BayObLG NZBau 2000, 481 [486]; BayObLG, Beschl. v. 15.4.2003 – Verg 4/03; OLG Düsseldorf NZBau 2000, 486 ff.; OLG Stuttgart NZBau 2000, 543 f.; NZBau 2000, 597 f.; OLG Frankfurt VergabeR 2002, 394 [396 f.]). Der Senat vermag daher nicht einen Grundsatz dahin anzuerkennen, dass die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Vergabestelle nur ausnahmsweise erforderlich sei (so i.E. aber offenbar OLG Koblenz ZVgR 2001, 275 f.), und er sieht auch nicht, dass ein solcher Grundsatz – wie die Antragstellerin behauptet – „weit verbreitete Ansicht” wäre. Die Rechtspraxis dürfte vielmehr ganz überwiegend dahin gehen, eine am Einzelfall orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. die vorgenannten Nachweise).
2. Der Fall war nach Art und Umfang für die Antragsgegnerin wirtschaftlich bedeutsam und in seiner Problematik keineswegs einfach gelagert; neben auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen traten spezifische Rechtsprobleme des Nachprüfungsverfahrens auf. Ob die beabsichtigte Anmietung in der konkreten Ausgestaltung unter den Freistellungstatbestand des § 100 Abs. 2 Buchst. h GWB fallen würde, war zunächst nicht eindeutig. Die Antragsgegnerin hatte sich deshalb im Vorfeld ein anwaltliches Rechtsgutachten zum Anwendungsbereich dieser Vorschrift erstellen lassen. Der Einwand der Antragstellerin, die Antragsgegnerin hätte nur das ihr vorliegende Rechtsgutachten kopieren müssen und dazu hätte es keiner anwaltlichen Hilfe bedurft, greift nicht. Die Antragstellerin ist der Auffassung, es sei vorliegend der Freistellungstatbestand erfüllt, nachdrücklich entgegengetreten. Sie hat ferner geltend gemacht, dass durch die europaweite Ausschreibung eine Selbstbindung der Antragsgegnerin eingetreten und deshalb ein Anspruch auf Durchführung des Nachprüfungsverfahrens gegeben sei. Darüber hinaus hat die Antragstellerin den Vorwurf eines Verstoßes gegen § 13 VgV erhoben und des weiteren behauptet, es habe eine rechtswidrige Zusage an einen Mitbewerber gegeben. Mit sämtlichen von der Antragstellerin aufgeworfenen Aspekten hat sich die Vergabekammer in ihrer Entscheidung auseinandergesetzt. Es lag im legitimen Interesse der Antragsgegnerin wie im obj...