Leitsatz (amtlich)
Die durch § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG statuierte Anrechnungsregelung, die zu einer Kürzung der Conterganrente für bestimmte ausländische Berechtigte führt, ist verfassungswidrig, weil sie unverhältnismäßig und gleichheitswidrig in die eigentumsrechtlich geschützte Rechtsposition der von ihr betroffenen thalidomidgeschädigten Menschen eingreift.
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 02.07.2019; Aktenzeichen 16 A 44/16) |
VG Köln (Urteil vom 03.11.2015; Aktenzeichen 7 K 7211/13) |
Nachgehend
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Bundesverfassungsgericht wird gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 15 Abs. 2 Satz 2 des Conterganstiftungsgesetzes in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1847) und in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 21. Februar 2017 (BGBl. I S. 263) mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Gründe
I
Rz. 1
Der [...] geborene Kläger ist irischer Staatsangehöriger und lebt in der Republik Irland. Er ist als Thalidomidgeschädigter anerkannt (49,60 Schadenspunkte nach der medizinischen Punktetabelle) und erhält seit Oktober 1972 Leistungen aufgrund des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. Dezember 1971 (Stiftungsgesetz) und des diesem nachfolgenden Gesetzes über die Conterganstiftung für behinderte Menschen (Conterganstiftungsgesetz - ContStifG). Des Weiteren erhält der Kläger nach dem Irish Thalidomide Compensation Scheme vom irischen Staat einen monatlich geleisteten Betrag, der im hier relevanten Zeitraum ab August 2013 1 109 Euro betrug.
Rz. 2
Nach Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1847) stand dem Kläger nach § 13 dieses Gesetzes eine monatliche Conterganrente in Höhe von 3 686 Euro zu. Mit Bescheid vom 29. Juli 2013 rechnete die Beklagte darauf unter Hinweis auf die mit der Gesetzesänderung eingeführte Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG ab August 2013 die monatliche Zahlung des irischen Staates in Höhe von 1 109 Euro an und setzte für die Zeit ab dem 1. September 2013 einen monatlichen Auszahlungsbetrag der Conterganrente in Höhe von 2 577 Euro fest. Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG werden auf die Kapitalentschädigung und die Conterganrente Zahlungen angerechnet, die wegen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate von Anderen, insbesondere ausländischen Staaten, geleistet werden. Den vom Kläger gegen den vorgenannten Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2013 zurück.
Rz. 3
Die hiergegen mit dem Ziel erhobene Klage, die Conterganrente ohne die Anrechnung der irischen Zahlung zu erhalten, blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG weder unionsrechtlich noch verfassungsrechtlich zu beanstanden. Eine kollidierende Vorschrift des Unionsrechts, die zur Nichtanwendbarkeit der gesetzlichen Anrechnungsregelung führen könne, liege nicht vor. Das Conterganstiftungsrecht sei keine Angelegenheit der Europäischen Union und falle daher nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts, sodass ein Verstoß gegen Art. 21 Abs. 2 der Grundrechte-Charta oder gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV bereits deswegen ausscheide. Darüber hinaus enthalte § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG weder eine offene noch eine unzulässige verdeckte Diskriminierung. Die Vorschrift verstoße entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht gegen das Grundgesetz. Der Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG garantiere keine bestimmte Höhe der zu zahlenden Conterganrente. Die Anrechnungsregelung stelle eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung dar, mit der der Gesetzgeber zur Vermeidung einer Besserstellung bestimmter Thalidomidgeschädigter gegenüber anderen einen legitimen Zweck in verhältnismäßiger Weise verfolge. In Bezug auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestünden ebenfalls keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG bewirke keine Ungleichbehandlung, sondern eine Gleichbehandlung aller Bezieher der von der Beklagten gezahlten Conterganrenten. Die hierfür als notwendiger Zwischenschritt stattfindende, vom Kläger angegriffene faktische Ungleichbehandlung in Form der Anrechnung der vom irischen Staat geleisteten Zahlung sei eine Ungleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte, die keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Es könne dahinstehen, ob bzw. inwieweit eine Differenz tatsächlich bestehe, soweit der Kläger geltend mache, dass im Ergebnis überhaupt keine Gleichbehandlung erfolge, weil die unterschiedlichen Ausgestaltungen der deutschen Sozialleistungs- und Sozialversicherungssysteme (einschließlich von Nichtanrechnungsvorschriften wie § 18 Abs. 2 ContStifG) einerseits und der irischen Sozialleistungs- und Sozialversicherungssysteme andererseits dazu führten, dass deutsche Contergangeschädigte insgesamt über erheblich mehr Mittel und Vergünstigungen verfügten als irische Geschädigte. Denn selbst bei der Annahme einer solchen Differenz sei kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen. So sei der deutsche Gesetzgeber nicht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen durch zwei unterschiedliche Normgeber verpflichtet. Er müsse nicht innerhalb eines Sachbereichs dieselben Regelungen erlassen wie ein anderer Normgeber. Der allgemeine Gleichheitssatz gebiete nicht, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Ordnungsbereichen mit anderen systematischen und sozialgeschichtlichen Zusammenhängen gleich zu regeln. Des Weiteren verdeutlichten die kaum zu überwindenden Probleme, die mit einer zutreffenden Ermittlung der sich aus den vielfältigen Sozialleistungs- und Sozialversicherungsregelungen aller Staaten, in denen Zahlungen und Vergünstigungen an Contergangeschädigte gewährt würden, verbunden wären, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehalten gewesen sei, vor der Einführung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG eine solche Ermittlung, die überdies im Laufe der Zeit regelmäßig zu aktualisieren wäre, durchzuführen bzw. der Beklagten eine entsprechende umfassende Ermittlungspflicht aufzuerlegen.
Rz. 4
Hiergegen richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt. Er rügt insbesondere eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die Ungleichbehandlung liege darin, dass er eine niedrigere Conterganrente ausbezahlt erhalte als andere Thalidomidgeschädigte mit gleicher Schadenspunktzahl. Die Ungleichbehandlung sei nicht zur Vermeidung einer vermeintlichen Besserstellung gerechtfertigt. Denn das Conterganstiftungsgesetz und seine Leistungen seien als Ganzes zu bewerten und es seien demzufolge auch durch das Conterganstiftungsgesetz im Verhältnis zu anderen Menschen mit Behinderungen begründete Privilegierungen im deutschen Sozialsystem zu berücksichtigen. Die in § 18 Abs. 1 und 2 ContStifG enthaltenen Regelungen kämen ausschließlich in Deutschland lebenden Thalidomidgeschädigten zugute. Wenn man diese im Conterganstiftungsgesetz selbst angelegte Privilegierung als Ausdruck des zulässigen gesetzgeberischen Handelns bei der Ausformung einer Leistung sui generis in Deutschland akzeptiere, sei es allerdings unverhältnismäßig, die irische schadensabhängig pauschalierte ergänzende Leistung, die einer Unterversorgung begegnen solle, als "Doppelleistung" abzuschöpfen. Im Unterschied zu den Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz, die als Leistung sui generis im Kern den zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch der Geschädigten gegen die Firma Grünenthal GmbH abgelöst und durch einen Anspruch gegen den Staat ersetzt hätten, erscheine die Leistung des irischen Staates nicht als Schadensersatz, da der irische Staat weder Anlass noch Motivation für die Leistung eines Schadensersatzes gehabt habe. Vielmehr sei diese als eine die Leistungen des Conterganstiftungsgesetzes ergänzende Art von Sozialleistung einzuordnen, die der irische Staat für seine durch die Thalidomideinnahme in Not geratenen Bürgerinnen und Bürger eingeführt habe, zumal das irische Sozialleistungssystem auf solch große Schädigungswellen weitaus schlechter eingestellt sei. Der Sache nach handele es sich daher hier unter dem scheinbar einleuchtenden Begriff der Verhinderung von bevorzugenden Doppelleistungen um eine Abschöpfung von irischen Sozialleistungen für eine besonders hart betroffene Gruppe von Menschen mit Behinderungen, die keineswegs eine doppelte Leistung erhielten, sondern dieselbe einfache Leistung wie deutsche Contergangeschädigte plus eine zwar auch pauschaliert ausbezahlte, aber anders zielgerichtete Leistung, mit der sie ihre trotz der durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes erhöhten Conterganrente nach wie vor unzureichende Versorgung etwas verbessern könnten. Ferner rügt der Kläger aus den vorgenannten Gründen eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG und hält darüber hinaus seinen vorinstanzlichen Vortrag aufrecht, dass eine unzulässige mittelbare Diskriminierung und ein Verstoß gegen Art. 21 Abs. 2 der Grundrechte-Charta bzw. gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV vorliege.
Rz. 5
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Juli 2019 und des Verwaltungsgerichts Köln vom 3. November 2015 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 29. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2013 zu verpflichten, die Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz ohne Anrechnung der Leistungen des irischen Staates nach dem "Irish Thalidomide Compensation Scheme" festzusetzen.
Rz. 6
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 7
Sie verteidigt das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts. Dabei hält sie insbesondere eine Gesamtbetrachtung der durch das Conterganstiftungsgesetz geregelten Ansprüche nicht für geboten und verweist darauf, dass die deutliche Erhöhung der Conterganrente durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes die fragliche Anrechnung rechtfertige, zumal dem Kläger auch nach Anrechnung der irischen Zahlung insgesamt ein Betrag in Höhe der ungekürzten Conterganrente zur Verfügung stehe. Ferner vertritt die Beklagte die Auffassung, dass die Stiftungsleistungen mittlerweile über das von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG Geforderte hinausgingen und - soweit dies der Fall sei - hiervon nicht erfasst würden.
II
Rz. 8
Das Verfahren ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen, um dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 15 Abs. 2 Satz 2 des Conterganstiftungsgesetzes in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1847) und in der im Text gleichlautenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 21. Februar 2017 (BGBl. I S. 263) mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Rz. 9
Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG werden auf die nach dem Conterganstiftungsgesetz erbrachte Kapitalentschädigung und die Conterganrente Zahlungen angerechnet, die wegen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate von Anderen, insbesondere von ausländischen Staaten, geleistet werden. Auf die Gültigkeit dieser Vorschrift kommt es für die Entscheidung des Senats über die Revision des Klägers an (1.). Der Senat ist davon überzeugt, dass § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG sowohl mit Art. 14 Abs. 1 GG (2.) als auch mit Art. 3 Abs. 1 GG (3.) unvereinbar ist. Eine verfassungskonforme Auslegung der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG ist nicht möglich (4.).
