Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 04.08.2004; Aktenzeichen 7 LA 141/04) |
VG Lüneburg (Urteil vom 21.04.2004; Aktenzeichen 1 A 316/03) |
Tenor
Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. August 2004 – 7 LA 141/04 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit darin der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen den die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Absatz 6 des Ausländergesetzes betreffenden Teil des Urteils des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 21. April 2004 – 1 A 316/03 – sowie der Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt werden. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Asyl und Abschiebungsschutz gegenüber einem zum Christentum konvertierten afghanischen Staatsangehörigen.
1. Der 1984 geborene Beschwerdeführer reiste im November 2001 auf dem Landweg nach Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte das vor allem auf den Versuch einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban gestützte Begehren mit Bescheid vom 8. September 2003 – auch hinsichtlich Abschiebungsschutzes – ab und drohte die Abschiebung an. Die Gewährung von Asyl im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG komme nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Auch eine politische Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG liege nicht vor; nach dem Ende der Herrschaft der Taliban im Jahre 2001 seien die Befürchtungen, bei einer Rückkehr nach Afghanistan von diesen verfolgt zu werden, unbegründet. Der Übergangsregierung fehle es allerdings noch an einer funktionierenden Administration und ihre Autorität reiche kaum über Kabul hinaus. Die Voraussetzungen, unter denen Abschiebungsschutz allein wegen einer im Zielland allgemein bestehenden Gefährdungslage gewährt werden könne, lägen nicht vor.
2. Hiergegen hat der Beschwerdeführer Klage erhoben und geltend gemacht, spätestens seit der Verabschiedung der afghanischen Verfassung, der sämtliche ehemaligen Kriegsherren und lokalen Machthaber zugestimmt hätten, könne nicht mehr von einer fehlenden Staatsgewalt gesprochen werden. Zudem sei er inzwischen zum Christentum konvertiert und getauft. Da nach der Scharia die Apostasie mit dem Tod bestraft werde, könne er nicht nach Afghanistan zurückkehren. Nach einer Stellungnahme des UNHCR zur Flüchtlingseigenschaft afghanischer Asylsuchender vom April 2003 bestehe eine große Gefahr der Verfolgung von Afghanen, die verdächtigt oder beschuldigt würden, vom Islam zum christlichen oder jüdischen Glauben konvertiert zu sein.
3. Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 21. April 2004 ab. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lägen nicht vor, weil es der afghanischen Übergangsregierung unter ihrem Präsidenten Karzai nach den vorliegenden Erkenntnissen und entgegen zum Teil anderer Einschätzung einzelner Verwaltungsgerichte gegenwärtig und auf absehbare Zeit an der notwendigen Staatlichkeit fehle. Aus diesem Grunde komme die Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG ebenfalls nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer habe schließlich auch keinen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Dabei könne zu seinen Gunsten davon ausgegangen werden, dass die Apostasie nach dem im gesamten Land angewandten islamischen Recht und sowohl von den „staatlichen” Stellen als auch von der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung als Verbrechen angesehen werde, das mit dem Tode bestraft werden könne. Die Gefährdungen, die dem Beschwerdeführer deshalb wegen seiner glaubhaft dargelegten Konversion zum Christentum drohten, könnten aber nicht unmittelbar nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berücksichtigt werden, weil sie eine ganze Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG beträfen, und derartige Gefahren bei Entscheidungen der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG zu berücksichtigen seien. Die Sperrwirkung des § 54 AuslG lasse eine positive Individualentscheidung nur zu, wenn der Ausländer in seinem Heimatstaat anderenfalls einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sei. Zudem sei die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auch dann zu beachten, wenn zielstaatsbezogener Abschiebungsschutz bereits nach § 54 AuslG gewährt werde; eine Schutzlücke, die aus verfassungsrechtlichen Gründen einen Rückgriff auf § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG rechtfertige, liege dann nicht vor. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport habe aber durch Erlass vom 6. Januar 2004 die Aussetzung der Abschiebung afghanischer Staatsangehöriger, längstens für die Dauer von sechs Monaten, angeordnet. Damit werde ein gleichwertiger zielstaatsbezogener Abschiebungsschutz bereits gewährt, so dass es eines Abschiebungsschutzes nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht bedürfe.