Rz. 10
1. § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG ist für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblich im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.
Rz. 11
Die Vorschrift ist im Ausgangsfall in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1847), durch das sie mit Wirkung vom 1. August 2013 eingeführt worden ist, anzuwenden. Da es sich bei dem streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2013 (in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2013) um einen sogenannten Dauerverwaltungsakt handelt, der eine Regelung für einen zeitlich nicht befristeten Zeitraum trifft, ist die Vorschrift ferner anwendbar in der Fassung von Art. 1 Nr. 7 des Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 21. Februar 2017 (BGBl. I S. 263). Hierdurch wurde (lediglich) die ursprüngliche Überschrift der Norm ("Sonderreglung für Auslandsfälle") geändert in "Verzicht, Anrechnung von Zahlungen Dritter".
Rz. 12
Auf der Grundlage des im Wege der Gesetzesauslegung ermittelten gesetzlichen Anwendungsbereichs des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG (a) ist diese Anrechnungsregelung im Ausgangsfall einschlägig (b), ohne dass ihrer Anwendbarkeit unionsrechtliche Bestimmungen entgegenstehen (c).
Rz. 13
a) Die Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG stellt sich hinsichtlich ihrer Tatbestandsvoraussetzungen, ihrer Rechtsfolge und ihres rechtstatsächlichen Anwendungsbereichs wie folgt dar:
Rz. 14
aa) Tatbestandlich setzt § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG voraus, dass an Berechtigte, die bestimmte Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz (Kapitalentschädigung und/oder Conterganrente) erhalten ((1)), zugleich Zahlungen wegen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate von Anderen, insbesondere von ausländischen Staaten, geleistet werden ((2)).
Rz. 15
(1) Aus der Bezugnahme der Anrechnungsregelung auf die Kapitalentschädigung und die Conterganrente folgt, dass die Vorschrift Leistungsberechtigte nach § 12 Abs. 1 ContStifG erfasst, also Personen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, und die deshalb Leistungen nach § 13 ContStifG erhalten. Aus ihr ist zudem abzuleiten, dass sich das Merkmal der "Einnahme thalidomidhaltiger Präparate" in § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG nicht auf den Geschädigten selbst bezieht, sondern es sich dabei um eine verkürzte Wiedergabe des in § 12 Abs. 1 ContStifG enthaltenen wortgleichen Erfordernisses handelt, dass die Mutter während der Schwangerschaft entsprechende Präparate eingenommen hat und dies mit der Schädigung des Kindes in Verbindung gebracht werden kann. Denn gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 ContStifG kann nur den in § 12 ContStifG genannten leistungsberechtigten Personen überhaupt eine Kapitalentschädigung oder Conterganrente zustehen. Das vorgenannte Verständnis erschließt sich zudem aus dem aus der Gesetzesbegründung abzuleitenden Sinn und Zweck der 2013 eingeführten Anrechnungsregelung. Damit verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, eine Besserstellung derjenigen zu verhindern, die neben den Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz Zahlungen eines ausländischen Staates wegen ihrer thalidomidbedingten Schädigung erhalten. Mit der Regelung sollen staatliche Doppelleistungen vermieden werden, durch die nach Auffassung des Gesetzgebers die in den entsprechenden Ländern oder in Deutschland lebenden ausländischen Betroffenen bessergestellt seien als die deutschen Geschädigten und die Geschädigten in anderen Ländern ohne staatliche Leistungen (vgl. BT-Drs. 17/12678 S. 5). Ein Verständnis, dass § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG die Einnahme thalidomidhaltiger Präparate durch die Geschädigten selbst verlangt, widerspräche dieser Zwecksetzung und führte zum praktischen Leerlaufen der Vorschrift.
Rz. 16
(2) Die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG beschränkt sich ausweislich ihres Wortlauts ("Zahlungen") auf Geldzahlungen Anderer, insbesondere ausländischer Staaten, die an die zuvor bezeichneten Berechtigten "wegen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate" geleistet werden.
Rz. 17
(a) Aus dem Kausalitätserfordernis ("wegen") folgt, dass nur solche "Zahlungen" Anderer (ausländischer Staaten) anzurechnen sind, die von diesen spezifisch wegen der Thalidomidschädigung an die Gruppe der (regelmäßig, aber nicht notwendig in diesem Staat lebenden) Betroffenen erbracht werden. Für diese sich bereits anhand des Wortlauts erschließende Auslegung spricht auch der systematische Bezug auf die Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz, der in der Gesetzesbegründung mit dem Verweis darauf verdeutlicht worden ist, "dass außer in der Bundesrepublik Deutschland in mindestens zehn weiteren Ländern staatliche Zahlungen in unterschiedlicher Höhe" erbracht würden (BT-Drs. 17/12678 S. 5). Allgemeine Vergünstigungen oder Sozialleistungen des ausländischen Staates, die neben den Thalidomidgeschädigten auch anderen Bedürftigen zukommen, erfasst § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG daher nicht.
Rz. 18
(b) Aufgrund der Begrenzung auf "Zahlungen" fallen unter die Leistungen eines Anderen im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG keine Sachleistungen oder sonstigen Begünstigungen (wie Steuererleichterungen) des ausländischen Staates, und zwar auch dann nicht, wenn diese nur der Gruppe der Thalidomidgeschädigten zugutekommen. Die Erfassung solcher sachlichen Begünstigungen, die nicht durch "Zahlung" vermittelt werden, hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien nicht in seinen Willen einbezogen (vgl. BT-Drs. 17/12678 S. 5, 6, 7, wo lediglich allein auf eine Anrechnung ausländischer "Leistungen" bzw. "staatlicher Zahlungen" Bezug genommen wird). Die Anrechnung von nicht als Zahlungen gewährten Begünstigungen eines ausländischen Staates widerspräche auch mit Blick darauf, dass deren Feststellung einer entsprechenden (ständigen) tatsächlichen Ermittlung und Bewertung und deren wertmäßiger Einordnung bedürfte, den Anforderungen an die Verwaltungspraktikabilität der Anrechnungsregelung in einer Weise, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann.
Rz. 19
(c) Aus der Systematik, dem Sinn und Zweck der Norm sowie aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt sich des Weiteren, dass § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG ausschließlich an die Betroffenen geleistete Geldzahlungen ausländischer Staaten, also keine inländischen Leistungen Anderer (etwa von inländischen Dritten oder Sozialleistungsträgern) erfasst.
Rz. 20
Trotz der Verwendung des Begriffs der "Leistungen Anderer" bezieht sich § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG normativ (und rechtstatsächlich) allein auf Zahlungen ausländischer Staaten. Die nachgestellte Erläuterung "insbesondere von ausländischen Staaten" verdeutlicht die Zielrichtung der Vorschrift. Es sollen die Geldleistungen angerechnet werden, die Thalidomidgeschädigte von ausländischen Staaten zusätzlich zu den Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz erhalten (BT-Drs. 17/12678 S. 5). Zwar lässt der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG durch das Wort "insbesondere" noch Raum dafür, dass auch Zahlungen nichtstaatlicher Akteure aus dem In- oder Ausland zu berücksichtigen sein könnten. Unabhängig davon, dass derartigen Zahlungen - wie die Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat - keinerlei tatsächliche oder verwaltungspraktische Bedeutung zukommt, werden sie - wie sich im Wege gesetzessystematischer, teleologischer und historisch-genetischer Auslegung ergibt - nicht von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfasst. Systematisch weist bereits die vorgefundene ursprüngliche Überschrift der Norm ("Sonderregelung für Auslandsfälle"), in die die Neuregelung eingeordnet worden ist, eindeutig auf einen Auslandsbezug hin. Dass etwaige Leistungen Privater nicht anzurechnen sind, ergibt sich überdies aus dem systematischen Zusammenhang zu der Regelung des § 18 Abs. 2 ContStifG, die sich mit inhaltlicher Übereinstimmung bereits in der Vorgängerregelung in § 22 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2018) - im Folgenden: Stiftungsgesetz - StHG - fand. Nach § 18 Abs. 2 ContStifG werden Verpflichtungen Anderer, wie insbesondere Unterhaltsverpflichtungen, durch dieses Gesetz nicht berührt. Allgemeine Leistungen anderer Sozialleistungsträger und (freiwillige) private Zahlungen, die nicht auf Haftungsgründen beruhen, sind dementsprechend auch im Rahmen des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG nicht als Leistungen Dritter anzusehen. Ihre Berücksichtigung widerspräche dem mit § 18 Abs. 2 ContStifG zum Ausdruck gebrachten Sinn und Zweck des Conterganstiftungsgesetzes, den bereits das Stiftungsgesetz verfolgt hat, den Betroffenen die Conterganrente "ungeschmälert" zukommen zu lassen und auch keine mittelbaren Kürzungen zuzulassen (vgl. BT-Drs. 17/12678 S. 8 unter Hinweis auf die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drs. VI/926 S. 7 betreffend die Entwurfsfassung des § 5, die inhaltsgleich als § 22 in das Stiftungsgesetz Eingang gefunden hat). Auch die Begründung des Gesetzentwurfs zur Einführung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG im Jahre 2013 gibt darüber hinaus unmissverständlich zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift keine privaten Leistungen, sondern ausschließlich die "Zahlungen ausländischer Staaten" erfassen wollte. Im gesamten Gesetzesentwurf werden die anzurechnenden Leistungen Anderer wiederholt und allein als die Leistungen oder "Zahlungen ausländischer Staaten" ausgewiesen (BT-Drs. 17/12678 S. 5, 6 und 7, wo es heißt: "Neben der bisherigen Anrechnung von Zahlungen anderer möglicherweise Verantwortlicher auf alle Leistungen nach diesem Gesetz werden Leistungen ausländischer Staaten künftig auf die monatliche Conterganrente und auf die noch zu leistende einmalige Kapitalentschädigung angerechnet"). Zudem bezieht sich der Gesetzentwurf auf eine von der Beklagten beauftragte vergleichende Studie zur Erfassung aller Leistungen an thalidomidgeschädigte Menschen in 21 Ländern (DLA Piper vom 31. Januar 2012), wonach außer in der Bundesrepublik Deutschland in mindestens zehn weiteren Ländern staatliche Zahlungen in unterschiedlicher Höhe bereits erbracht wurden, laufend geleistet werden oder in Zukunft geleistet werden sollen; diese Leistungen sollten künftig auf Leistungen der Beklagten - mit Ausnahme der jährlichen Sonderzahlung - angerechnet werden (BT-Drs. 17/12678 S. 5). Dabei geht der Gesetzentwurf davon aus, dass nur ausländische Betroffene Zahlungen von ausländischen Staaten erhalten.
Rz. 21
(d) Ferner ist § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG dahin auszulegen, dass diese Anrechnungsregelung keine Zahlungsansprüche erfasst, die ihren Leistungsgrund in einer möglichen haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit des ausländischen Staates oder in einer (etwa durch eine gesetzliche Stiftungslösung) mittels eines Schuldnerwechsels auf den ausländischen Staat übergegangenen Verantwortung haben. Dies ergibt sich im Wege der systematischen, historisch-genetischen und teleologischen Auslegung.
Rz. 22
Zunächst grenzt das Tatbestandsmerkmal der Zahlungen "Anderer, insbesondere ausländischer Staaten" im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG den Anwendungsbereich der Norm systematisch von der in § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG normierten Anrechnungsregelung ab, die sich bereits in § 18 Abs. 2 StHG fand. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG werden auf Leistungen nach diesem Gesetz Zahlungen angerechnet, die wegen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate bereits von anderen "möglicherweise Verantwortlichen" geleistet worden sind. § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfasst daher im systematischen Gegenschluss nur diejenigen Zahlungen ausländischer Staaten, die nicht bereits von § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG erfasst werden, also in keinem Zusammenhang mit einer Verantwortlichkeit im Sinne der zuletzt genannten Vorschrift stehen. Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/12678 S. 5), weil der Gesetzgeber mit der Gesetzesänderung 2013 allein weitere, über die bis dahin vorhandene Regelung hinausgehende Zahlungen erfassen wollte. Mit den "anderen möglicherweise Verantwortlichen" meint die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG wiederum - wie sich aus dem systematischen Bezug zu Absatz 1 der Vorschrift ergibt - andere für die Schädigung Verantwortliche als die ausdrücklich in § 15 Abs. 1 ContStifG Genannten (d.h. die Grünenthal GmbH, deren Gesellschafterinnen und Gesellschafter, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer und Angestellte). Erfasst werden von § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG mögliche für die Schädigungen verantwortliche Haftungsschuldner, also insbesondere andere Pharmafirmen (vgl. die Begründung zu § 17 Abs. 2 des Stiftungsgesetzes in BT-Drs. VI/926 S. 9, wo es heißt: "Durch Absatz 2 sollen Doppelleistungen an solche Kinder verhindert werden, die etwa bereits von einer ausländischen Herstellerfirma eine Entschädigungszahlung erhalten haben."). Zu den möglicherweise Verantwortlichen im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG würden des Weiteren ausländische Staaten gehören, soweit auf diese eine (festgestellte oder anerkannte) Haftungsschuld in Form eines Schuldnerwechsels übergegangen wäre und die damit notwendig auch die (weitere) Verantwortlichkeit (für die Abwicklung der Schadensfälle) träfe, sodass entsprechende staatliche Zahlungen - auch aus teleologischen Erwägungen wegen ihrer entschädigungsrechtlichen Zweckübereinstimmung mit der Conterganrente - nicht als solche eines Anderen im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG anzusehen wären. Nach dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers soll die 2013 eingeführte Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG eine über den Kreis der Verantwortlichen hinausgehende, aber keine rückwirkende Anrechnung ermöglichen, worin erklärtermaßen der "Unterschied zu Zahlungen anderer möglicher Verantwortlicher" (die allein unter § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG fallen) liege (BT-Drs. 17/12678 S. 7 f.).
Rz. 23
(e) Die Vorschrift erfasst schließlich nur solche Zahlungen ausländischer Staaten, die ab Inkrafttreten des Gesetzes am 1. August 2013 "geleistet werden". Zuvor erbrachte Zahlungen unterliegen nicht der Anrechnung, unabhängig davon, ob sie von dem ausländischen Staat als laufende (monatliche) Zahlungen oder als Einmalzahlungen erbracht worden sind. Das folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ("geleistet werden") und wird durch den in den Gesetzesmaterialien geäußerten Willen des Gesetzgebers, von einer rückwirkenden Anrechnung von Zahlungen ausländischer Staaten auf in der Vergangenheit geleistete Conterganrenten oder Kapitalentschädigungen abzusehen, bestätigt (BT-Drs. 17/12678 S. 7 f.).
Rz. 24
bb) Als Rechtsfolge ordnet § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG die Anrechnung der betreffenden Zahlungen ausländischer Staaten auf die Kapitalentschädigung und die Conterganrente (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 ContStifG) an. Rechtlich nicht betroffen von der Anrechnung sind danach - was auch die Gesetzesbegründung klarstellt (BT-Drs. 17/12678 S. 5, 7 f.) - die jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und die jährliche Sonderzahlung (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 ContStifG). Soweit eine Anrechnung ausländischer Zahlungen auf die Conterganrente oder die Kapitalentschädigung erfolgt, bewirkt dies, dass sich deren Auszahlungsbetrag um den jeweiligen Betrag der Zahlungen des ausländischen Staates verringert und gegebenenfalls ganz entfällt. Bei der Entscheidung über die Anrechnung handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Ein Ermessen ist der Beklagten nicht eingeräumt. Die Conterganrente ist danach im Auszahlungsbetrag um monatliche Zahlungen eines ausländischen Staates, welche die oben dargelegten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfüllen, zu kürzen. Von der Kapitalentschädigung sind gegebenenfalls Einmalzahlungen des ausländischen Staates abzuziehen, die im Anschluss an etwaige Neuanträge erfolgen, die ab August 2013 nach § 12 ContStifG bewilligt werden. Dieses Verständnis der Rechtsfolgenanordnung erschließt sich aus dem Wortlaut der Norm und wird durch Willensäußerungen des Gesetzgebers, wie sie aus den Gesetzesmaterialien hervorgehen, bestätigt (vgl. BT-Drs. 17/12678 S. 6, wo es u.a. heißt, dass Anrechnungen bei Einmalzahlungen nur "bei der Kapitalentschädigung für bewilligte Neuanträge" in Betracht kämen, so dass insoweit nur mit "geringen Einsparungen" für den Haushalt des Bundes zu rechnen sei).
Rz. 25
cc) Ausgehend von dem zuvor dargestellten normativen Befund stellt sich der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG in rechtstatsächlicher Hinsicht wie folgt dar:
Rz. 26
(1) Da die Kapitalentschädigung nur einmal zu gewähren ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ContStifG) und damit allen, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG Leistungsberechtigte gewesen sind, bereits zu gewähren war, kann die Anrechnungsregelung im Hinblick auf einmalige Zahlungen eines ausländischen Staates - wovon auch die Gesetzesbegründung ausgeht (BT-Drs. 17/12678 S. 6) - nur tatsächliche Bedeutung erlangen, soweit es sich um bislang nicht anerkannte neu hinzukommende Leistungsberechtigte nach § 12 ContStifG handelt. Dass es solche noch gibt, erscheint heute allerdings praktisch nahezu ausgeschlossen. Ungeachtet der Regelung des § 12 Abs. 2 ContStifG, die eine solche Möglichkeit in den Blick nimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2020 - 5 C 1.20 [ECLI:DE:BVerwG:2020:260620U5C1.20.0] - BVerwGE 169, 54 Rn. 10 ff.), liegt dies vor allem daran, dass gut 50 Jahre nach den schädigenden Ereignissen - betroffen waren im Wesentlichen die Jahrgänge 1958 bis 1962 (vgl. etwa BT-Drs. 16/13025 S. 1) - allenfalls eine geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich erst jetzt Geschädigte bei der Beklagten melden, deren thalidomidbedingte Schädigung bislang unerkannt geblieben ist.
Rz. 27
(2) In ihrer praktischen Wirkung wird von der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG lediglich derjenige Teil der ausländischen Berechtigten betroffen, der wegen der Thalidomidschädigung eine laufende (rentenartige) Zahlung seines jeweiligen Heimatstaates erhält. Was die Anzahl der Betroffenen betrifft, ist der Gesetzentwurf aus dem Jahre 2013 davon ausgegangen, dass seinerzeit von rund 2 700 Leistungsempfängern (Berechtigten im Sinne von § 12 ContStifG) etwa zehn Prozent im Ausland lebten (BT-Drs. 17/12678 S. 5). Weiter heißt es dazu im Gesetzentwurf: "Nach derzeitigen Erkenntnissen wären von einer solchen Regelung voraussichtlich rund 60 Prozent der ausländischen Geschädigten, also nach jetzigem Stand rund 170 Personen betroffen" (BT-Drs. 17/12678 S. 6).
Rz. 28
Der Gesetzentwurf nimmt dabei Bezug auf die von der Beklagten in Auftrag gegebene Internationalen Studie zu Leistungen und Ansprüchen thalidomidgeschädigter Menschen in 21 Ländern (DLA Piper vom 31. Januar 2012), in der unter anderem in einer zusammenfassenden Übersicht (S. 15) insgesamt zehn von 21 untersuchten Staaten aufgelistet sind, in denen Leistungen wegen einer Thalidomidschädigung erbracht werden oder erbracht worden sind. Darunter sind allerdings lediglich drei Staaten, in denen laufende monatliche Zahlungen an Betroffene geleistet werden (Brasilien, Irland und Italien). Soweit nach der Studie in fünf Staaten ausschließlich eine staatliche Einmalzahlung erbracht worden ist (Kanada, Norwegen, Österreich, Schweden und Spanien), können diese Zahlungen auf der Grundlage der oben erläuterten Reichweite des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG (Wirksamwerden erst ab August 2013) weder auf die Conterganrente noch auf die Kapitalentschädigung nach § 13 ContStifG angerechnet werden. Dass künftige Einmalzahlungen in einem der 21 genannten Länder geplant sind, wird von der Studie verneint. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Angaben zu ihrer Anrechnungspraxis präzisiert. Danach sind in Irland 28 Anrechnungsfälle, in Brasilien 58 und in Italien ist ein Anrechnungsfall zu verzeichnen. Der Umfang, in dem angerechnet werde, belaufe sich derzeit insgesamt auf jährlich etwa 1,3 Mio. Euro. Für Dänemark werde in einem Falle die Möglichkeit einer Anrechnung geprüft, für Belgien erstrecke sich die Prüfung auf 23 Fälle.