4. Dagegen stellte der Beschwerdeführer Antrag auf Zulassung der Berufung, gestützt auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, und beantragte für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe. Es bedürfe obergerichtlicher Klärung, inwieweit auch nach Verabschiedung der Verfassung in Afghanistan noch von einer fehlenden Staatsgewalt ausgegangen werden könne. Entgegen er Auffassung des Gerichts habe sich die Lage in Afghanistan nach Verabschiedung der Verfassung grundsätzlich geändert. Die Regierung Karzai habe ungeachtet einzelner regionaler Kämpfe landesweit unumstritten die Gebietsgewalt inne. Die vom Verwaltungsgericht angeführten Quellen seien nicht so aktuell, dass sie die neue Lage hinreichend berücksichtigten. Bedenklich sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei den Konvertiten um eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG handele; von einer Bevölkerungsgruppe sei nicht schon deshalb auszugehen, weil eine in höchstem Maße individuelle Lage zufällig auch bei einem Zweiten oder Dritten auftreten könne. Eine Konversion trete in Afghanistan faktisch einzig dann vereinzelt auf, wenn Afghanen längere Zeit außer Landes lebten und durch engen Kontakt mit Andersgläubigen zu einer neuen Religion fänden. Es stelle sich daher die grundsätzlich bedeutsame Frage, ob dem Beschwerdeführer die Rückkehr nach Afghanistan nach Auslaufen des Abschiebestopps trotz der ihm individuell drohenden Gefährdung zugemutet werden könne, weil eine durch Konversion ausgelöste Gefährdung eine Gruppe betreffe, oder ob er auf die Stellung eines Asylfolgeantrages in zwei Monaten zu verweisen sei, weil dann der Abschiebestopp ausgelaufen sei.
5. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht lehnte die Anträge ab. Werde der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung geltend gemacht, sei dem Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nur dann genügt, wenn eine unmittelbar aus dem Gesetz nicht beantwortbare, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht entschiedene, konkrete Frage aufgeworfen und erläutert werde, warum sie im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer bedeutsamen Fortentwicklung des Rechts obergerichtlicher Klärung bedürfe und warum sie sich in dem Berufungsverfahren stellen werde. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer die Verhältnisse in Afghanistan anders beurteile und die aktuelle Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts für unzureichend halte, verleihe der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Letztlich sei die Frage der Staatlichkeit Afghanistans in einem Berufungsverfahren aber auch deshalb nicht entscheidungserheblich, weil eine Gefährdung des Beschwerdeführers wegen seines christlichen Glaubens nicht belegt sei. Das Auswärtige Amt habe in einer aktuellen Auskunft vom 5. April 2004 ausgeführt, dass die neue afghanische Verfassung den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften das Recht einräume, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen, wenngleich dies bislang nicht landesweit und in jedem Fall durchgesetzt werden könne. Da es in Afghanistan keine nennenswerte christliche Minderheit gebe, sei eine verlässliche Einschätzung, ob es zu Repressionen seitens afghanischer Behörden oder durch die Bevölkerung komme, nicht möglich. Mangels Referenzfällen werde die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr auch in einem Berufungsverfahren nicht festzustellen sein. Damit fehle es aber auch an der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob das Bekenntnis zum Christentum Kennzeichen einer Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG innerhalb Afghanistans sei. Die von dem Beschwerdeführer insoweit aufgeworfenen Zweifel seien angesichts der Auskunft, dass es keine nennenswerte christliche Bevölkerung gebe, zwar angebracht, jedoch nicht entscheidungserheblich.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3, Art. 16a, Art. 25 und Art. 103 Abs. 1 GG. Das Oberverwaltungsgericht habe die Ablehnung der Berufungszulassung angesichts der erstinstanzlichen Feststellungen nicht auf die für ihn völlig überraschende Erkenntnis stützen dürfen, eine landesweite Gefährdung sei nicht belegt. Verschiedene Sachverständige hätten festgestellt, dass Konvertiten in Afghanistan gefährdet seien. Diese Frage könne nicht mit dem bloßen Hinweis auf bislang fehlende Referenzfälle im Berufungszulassungsverfahren erledigt werden. Wolle das Oberverwaltungsgericht einen völlig anders gearteten Sachverhalt als das erstinstanzliche Gericht zugrundelegen, müsse dies in einem Berufungsverfahren geklärt werden; andernfalls werde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen, zu der tatsächlichen Wertung des Rechtsmittelgerichts Stellung zu nehmen. Die Frage, ob und inwieweit in Afghanistan von einer effektiven Staatsgewalt auszugehen sei, sei angesichts unterschiedlicher Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte klärungsbedürftig. Wenn dem Beschwerdeführer aufgrund seines Glaubensübertritts landesweit Verfolgungsgefahr drohe, verstoße es gegen das Gebot des Non-Refoulement nach der Genfer Konvention, ihm die Gewährung individuellen Abschiebungsschutzes unter Hinweis auf einen nur noch für wenige Monate bestehenden, für alle Afghanen geltenden Abschiebestopp zu versagen.