Rz. 29
Nach den im Gesetzgebungsverfahren zum Fünften Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes in der Gesetzesbegründung aus dem Jahre 2020 angegebenen Daten beläuft sich die Zahl der Geschädigten, die Leistungsberechtigte nach dem Conterganstiftungsgesetz sind, heute auf ca. 2 600 Personen (vgl. BT-Drs. 19/19498 S. 7). Die Beklagte hat die gegenwärtige Zahl der im In- und Ausland lebenden Leistungsempfänger nach dem Conterganstiftungsgesetz mit 2 531 Personen beziffert.
Rz. 30
b) Gemessen an den aufgezeigten Maßstäben liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG nach Überzeugung des Senats im Ausgangsfall zweifelsfrei vor. Der Kläger ist - was in tatsächlicher Hinsicht vom Oberverwaltungsgericht für den Senat bindend festgestellt worden (§ 137 Abs. 2 VwGO) und auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist - einerseits Berechtigter im Sinne von § 12 Abs. 1 ContStifG mit dem daraus folgenden Anspruch auf den Bezug der nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ContStifG festgesetzten Conterganrente und andererseits Leistungsempfänger einer monatlichen Zahlung des irischen Staates in Höhe von 1 109 Euro, die sich im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG als Zahlung eines ausländischen Staates darstellt, die wegen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate geleistet wird. Insoweit kommt es - wie sich aus der oben erläuterten Auslegung der Vorschrift normativ ergibt und wie es nach der Erörterung mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auch vom Kläger nicht mehr in Zweifel gezogen worden ist - darauf an, dass die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft entsprechende Präparate eingenommen hat und der Kläger dadurch geschädigt wurde.
Rz. 31
Liegen danach im Ausgangsfall die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG vor, so tritt die in ihrer Wirkung ebenfalls oben erläuterte Rechtsfolge dieser Vorschrift ein. Die irische Zahlung ist damit auf die Conterganrente des Klägers anzurechnen. Dies führt zur entsprechenden Kürzung des Auszahlungsbetrages der Conterganrente, wobei die darauf beruhenden Berechnungen, welche die Beklagte im streitigen Bescheid vom 29. Juli 2013 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2013 vorgenommen hat, als solche weder im Streit stehen noch sonstigen Bedenken ausgesetzt sind. Stellte sich die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG als verfassungsgemäß dar, wäre die Revision des Klägers mithin zurückzuweisen. In diesem Fall wären - wie mit dem im Streit stehenden Bescheid der Beklagten in Gestalt ihres Widerspruchsbescheides geschehen - die monatlichen Zahlungen, die der Kläger vom irischen Staat erhalten hat und erhält, ab dem 1. August 2013 auf die ihm bewilligte Conterganrente anzurechnen. Ist die Vorschrift hingegen entsprechend der Überzeugung des Senats wegen Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig, wird die Revision des Klägers in vollem Umfang Erfolg haben, weil dem Kläger die Conterganrente dann auch für die Zeit ab dem 1. August 2013 in ungeschmälerter Höhe zusteht.
Rz. 32
c) Die Entscheidungserheblichkeit der Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG steht nicht in Frage mit Blick auf einen etwaigen Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union, der dazu führen könnte, dass die Vorschrift im konkreten Fall nicht anzuwenden wäre. Der vom Kläger des Ausgangsverfahrens gerügte Verstoß gegen unionsrechtliche Diskriminierungsverbote kann hier schon deshalb nicht vorliegen, weil der Anwendungsbereich der Verträge nicht eröffnet ist (aa) und es nicht um die Durchführung des Rechts der Union geht (bb).
Rz. 33
aa) Das Diskriminierungsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV, wonach unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist, greift entgegen der Ansicht des Klägers mangels Anwendbarkeit dieser Regelung nicht ein, weil der Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich der Verträge fällt. Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union fällt ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich der Verträge, wenn er entweder unionsrechtlich geregelt ist oder in den Anwendungsbereich einer der im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelten Grundfreiheiten fällt (EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020 - C-581/18 [ECLI:EU:C:2020:453] - juris Rn. 36 und 45).
Rz. 34
(1) Das Conterganstiftungsrecht ist - auch und gerade soweit es sich als (fortgeführtes) Haftungsrecht für den Ausgleich von Thalidomidschädigungen darstellt - weder als solches unionsrechtlich geregelt, noch ist eine unionsrechtliche Regelung unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelhaftung einschlägig. Die das Arzneimittelrecht betreffende Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 22 vom 9. Februar 1965, S. 369 - 373) bestimmte in ihrem Art. 9, dass die Genehmigung (für das Inverkehrbringen) die zivil- und strafrechtliche Haftung des Herstellers und gegebenenfalls der für das Inverkehrbringen verantwortlichen Person unberührt lasse. Diese Richtlinie wurde durch Art. 128 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 28. November 2001, S. 67 - 128) aufgehoben, die in ihrem Art. 25 den Text des bisherigen Art. 9 der RL 65/65/EWG wiederholt und darüber hinaus in ihrer derzeit aktuellen Fassung (Verordnung (EU) 2019/1243 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019, ABl. L 198 vom 25. Juli 2019, S. 241 - 344) in Art. 5 Abs. 4 auf die Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. L 210 vom 7. August 1985, S. 29 - 33; geändert durch die Richtlinie 1999/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 1999, ABl. L 141 vom 4. Juni 1999, S. 20) verweist. Die von der sog. Produkthaftungsrichtlinie mitumfasste Haftung für fehlerhafte Arzneimittel richtet sich zum einen nicht gegen den Staat oder dessen Einrichtungen. Zum anderen ist die Richtlinie 85/374/EWG nach ihren Artikeln 17 und 19 Abs. 1 nicht anwendbar auf Produkte, die - wie hier die in Rede stehenden thalidomidhaltigen Präparate, die 1961/1962 aus dem Handel genommen wurden - in Verkehr gebracht wurden, bevor die von den Mitgliedstaaten zu ihrer Umsetzung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft getreten sind.
Rz. 35
(2) Die vom Conterganstiftungsrecht und der hier im Streit stehenden Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfassten Sachverhalte fallen auch nicht in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ermöglicht die Ausübung einer dieser Freiheiten, den Sachverhalt, in dem diese Freiheit ausgeübt wird, in den Anwendungsbereich der Verträge im Sinne des Art. 18 Abs. 1 AEUV einzubeziehen (EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020 - C-581/18 - juris Rn. 46 f.). Soweit thalidomidgeschädigte Menschen von der Anrechnungsregelung betroffen werden, die nicht Unionsbürger sind (wie die brasilianischen Geschädigten), können sich diese nicht auf die Grundfreiheiten berufen. Für Unionsbürger (wie hier insbesondere die irischen Geschädigten) käme eine Berufung auf das insoweit allein in Betracht zu ziehende und jedem Unionsbürger zustehende allgemeine Freizügigkeitsrecht des Art. 21 Abs. 1 AEUV nur in Betracht, wenn die Betroffenen von diesem Recht tatsächlich Gebrauch gemacht hätten oder Gebrauch machen wollten und durch die nationale Maßnahme in diesem Recht beeinträchtigt würden (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020 - C-581/18 - juris Rn. 49). Das ist jedoch erkennbar nicht der Fall. Den Betroffenen geht es nicht um das Gebrauchmachen von Grundfreiheiten - wie demjenigen der Freizügigkeit durch Aufenthaltsnahme in einem anderen Mitgliedsstaat -, sondern um die ungeschmälerte Fortgewährung einer nach nationalem Recht gewährten Leistung. Dies trifft auch auf den Kläger des Ausgangsverfahrens zu, der sein Heimatland Irland bislang weder zur Wohnsitznahme in einem anderen Staat der Europäischen Union verlassen hat noch sich dahin eingelassen hat, dies (im Zusammenhang mit der Gewährung der streitigen Leistungen) tun zu wollen.
Rz. 36
bb) Der Sachverhalt fällt ferner nicht in den Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots des Art. 21 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die Charta ist nach ihrem Art. 51 Abs. 1 Satz 1 "ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union" (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - C-198/13 [ECLI:EU:C:2014:2055], Hernández - juris Rn. 36 f.) anzuwenden. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist insbesondere geklärt, dass die Grundrechte der Union im Verhältnis zu einer nationalen Regelung unanwendbar sind, wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Sachbereich keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalt schaffen (EuGH, Beschluss vom 7. September 2017 - C-177/17 und C-178/17 [ECLI:EU:C:2017:656] - juris Rn. 19 ff.). Das ist - wie dargelegt - hier der Fall.
Rz. 37
2. Die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG ist nach Überzeugung des Senats mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Rz. 38
Der Senat geht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen hat, davon aus, dass für die Ausgestaltung der gesetzlichen Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz der Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG heranzuziehen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪303≫ und Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 [ECLI:DE:BVerfG:2010:rk20100226.1bvr154109] - NJW 2010, 1943 Rn. 28, 31; BVerwG, Urteile vom 19. Juni 2014 - 10 C 1.14 - BVerwGE 150, 44 Rn. 55 und vom 26. Juni 2020 - 5 C 1.20 - BVerwGE 169, 54 Rn. 22). Die im Streit stehende Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG bewirkt, dass die den von der Regelung betroffenen ausländischen Berechtigten zustehende Conterganrente (nach §§ 12, 13 ContStifG), die den Schutz der Eigentumsgarantie genießt (a), im Falle der Gewährung ausländischer Zahlungen in ihrem Auszahlungsbetrag gekürzt wird und damit die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumspositionen der von der Kürzung Betroffenen in einer Weise beeinträchtigt werden (b), die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist (c).
Rz. 39
a) Gesetzliche Ansprüche nach dem Conterganstiftungsgesetz - insbesondere und jedenfalls der Anspruch auf die Conterganrente und die Kapitalentschädigung - sind durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt, weil die ursprünglichen, durch das Errichtungsgesetz umgestalteten zivilrechtlichen Ansprüche der Berechtigten unter den Eigentumsschutz des Grundgesetzes fielen (aa) und dieser Schutz in den genannten gesetzlichen Ansprüchen gegen die Conterganstiftung, die im Wege der Surrogation an die Stelle der zivilrechtlichen Ansprüche getreten sind, seine Fortsetzung findet (bb). Von diesem Schutz ist der Anspruch auf die Kapitalentschädigung sowie die jeweils vom Gesetzgeber zugestandene Höhe der Conterganrente in vollem Umfang erfasst (cc).
Rz. 40
aa) Eigentumsrechtlich durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt waren zum einen die Ansprüche der Berechtigten aus dem Vergleichsvertrag, der 1970 zwischen einer Vielzahl von Geschädigten und der Firma Grünenthal GmbH geschlossen worden ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪292 ff.≫ und Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 28). Zum anderen erfasste die Eigentumsgarantie - unabhängig von dem Vergleichsvertrag und der Beteiligung hieran - auch die den Geschädigten ursprünglich zustehenden deliktischen Ansprüche (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2020 - 5 C 1.20 - BVerwGE 169, 54 Rn. 22). Denn die der Gewährleistung des Eigentums zukommende sichernde und abwehrende Bedeutung gilt in besonderem Maße für schuldrechtliche Ansprüche, die den Charakter eines Äquivalents für Einbußen an Lebenstüchtigkeit besitzen (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪293≫ und Beschluss vom 7. Dezember 2004 - 1 BvR 1804/03 [ECLI:DE:BVerfG:2004:rs20041207.1bvr180403] - BVerfGE 112, 93 ≪107≫). Gerade im vorliegenden Kontext erwiesen sich solche Ansprüche für die weitere Lebensgestaltung der Betroffenen von hervorragender und unter Umständen existenzieller Bedeutung (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪293≫).
Rz. 41
bb) Mit dem am 17. Dezember 1971 verkündeten und am 31. Oktober 1972 in Kraft getretenen Stiftungsgesetz hat der Gesetzgeber die Abwicklung der Schadensfälle aus der privatrechtlichen Ordnung in die gesetzliche Stiftungslösung verlagert (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪298≫). Die vorgenannten privatrechtlichen Ansprüche der Geschädigten wurden - unter gleichzeitiger Anordnung ihres Erlöschens (§ 23 StGH) - im Wege eines Surrogationsvorgangs durch gesetzliche Ansprüche ersetzt (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪300≫). Diese Ersetzung stellte sich damit als eine Umformung dar, die zum Verlust der privatrechtlichen Forderungen führte. Für die leistungsberechtigten Personen oder ihre gesetzlichen Vertreter, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes haben, sieht das Gesetz (§ 15 Abs. 1 ContStifG) weiterhin vor, dass diese nur dann Leistungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes erhalten, wenn sie vorher schriftlich erklären, dass sie auf die Geltendmachung etwaiger Ansprüche gegen die Grünenthal GmbH, deren Gesellschafterinnen und Gesellschafter, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer und Angestellte, die auf die Einnahme thalidomidhaltiger Präparate zurückgeführt werden, unwiderruflich verzichten. Die durch das Stiftungsgesetz mit der Umformung der privatrechtlichen Haftungsansprüche in gesetzliche Ansprüche verbundene Beeinträchtigung der Eigentumspositionen der Berechtigten erwies sich unter anderem deshalb als verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil sich die gesetzliche Stiftungslösung durch verschiedene Vorteile auszeichnete, die insbesondere in dem geordneten Verteilungsverfahren mit zeitgerechter Realisierung der Ansprüche, in der Einbeziehung aller Geschädigten und der Nichtanrechnung auf andere Sozialleistungen gelegen haben (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 28). Maßgeblich für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist zudem, dass die Substanz des Wertanspruchs für die Betroffenen gesichert geblieben ist. Es handelte sich bei der Ersetzung um eine "Umschaffung (Novation) bei prinzipieller Werterhaltung", bei der "die personelle und wertmäßige Zuordnung im Vorgang der Ersetzung durch ein wertmäßig Ebenbürtiges erhalten" geblieben ist (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪299≫). Dem betroffenen Personenkreis ist dabei anstelle des Vergleichs ein gesetzlich geordnetes Verteilungsverfahren zur Verfügung gestellt worden, an dem alle nach dem Vergleich Berechtigten gewissermaßen "in ungebrochener Fortsetzung ihrer Gläubigerstellung teilhaben". Durch den "Wechsel auf Schuldnerseite", also die Übernahme der Haftungsverantwortung durch die staatliche Stiftung, sollte die Gewähr für die Erfüllung der Ansprüche nicht schwächer werden (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪302 f.≫). Dementsprechend hat der Gesetzgeber auch in Wahrnehmung einer entsprechenden eigentumsrechtlichen Verpflichtung die Verantwortung dafür übernommen, die Substanz des Wertanspruchs der am Vergleich Beteiligten prinzipiell zu erhalten (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪301 f.≫; Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 28).
Rz. 42
Aus dem vorgenannten Hintergrund ergibt sich, dass - wie das Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen übereinstimmend ausgeführt hat - die nach dem Stiftungs- und dem diesem nachfolgenden Conterganstiftungsgesetz eingeräumten gesetzlichen Ansprüche "schon im Hinblick auf ihren Entstehungsgrund den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG" genießen (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪303≫; Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 28). Dabei ist das Bundesverfassungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Schutz der Conterganrente und der Kapitalentschädigung nicht nur auf einen Teil des vom Gesetzgeber zugestandenen Betrages erstreckt oder sich mit zunehmendem Zeitablauf verringert. Vielmehr hat es ausgeführt, dass die vom Gesetzgeber eingeräumten Ansprüche ihrerseits den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießen und vor einem Substanzverlust zu schützen sind (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 31). Dieser Schutz steht nicht nur - auch nach dem rechnerischen Verbrauch der von der Firma Grünenthal GmbH eingebrachten Mittel durch Stiftungsleistungen - einer ersatzlosen Aufhebung des Conterganstiftungsgesetzes oder einer substantiellen Absenkung des Leistungsniveaus entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2014 - 10 C 1.14 - BVerwGE 150, 44 Rn. 55). Er widerstreitet auch einer - wie im Folgenden darzulegen ist - mit der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG verbundenen unverhältnismäßigen und gleichheitswidrigen Kürzung des Auszahlungsbetrages der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Conterganrente. Dies und die weiteren Ausführungen gelten in gleicher Weise für die Kapitalentschädigung. Der Senat sieht jedoch im Hinblick darauf, dass ihrer Kürzung durch die Anrechnungsregelung - wie oben dargelegt - so gut wie keine praktische Bedeutung zukommt, im Folgenden davon ab, die Kapitalentschädigung durchweg neben der Conterganrente zu nennen, zumal auch im Ausgangsverfahren allein die dem Kläger zustehende Conterganrente von der Anrechnungsregelung betroffen ist.
Rz. 43
cc) Die vom Gesetzgeber den Berechtigten (§ 12 ContStifG) zugestandene lebenslange Conterganrente (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ContStifG) ist entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts und der Beklagten in ihrer jeweils gesetzlich festgelegten Höhe in vollem Umfang durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Das entspricht bereits der soeben dargelegten Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, wie sie der Senat versteht, und ergibt sich überdies aus den folgenden Erwägungen.
Rz. 44
Zwar lässt sich, soweit ein Substanzverlust vermieden wird, aus dem Schutz durch die Eigentumsgarantie kein Anspruch auf eine bestimmte Dynamisierung der laufenden Renten oder auf einen bestimmten Leistungsumfang bzw. ein von den Betroffenen gewünschtes Leistungsniveau herleiten (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪311≫; Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 33; BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2014 - 10 C 1.14 - BVerwGE 150, 44 Rn. 55). Bei der Festlegung, welcher Leistungsumfang und welche Höhe der Conterganrente zur Erfüllung der vom Gesetzgeber mit der Stiftungslösung übernommenen (Haftungs-)Verantwortung geboten und erforderlich ist, verfügt der Gesetzgeber über einen Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 20). Bei dessen verfassungsrechtlicher Überprüfung ist nur eine Gesamtbetrachtung sachgerecht, welche auch die sonstigen gesetzlichen Leistungen in den Blick nimmt, die den Betroffenen zugutekommen (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪301 f.≫; Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 39; BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2014 - 10 C 1.14 - BVerwGE 150, 44 Rn. 56). Neben der Höhe der Conterganrente ist dabei auch zu berücksichtigen, dass es sich bei den gesetzlichen Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz um einkommensteuerfreie (§ 17 ContStifG) Zusatzleistungen handelt, die gemäß § 18 ContStifG bei der Ermittlung oder Anrechnung von Einkommen, sonstigen Einnahmen und Vermögen auf staatliche Leistungen nach anderen Gesetzen außer Betracht bleiben (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 38).
Rz. 45
Hat sich der Gesetzgeber jedoch auf eine bestimmte Höhe des gemäß §§ 12, 13 ContStifG eingeräumten Anspruchs auf die Conterganrente festgelegt, so erstreckt sich der eigentumsrechtliche Schutz auf den gesamten Betrag, den der Gesetzgeber den Betroffenen aufgrund seiner mit der Stiftungslösung übernommenen staatlichen Verantwortung gewährt. Unter den Schutz der Eigentumsgarantie fallen grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die den Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass sie die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zum privaten Nutzen ausüben dürfen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Januar 2006 - 2 BvR 2194/99 [ECLI:DE:BVerfG:2006:rs20060118.2bvr219] - BVerfGE 115, 97 ≪110 f.≫ und vom 8. Mai 2012 - 1 BvR 1065/03, 1 BvR 1082/03 [ECLI:DE:BVerfG:2012:rs20120508.1bvr106503] - BVerfGE 131, 66 ≪79≫ m.w.N.). Die Conterganrente, die neben anderen gesetzlichen Ansprüchen durch eine Umformung an die Stelle der privatrechtlichen Haftungsansprüche getreten ist, wird den Betroffenen (wie ein privatrechtlicher Entschädigungsanspruch) zur freien und eigenverantwortlichen Nutzung gewährt. Sie wird den Berechtigten damit von der Rechtsordnung in einer Weise zugeordnet, die sie in vollem Umfang in den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG gelangen lässt. Zwar verschafft dieses Grundrecht nicht selbst einen Anspruch auf eine bestimmte Rentenhöhe, jedoch reicht der Schutz so weit wie schützenswerte Ansprüche bereits bestehen und damit Teil der Rechtsordnung geworden sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 9. Mai 2007 - 1 BvR 1700/02 [ECLI:DE:BVerfG:2007:rk20070509.1bvr170002] - BVerfGK 11, 130 ≪143≫ und vom 8. Mai 2012 - 1 BvR 1065/03 - BVerfGE 131, 66 ≪80≫). Mit der Festlegung der Conterganrente in bestimmter vom Schädigungsgrad abhängiger und auf einer daran orientierten Bedarfsabschätzung beruhenden Höhe konkretisiert der Gesetzgeber damit zugleich die entsprechende Eigentumsposition der Betroffenen.