Das Niedersächsische Justizministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen.
III.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr, da die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG vorliegen, in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist insoweit zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits beantwortet. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig und begründet.
a) Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde scheitert nicht daran, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht wie geboten (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) erschöpft hätte. Die Möglichkeit der Überprüfung von Gehörsverstößen im Wege der Anhörungsrüge wurde erst durch das Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3220 ≪3224≫) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 geschaffen.
b) Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt den aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs, soweit das Gericht mit Blick auf § 53 Abs. 6 AuslG die Entscheidungserheblichkeit der von dem Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage, ob das Bekenntnis zum Christentum Kennzeichen einer Bevölkerungsgruppe sei, verneint hat.
Art. 103 Abs. 1 GG verlangt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Gericht nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwendet, die von den Verfahrensbeteiligten oder vom Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 982/00 –, InfAuslR 2001, S. 463 ≪465≫). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs garantiert den Verfahrensbeteiligten ferner, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem dieser zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern und dadurch die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. An einer solchen Gelegenheit fehlt es nicht erst dann, wenn ein Beteiligter überhaupt nicht zu Wort gekommen ist (vgl. BVerfGE 19, 32 ≪36≫; stRspr). Zur verfassungsrechtlich gebotenen Gewährung ausreichender Gelegenheit, sich zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern, gehört auch, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung überhaupt ankommen kann (BVerfGE 84, 188 ≪190≫). Zwar ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters. Ein Gericht verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfGE 84, 188 ≪190≫; 86, 133 ≪144 f.≫).
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass demjenigen, der einen Antrag auf Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtsfrage im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG stellt, gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG grundsätzlich auch die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Rechtsfrage abverlangt wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass von vornherein zu allen möglichen Fragen, die eventuell entscheidungserheblich sein könnten, unabhängig davon Stellung genommen werden muss, ob sie nach der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eine Rolle spielen. Mit derart umfassenden Darlegungslasten wären die Anforderungen in einer mit dem Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz nicht vereinbaren Weise überspannt (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. August 1994 – 2 BvR 719/93 –, InfAuslR 1995, S. 15 ≪17≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 – 2 BvR 767/02 –, NVwZ 2006, S. 683 ≪684≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Februar 2007 – 1 BvR 2368/06 –, DVBl 2007, S. 497 ≪498≫; siehe auch Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, S. 1163 ≪1164≫; BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 – 7 AV 4/03 –, NVwZ-RR 2004, S. 542 ≪543≫). Wer gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung beantragt, muss damit, dass das Oberverwaltungsgericht auf eine vom Verwaltungsgericht nicht herangezogene Begründung abstellt und daher die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage verneint, jedenfalls dann nicht rechnen, wenn die alternative Begründung nicht auf der Hand liegt und selbst auf einen Zulassungsgrund führt, indem sie etwa ihrerseits grundsätzlich klärungsbedürftige Fragen aufwirft (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 18. September 1998 – 8 N 45/98 –, NVwZ 1998, S. 1318 ≪1319≫; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 124 Rn. 15 b). Hieraus folgt, dass das Oberverwaltungsgericht dem Rechtsmittelführer zu den Schlüssen, die es aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5. April 2004 für das Verfahren zu ziehen beabsichtigte, ausdrücklich Gelegenheit zur Stellungnahme hätte geben müssen.