Rz. 46
Das gilt auch, soweit die Höhe der Conterganrente nicht nur durch Erwägungen bestimmt ist, die sich aus der übernommenen Haftungsverantwortung des Gesetzgebers, sondern (zu einem unbestimmten) Teil auch aus sozialstaatlichen Gründen ergeben sollten. Insoweit kann nichts anderes gelten als es für den Schutz von öffentlich-rechtlichen Rechtspositionen (z.B. sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen) gilt, die wegen eines Anteils von Eigenleistungen der Berechtigten in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG einbezogen werden. Diese Ansprüche werden selbst dann in vollem Umfang geschützt, wenn die jeweilige Rechtsposition auch oder überwiegend auf staatlicher Gewährung beruht (BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1985 - 1 BvL 5/80 u.a. - BVerfGE 69, 272 ≪301≫; Dederer, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 04/2021, Art. 14 Rn. 111; vgl. ferner BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1980 - 1 BvL 17/77 u.a. - BVerfGE 53, 257 ≪292≫: Am personalen Bezug des Eigentümers zum Eigentumsobjekt fehle es nur, wenn die Rechtsposition "ausschließlich auf einem Anspruch beruht, den der Staat in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht durch Gesetz einräumt"). Die Conterganrente beruht jedenfalls - wie oben dargelegt - wesentlich auf der staatlich übernommenen (Haftungs-)Verantwortung und stellt sich insofern als fortwirkender Entschädigungsanspruch dar, der mit seinem Individualcharakter zugleich den personalen Bezug des Berechtigten zum Rentenanspruch ausmacht. Ob und in welchem Umfang die Bemessung ihrer Höhe auch durch andere Motive bestimmt ist, lässt sich zum einen nicht feststellen und ist zum anderen für den Umfang des Eigentumsschutzes nicht relevant.
Rz. 47
Anders als die Beklagte meint, kann die Conterganrente damit nicht in einen von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten und einen hiervon nicht geschützten Teil aufgespalten werden. Dabei kann auch dahinstehen, ob und inwieweit die sonstigen Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz am eigentumsrechtlichen Schutz teilhaben. Jedenfalls stellt die Conterganrente sowohl ihrer Art als auch ihrer betragsmäßigen Höhe nach einen essentiellen Teil der gegen die Beklagte gerichteten Ansprüche dar und gehört damit zu deren Kernbestand. Dieser umfasst - wie dargelegt - auch die jeweilige gesetzliche Höhe des Anspruchs auf Conterganrente, die der materialisierte Ausdruck der Aufgabe des Gesetzgebers ist, darüber zu wachen, dass die Leistungen der Stiftung - hier in Form von Rentenerhöhungen - der mit der Stiftungslösung übernommenen staatlichen Verantwortung gerecht werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪312≫), um auf diese Weise sowohl der allgemeinen Preissteigerung als auch - vor allem - der sich im Laufe der Zeit ändernden Bedarfssituation der Leistungsberechtigten Rechnung zu tragen.
Rz. 48
Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass es entgegen der vom Oberverwaltungsgericht und der Beklagten vertretenen Ansicht für den eigentumsrechtlichen Schutz der vom Gesetzgeber zugestandenen Höhe der Conterganrente auch nicht darauf ankommt, dass die Conterganrente zeitgleich mit der Einführung der Anrechnungsregelung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1847) signifikant erhöht worden ist. Die Erhöhung der Conterganrente für alle Berechtigten nimmt dieser nicht den eigentumsrechtlichen Schutz gegenüber Beeinträchtigungen wie sie hier von der Kürzung des Auszahlungsbetrages durch § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG ausgehen. Aus dem vom Oberverwaltungsgericht angeführten Umstand, dass auf die signifikante Erhöhung der Conterganrente kein verfassungsrechtlicher Anspruch bestanden habe, kann - wie oben dargelegt - nicht darauf geschlossen werden, dass der vom Gesetzgeber zugestandene höhere Umfang der Conterganrente nicht oder nur teilweise durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist.
Rz. 49
Dabei sind die vom Gesetzgeber zugestandenen und insoweit von den Betroffenen erworbenen Ansprüche auf eine grundsätzlich ungeschmälerte Conterganrente für die im Ausland lebenden Berechtigten in gleicher Weise durch die Eigentumsgarantie geschützt wie die Ansprüche derjenigen Betroffenen, die in Deutschland leben. Hinsichtlich der Höhe der Conterganrente unterscheidet der Gesetzgeber in §§ 12, 13 ContStifG nicht zwischen inländischen und ausländischen Berechtigten. Dementsprechend unterfällt auch der Anspruch des Klägers, der nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 29) bereits an dem Vergleichsvertrag mit der Grünenthal GmbH beteiligt war, auf Gewährung der für seinen Schädigungsgrad gesetzlich in §§ 12, 13 ContStifG festgelegten Höhe der Conterganrente in voller Höhe dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG.
Rz. 50
b) Durch die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG wird in den Schutzbereich dieses Grundrechts eingegriffen. Damit verbundene Kürzungen des Auszahlungsbetrages der Conterganrente schmälern diese in ihrem durch Art. 14 Abs. 1 GG eigentumsrechtlich geschützten Umfang und sind deshalb als Eingriff in diese Rechtsposition verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig.
Rz. 51
Eine Beeinträchtigung der den Eigentumsschutz genießenden Conterganrente durch die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG scheidet nicht deshalb aus, weil der Gesetzgeber von Vornherein eine mit dieser Vorschrift zusammen zu denkende einheitliche (Festsetzungs-)Entscheidung getroffen hätte, die nur als einheitliche Inhalts- und Schrankenbestimmung über die Höhe der Conterganrente gewertet werden könnte. Denn die in bestimmter Höhe erfolgende Einräumung des Anspruchs auf die seit 1972 gewährte Conterganrente unterscheidet sich im Hinblick auf ihren Entstehungsgrund und ihre Konzeption grundlegend von der - auch zeitlich erst mit großem Abstand nachfolgenden und seit 2013 geltenden - Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG, welche es seither gestattet, die allen Berechtigten in bestimmter Höhe zugestandene Rente bei einigen ausländischen Berechtigten unter den dort genannten Voraussetzungen im Auszahlungsbetrag zu kürzen.
Rz. 52
Der Anspruch auf die Conterganrente, der aufgrund seines oben dargelegten Entstehungsgrundes den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießt, ist als solcher unabhängig davon konzipiert und auch hinsichtlich seiner späteren Anpassungen eingeräumt worden, ob und in welcher Höhe es gerechtfertigt sein könnte, ihn bei einigen Betroffenen aus bestimmten Gründen (hier wegen Zahlungen ausländischer Staaten) im Auszahlungsbetrag zu reduzieren. Das gilt in gleicher Weise für das Stiftungsgesetz wie für das diesem nachfolgende Conterganstiftungsgesetz vom 13. Oktober 2005 (BGBl. I S. 2967). Der Anspruch bemisst sich der Höhe nach allein nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG). Durch die Einräumung dieses gesetzlichen Anspruchs kommt der Gesetzgeber, der mit der Stiftungslösung die (Haftungs-)Verantwortung für die weitere Gewährleistung der umgeformten eigentumsrechtlich geschützten Ansprüche der Betroffenen übernommen hat, seiner aus Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Pflicht nach, einen Ausgleich für die von den betroffenen erlittenen Schäden und Beeinträchtigungen zu leisten. Mit einer bestimmten (höheren) Bemessung der Höhe der Conterganrente verfolgt der Gesetzgeber - wie er etwa anlässlich ihrer Erhöhung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2008 (BGBl. I S. 1078) zum Ausdruck gebracht hat - insbesondere die Zielsetzung, die Folge- und Spätschäden der Betroffenen - verursacht durch jahrelange körperliche Fehlbelastungen - zu berücksichtigen und die Leistungen auch zum Ausgleich der Aufwendungen für diese Schäden der Betroffenen weiter anzupassen (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 16/8743 S. 1, 4). Er erfüllt damit auch seine ihm durch Verfassungsrecht auferlegte Aufgabe, darüber zu wachen, dass die Leistungen der Stiftung der mit der Stiftungslösung übernommenen staatlichen Verantwortung gerecht werden.
Rz. 53
Die streitige Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG stellt diesen Bedarf und damit das Entstehen des Anspruchs auf die Conterganrente in der vom Gesetzgeber jeweils festgelegten vollen Höhe als solchen zwar nicht in Frage. Sie erlaubt allerdings mittels einer Anrechnung bestimmter Zuwendungen Dritter einen rechnerischen Abzug vom Auszahlungsbetrag und damit im Ergebnis eine teilweise oder vollständige Kürzung der den Betroffenen zuerkannten Höhe der Conterganrente. Einfachgesetzlich verhält es sich dementsprechend so - wie oben dargelegt -, dass Ansprüche auf die Conterganrente zwar für alle Berechtigten (abhängig von ihrem Schädigungsgrad) gemäß §§ 12, 13 ContStifG in der gesetzlichen Höhe entstehen, das Gesetz aber unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG eine im Wege der Anrechnung durch Reduzierung des Auszahlungsbetrages bedingte Kürzung der entstandenen und daher insgesamt von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Ansprüchen vorschreibt. Diese stellt sich damit als Eingriff in die eigentumsrechtlich geschützten Positionen der davon betroffenen thalidomidgeschädigten Menschen dar.
Rz. 54
c) Die mit der Kürzung der Conterganrente verbundene Beeinträchtigung der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Positionen derjenigen ausländischen Berechtigten, die von ihrem Heimat- bzw. Aufenthaltsstaat eine besondere Zuwendung wegen ihrer thalidomidbedingten Schädigung erhalten, ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG stellt sich als eine Eigentumsbeeinträchtigung in Form einer Inhalts- und Schrankenbestimmung dar, die den an diese zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen (aa) nicht genügt, weil sie sich als unverhältnismäßig erweist (bb) und überdies wegen ihrer gleichheitswidrigen Auswirkungen verfassungsrechtlich unzulässig ist (cc).
Rz. 55
aa) Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich bei der Conterganrente wie bei anderen öffentlich-rechtlichen vermögenswerten Ansprüchen erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1980 - 1 BvL 17/77 u.a. - BVerfGE 53, 257 ≪292≫). Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, ist zwar nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers. Dieser genießt dabei jedoch keine unbeschränkte Gestaltungsfreiheit. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse müssen vom jeweiligen Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Sie dürfen nicht weitergehen als es ihr Grund, der Schutz des Gemeinwohls, erfordert, und sie dürfen insbesondere auch nicht, gemessen am sozialen Bezug und an der sozialen Bedeutung des Eigentumsobjekts sowie im Hinblick auf den Regelungszweck, zu einer übermäßigen Belastung führen und den Eigentümer im vermögensrechtlichen Bereich unzumutbar treffen. Insbesondere hat daher jede Inhalts- und Schrankenbestimmung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95 [ECLI:DE:BVerfG:2004:rs20040114.2bvr056495] - BVerfGE 110, 1 ≪28≫, vom 7. Dezember 2004 - 1 BvR 1804/03 - BVerfGE 112, 93 ≪109≫, vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 8/07 [ECLI:DE:BVerfG:2010:ls20100721.1bvl000807] - BVerfGE 126, 331 ≪360, 366≫ und vom 23. Mai 2018 - 1 BvR 97/14 [ECLI:DE:BVerfG:2018:rs20180523.1bvr009714] - BVerfGE 149, 86 Rn. 79 m.w.N.). Zudem muss eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums mit allen anderen Verfassungsnormen, insbesondere mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar sein (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95 - BVerfGE 110, 1 ≪28≫; Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 u.a. [ECLI:DE:BVerfG:2016:rs20161206.1bvr282111] - BVerfGE 143, 246 ≪Rn. 268≫ und Beschluss vom 18. Juli 2019 - 1 BvL 1/18 u.a. [ECLI:DE:BVerfG:2019:lk20190718.1bvl000118] - NJW 2019, 3054 Rn. 92 m.w.N.).
Rz. 56
bb) Der mit der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG verbundene Eingriff in die Eigentumspositionen der Betroffenen wird den Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht gerecht. Danach muss der Eingriff in das Eigentumsgrundrecht zur Erreichung eines legitimen Eingriffsziels geeignet sein und darf nicht weitergehen, als es die Gemeinwohlbelange erfordern; ferner müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen (BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2018 - 1 BvR 97/14 - BVerfGE 149, 86 Rn. 85 m.w.N.). Zwar verfolgt der Gesetzgeber mit der Vermeidung von Doppelleistungen an sich ein legitimes Ziel ((1)). Das vom Gesetzgeber gewählte Mittel, im Falle der von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfassten ausländischen Zahlungen eine Anrechnung auf die Conterganrente vorzunehmen und damit die Leistungen der genannten ausländischen Berechtigten im Auszahlungsbetrag zu kürzen, ist jedoch bereits, obgleich dem Gesetzgeber insoweit ein Einschätzungsspielraum zukommt ((2)), nicht zur Förderung des gesetzgeberischen Zieles geeignet ((3)) und verfehlt jedenfalls die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ((4)).
Rz. 57
(1) Die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG soll nach der aus den Gesetzesmaterialien hervorgehenden Zielsetzung des Gesetzgebers dazu dienen, Doppelleistungen und damit eine "Besserstellung" eines Teils der ausländischen Berechtigten zu vermeiden (BT-Drs. 17/12678 S. 5). Dies gründet auf der Annahme des Gesetzgebers, dass ohne die Anrechnung bei denjenigen ausländischen Berechtigten, die wegen ihrer Thalidomidschädigung von ihrem Herkunftsstaat Zahlungen erhalten, eine "Besserstellung" gegenüber den deutschen Berechtigten und solchen ausländischen Betroffenen vorliege, die neben den Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz keine (laufenden) spezifischen Leistungen wegen der Thalidomidschädigung beziehen (BT-Drs. 17/12678 S. 5). Verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, Doppelleistungen zu vermeiden, so stellt sich dies grundsätzlich als legitimer Zweck dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2004 - 2 BvL 5/00 [ECLI:DE:BVerfG:2004:ls20040608.2bvl000500] - BVerfGE 110, 412 ≪440≫).
Rz. 58
(2) Die Verfassung billigt dem Gesetzgeber für die Beurteilung der Eignung der von ihm für die Durchsetzung der gesetzgeberischen Regelungsziele gewählten Mittel zwar einen Einschätzungsspielraum zu (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 15. Januar 2002 - 1 BvR 1783/99 [ECLI:DE:BVerfG:2002:rs20020115.1bvr178399] - BVerfGE 104, 337 ≪347 f.≫). Die Geeignetheit beurteilt sich danach, ob es möglich ist, dass der erstrebte Erfolg so gefördert werden kann. Die Regelung darf also nicht von vornherein untauglich sein, was nicht schon der Fall ist, wenn ihre Umsetzung schwierig ist, sofern sie möglich bleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 [ECLI:DE:BVerfG:2004:rs20040316.1bvr177801] - BVerfGE 110, 141 ≪164≫). Der Gesetzgeber muss jedoch die von Fall zu Fall zu bestimmenden Grenzen der ihm eröffneten Einschätzungsprärogative einhalten und darf jedenfalls Grundrechtseingriffe im Ergebnis nicht auf offensichtlich fehlsame Annahmen gründen (BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 - BVerfGE 143, 246 Rn. 275). Auch soweit dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum für die Beurteilung der tatsächlichen Grundlagen einer Regelung einzuräumen ist, liegt die Grenze zumindest dort, wo sich deutlich erkennbar abzeichnet, dass eine Fehleinschätzung vorgelegen hat (BVerfG, Urteil vom 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 u.a. [ECLI:DE:BVerfG:2017:rs20170711.1bvr157115] - BVerfGE 146, 71 Rn. 159 m.w.N.). Dies gilt in Bezug auf die Beurteilung der Eignung auch mit Blick auf die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums. Denn hat sich der Gesetzgeber von fehlerhaften Annahmen und unvollständigen Erwägungen leiten lassen, kann die erforderliche Abwägung zwischen den verschiedenen Gesichtspunkten nicht sachgemäß erfolgen. Der gesetzgeberische Eingriff muss deshalb auf einem annähernd vollständigen und von zutreffenden tatsächlichen Annahmen getragenen Abwägungsvorgang beruhen (Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: Oktober 2020, Art. 14 Rn. 428 m.w.N.). Auch das Fehlen einer selbstständigen Sachaufklärungspflicht im Gesetzgebungsverfahren befreit den Gesetzgeber nicht von der Notwendigkeit, seine Entscheidungen im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere den Grundrechten, zu treffen, und sie insoweit - gerade auch mit Blick auf die Verhältnismäßigkeitsanforderungen - auf hinreichend fundierte Kenntnisse von Tatsachen und Wirkzusammenhängen zu stützen (BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 - BVerfGE 143, 246 Rn. 275). Daran fehlt es hier.
Rz. 59
(3) Die Anrechnung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG ist zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels nicht geeignet. Die gegenteilige Annahme des Gesetzgebers beruht nach Überzeugung des Senats auf rechtlich fehlsamen Erwägungen und auf einer in tatsächlicher Hinsicht unzureichenden Grundlage. Eine Vermeidung von Doppelleistungen kann mit der streitigen Anrechnung bereits deshalb nicht erreicht werden, weil es sich bei den miteinander verglichenen Leistungen - der Conterganrente einerseits und den ausländischen Zahlungen andererseits - um Leistungen mit so unterschiedlicher Zweckbestimmung handelt, dass dies eine "Doppelleistung" ausschließt ((a)). Überdies fehlt es für die gesetzgeberische Annahme einer "Besserstellung" der betroffenen ausländischen Berechtigten an einer hinreichenden rechtlichen und tatsächlichen Fundierung ((b)).
Rz. 60
(a) Zwar handelt es sich sowohl bei der gemäß §§ 12, 13 ContStifG gewährten Conterganrente als auch bei den von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfassten und nach dieser Regelung anzurechnenden Zahlungen ausländischer Staaten um Leistungen, die wegen der durch die Einnahme thalidomidhaltiger Präparate bedingten Schädigungen erbracht werden. Die genannten Zahlungen ausländischer Staaten haben jedoch eine grundlegend andere Zweckbestimmung als die im Streit stehende Conterganrente nach §§ 12, 13 ContStifG.
Rz. 61
(aa) Obgleich sich die Sachmaterie des Conterganstiftungsrechts nach Zuständigkeits- (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) und Kostenregelungen (§ 188 VwGO) dem Bereich der Fürsorge zuordnen und die Conterganrente nach sozialrechtlichen Kategorisierungen als staatliche Fürsorgeleistung (im weiteren Sinne) einordnen lässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2020 - 5 C 1.20 - BVerwGE 169, 54 Rn. 31), ändert dies nichts daran, dass ihr wesentlicher Leistungsgrund in der im Hinblick auf ihren Entstehungsgrund aus dem Eigentumsgrundrecht folgenden Verpflichtung des Staates besteht, den Betroffenen "in ungebrochener Fortsetzung ihrer Gläubigerstellung" die umgeformten privatrechtlichen Haftungsansprüche fortan in Gestalt gesetzlicher Ansprüche gegen die Stiftung zu gewähren (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪303, 312≫). Diese haftungsrechtliche Verwurzelung des Leistungsgrundes wurde nicht dadurch aufgehoben, dass es sich um eine sozialstaatlich motivierte Entscheidung des Gesetzgebers handelte, die Abwicklung der Schadensfälle aus der privatrechtlichen Ordnung in die gesetzliche Stiftungslösung zu verlagern (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪298≫). Die mit der Übernahme der Verantwortung für die Schadensfälle verbundene Verlagerung hätte der Gesetzgeber nicht vornehmen müssen. Hat er sich aber - wenn auch sozialstaatlich motiviert - dafür entschieden, ist er an die eigentumsrechtlichen Folgen dieses Schuldnerwechsels gebunden. Auch die gesetzliche Stiftungslösung ist dementsprechend weiterhin der Zwecksetzung verpflichtet, die Schadensfälle durch Gewährung von Ansprüchen abzuwickeln. Gäbe es diesen haftungsrechtlichen Hintergrund des Conterganstiftungsgesetzes nicht und handelte es sich um rein sozialstaatliche Leistungen, wäre der Gesetzgeber auch nicht verpflichtet, die ausländischen Berechtigten in gleicher Weise wie die inländischen Berechtigten an den gesetzlichen Ansprüchen auf Gewährung einer Conterganrente nach §§ 12, 13 ContStifG teilhaben zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 1978 - 1 BvL 26/76 - BVerfGE 48, 281 ≪290≫).