Auf dem Gehörsverstoß, der darin liegt, dass das Oberverwaltungsgericht dies unterlassen hat, beruht die getroffene Entscheidung; denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Anhörung des Beschwerdeführers zu einer ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerfGE 86, 133 ≪147≫; 89, 381 ≪392≫). Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts lagen verschiedene Gutachten, Stellungnahmen sowie erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen vor, die eine Gefährdung von zum Christentum übergetretene afghanische Staatsangehörigen bejahten (vgl. Mostafa Danesch, Auskunft vom 13. Mai 2004, Dokumentennummer des Bundesamtes: AFG26250001; Amnesty International, Pressemitteilung vom 28. Juli 2003, Dokumentennummer des Bundesamtes: AFG00053452; VG Braunschweig, Urteil vom 16. Juli 2004 – 1 A 264/03 –; VG Minden, Urteil vom 24. Juli 2003 – 9 K 2258/00.A –; Sächs. OVG, Urteil vom 23. Oktober 2003 – A 1 B 114/00 –). Der gebotene Hinweis an den Beschwerdeführer hätte diesem Gelegenheit gegeben, das Gericht zu näherer Prüfung zu veranlassen. Unter anderem hätte der Beschwerdeführer beanstanden können, dass die herangezogene Auskunft des Auswärtigen Amtes eine niemals Muslima gewesene orthodoxe Christin russischer Herkunft betraf und damit keinen unmittelbaren Bezug zur Gefährdungslage im Falle der Apostasie hatte.
Danach erscheint es möglich, dass das Oberverwaltungsgericht zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es den Beschwerdeführer auf die beabsichtigte Fallbehandlung hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hätte.
c) Ob das Gericht mit seinem Vorgehen weitere Grundrechte, vor allem die vom Beschwerdeführer nicht ausdrücklich als verletzt gerügte Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) verletzt hat (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 384/05 –), kann angesichts der bereits getroffenen Feststellungen offenbleiben.
2. Auf der festgestellten Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG beruht auch die Begründung, mit der das Oberverwaltungsgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat. Auch insoweit ist daher die Verfassungsbeschwerde begründet.
3. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Nichtzulassung der Berufung bezüglich der dem Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf Verfolgungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 bis Abs. 4 AuslG zur Klärung angetragenen Frage des Bestehens einer Staatsgewalt in Afghanistan betrifft, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen, da sie insoweit unzulässig ist. Der Beschwerdeführer hat insofern den Rechtsweg nicht in der gehörigen Weise erschöpft.
Auch im Umgang mit der Frage der Staatlichkeit hat das Oberverwaltungsgericht zwar Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es die Entscheidungserheblichkeit der Frage ohne vorherigen Hinweis mit der für den Beschwerdeführer nicht vorhersehbaren Begründung verneint hat, eine glaubensbedingte Gefährdung des Beschwerdeführers in Afghanistan sei nicht belegt.
Auf diesem Grundrechtsverstoß beruht die Entscheidung zu diesem Punkt aber nicht. Sie ist insoweit zusätzlich auf eine andere, tragfähige Grundlage gestützt. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, der Berufungszulassungsantrag – der sich hinsichtlich der Frage der Staatlichkeit auf die allgemein gehaltene Gegenbehauptung beschränkte, die Verhältnisse hätten sich seit dem Inkrafttreten der Verfassung geändert, was die herangezogenen Erkenntnisquellen nicht berücksichtigten – genüge nicht den nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG bestehenden Darlegungsanforderungen. Damit hat das Gericht
die Darlegungsanforderungen nicht in einer verfassungsrechtlich angreifbaren Weise überspannt. Das Verwaltungsgericht hatte die Verhältnisse in Afghanistan gerade auch hinsichtlich der Entwicklung seit Inkrafttreten der Verfassung gewürdigt und dabei entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers auch aktuelle Quellen herangezogen. Die durch nichts weiter substantiierte widersprechende Behauptung des Beschwerdeführers konnte das Oberverwaltungsgericht ohne Verfassungsverstoß als den Anforderungen an die Begründung eines Berufungszulassungsantrages nicht genügend ansehen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, S. 1163 ≪1164 f.≫; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 1994 – 2 BvR 2079/93 –, DVBl 1995, S. 35 f.).
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1974858 |
NVwZ-RR 2007, 506 |