Rz. 62
Der aus dem dargelegten Entstehungsgrund des gesetzlichen Anspruchs auf die Conterganrente folgende haftungsrechtliche Charakter lässt sich auch nicht mit dem Hinweis darauf in Zweifel ziehen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Stiftungsgesetzes eine Gleichbehandlung aller Geschädigten ab 45 Punkten trotz unterschiedlicher Schädigung nicht als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG angesehen, sondern mit der Erwägung gebilligt hat, dass die Rente nicht der Entschädigung für die erlittenen Missbildungen diene und bei der verfassungsrechtlich zulässigen generalisierenden und typisierenden gesetzlichen Regelung alle Geschädigten, die 45 Schadenspunkte oder mehr aufweisen, ohne Unterschied die Höchstrente erhielten, weil diese Geschädigten nach Auffassung der Sachverständigen sich ohne ständige fremde Hilfe im Leben nicht werden behaupten können (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪309≫). Mit dieser Aussage wird auf die gerechtfertigte Typisierung hinsichtlich der erlittenen Missbildungen Bezug genommen, aber nicht die Funktion der Conterganrente als Ausgleich für die Schädigungsfolgen in Frage gestellt. Dass es sich bei der Conterganrente um eine fortgesetzte Form der Entschädigung handelt, ergibt sich auch notwendig daraus, dass trotz der sozialstaatlich motivierten Umformung der privatrechtlichen Haftungsansprüche in gesetzliche Ansprüche die Zuordnung der privatrechtlichen Ansprüche an die Berechtigten und die Substanz ihres Wertanspruchs erhalten bleiben müssen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪299, 301≫).
Rz. 63
Die vorgenannte Zwecksetzung der Conterganrente hat der Gesetzgeber auch unter der Geltung des Conterganstiftungsgesetzes nicht in Abrede gestellt, sondern wiederholt bekräftigt. So ist etwa die Verdoppelung der Mindest- und Höchstwerte für die monatliche Rente zum 1. Juli 2008 (Erstes Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes vom 26. Juni 2008, BGBl. I S. 1078) damit begründet worden (vgl. den Gesetzentwurf der seinerzeitigen Koalitionsfraktionen, BT-Drs. 16/8743 S. 4), dass diese erforderlich geworden sei "(a)ngesichts des Umfangs der Beeinträchtigung der Betroffenen insbesondere durch die Folge- und Spätschäden, die weder durch die Leistungen der Conterganstiftung noch durch ergänzende Sozialgesetze ausreichend abgefangen werden können (z.B. Haushaltshilfe, vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, Renteneinbußen usw.)". Ferner hat der Gesetzgeber in der Begründung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes, mit dem 2013 die im Streit stehende Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG eingeführt wurde, ausgeführt: "Das Stiftungsgesetz hat die privatrechtlichen Vergleichsansprüche gegen die Grünenthal GmbH durch gesetzliche Ansprüche ersetzt; an die Stelle des Vergleichsvertrags ist das Gesetz als Rechtsgrundlage getreten. Der Gesetzgeber hat diesen Schadensbereich damit aus dem privatautonomen Regelungsbereich herausgenommen und zu einer staatlichen Angelegenheit gemacht. Zudem sollte sichergestellt werden, dass die Leistungen an die Betroffenen nicht durch steuerliche Lasten verkürzt würden und ihnen ohne Rücksicht auf Unterstützungsleistungen Dritter als zusätzliche Leistungen zuflössen... Diese Begünstigungen tragen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Betroffenen Rechnung" (BT-Drs. 17/12678 S. 8).
Rz. 64
Mit der fortwährenden Einräumung gesetzlicher Ansprüche kommt der Gesetzgeber seiner aus Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Pflicht gegenüber den betroffenen thalidomidgeschädigten Menschen nach, einen Ausgleich für die von ihnen erlittenen dauerhaften Beeinträchtigungen zu leisten. Die Conterganrente ist dementsprechend nicht wie andere Sozialleistungen (etwa nach dem Sozialgesetzbuch Zweites oder Zwölftes Buch) zur Deckung des Lebensunterhalts bestimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2014 - 10 C 1.14 - BVerwGE 150, 44 Rn. 34 m.w.N.); vielmehr kommt ihr im Wesentlichen eine Entschädigungsfunktion für die Betroffenen zu, die dem Ausgleich der durch die Schäden entgangenen Lebensmöglichkeiten dient (LSG Essen, Urteil vom 3. Dezember 2020 - L 6 AS 1651/17 [ECLI:DE:LSGNRW:2020:1203.L6AS1651.17.00] - juris Rn. 69; FG Stuttgart, Urteil vom 9. November 2016 - 12 K 2756/16 [ECLI:DE:FGBW:2016:1109.12K2756.16.0A] - juris Rn. 33). In diesem Sinne ist auch im Gesetzgebungsverfahren, das 2013 neben der Einführung der streitigen Anrechnungsregelung auch zu einer erheblichen Erhöhung der Leistungen führte, von einer den Entwurf tragenden (Regierungs-)Fraktion ausdrücklich festgehalten worden, dass es sich bei der Conterganrente "um eine Entschädigungsleistung und nicht um eine Sozialleistung" handelt (BT-Drs. 17/13279 S. 9). Diese Funktion der Conterganrente, die insbesondere mit Blick auf ihren Entstehungsgrund Übereinstimmungen mit dem Schmerzensgeld aufweist (vgl. FG Stuttgart, Urteil vom 9. November 2016 - 12 K 2756/16 - juris Rn. 33 ff.), verleiht ihr eine Sonderstellung (vgl. zur Sonderstellung des Schmerzensgeldes: BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvR 293/05 [ECLI:DE:BVerfG:2006:rs20060711.1bvr029305] - BVerfGE 116, 229 ≪240≫). Die Besonderheit der gesetzlichen Ansprüche auf die Conterganrente und Kapitalentschädigung, die sich insoweit kategorial von den sonstigen Ansprüchen auf Sozialleistungen, die den Betroffenen wegen der Folgen ihrer Schädigungen zugutekommen sollen, unterscheidet, liegt mithin darin, dass es sich dabei um öffentlich-rechtlich umgeformte zivilrechtliche Haftungsansprüche handelt. Die Conterganrente nach §§ 12, 13 ContStifG weist nicht nur einen haftungsrechtlichen Entstehungsgrund auf, sondern ist wegen des "Wechsels auf Schuldnerseite" nach wie vor dazu bestimmt - und hat aus verfassungsrechtlichen Gründen auch dazu bestimmt zu sein -, der staatlich übernommenen Gewähr für die Erfüllung der durch gesetzliche Ansprüche ersetzten Haftungsansprüche der Betroffenen gerecht zu werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪302 f., 311 f.≫).
Rz. 65
(bb) Diesen zentralen Haftungs- bzw. Leistungsgrund und die damit verbundene Zwecksetzung weisen die von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfassten Zahlungen ausländischer Staaten nicht auf. Bei ihnen kann es sich nur um Leistungen handeln, die allein aus fürsorglichen bzw. im weiteren Sinne sozialstaatlichen Motiven und insoweit freiwillig erbracht werden.
Rz. 66
Das ergibt sich zum einen bereits normativ aus der Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG, die - wie oben dargelegt - dahin auszulegen ist, dass sie in Abgrenzung zu der Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG keine Zahlungsansprüche erfasst, die ihren Leistungsgrund in einer möglichen haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit des ausländischen Staates oder in einer (etwa durch eine gesetzliche Stiftungslösung) mittels eines Schuldnerwechsels auf den ausländischen Staat übergegangenen Verantwortung haben.
Rz. 67
Zum anderen entspricht dem auch die Tatsachenlage. Die streitige Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfasst auch rechtstatsächlich und nach der Anwendungspraxis der Beklagten nur solche wegen einer Thalidomidschädigung gewährten Zahlungen ausländischer Staaten, die nicht als Folge einer übernommenen haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit an ihre betroffenen Staatsangehörigen, sondern aus anderen, insbesondere fürsorglichen bzw. im weiteren Sinne sozialstaatlichen Motiven erbracht werden. Das zeigt sich auch deutlich im Hinblick auf die im Ausgangsfall im Streit stehenden Zahlungen des irischen Staates an Betroffene, die wegen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate durch die Mutter geschädigt wurden. Diesen Betroffenen - wie dem Kläger des Ausgangsverfahrens - werden gemäß dem Irish Thalidomide Compensation Scheme monatliche Zahlungen (Irish Thalidomide Survivor‚s Care Benefit) erbracht. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht (UA S. 18) festgestellt, dass sich die irische Regierung im Mai 1973 entschied, die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten an irische Staatsangehörige gezahlten Summen zu erhöhen. Dies wird belegt durch den Bericht der Irish State Claims Agency, den das Oberverwaltungsgericht als Tatsachenmaterial in den Prozess eingeführt hat (UA S. 18: Irish State Claims Agency, Compensation for Thalidomide Survivors, Report Prepared for the Minister for Health and Children by the State Claims Agency, April 2010, S. 6, wo es heißt: "In May 1973, the Irish government decided, as a matter of principle, to significantly enlarge the compensation payable from the German compensation scheme to Thalidomide survivors and their families. Thus, the Irish government agreed the following in addition to the German compensation scheme:...".).
Rz. 68
Zweck der irischen Regelung ist es dementsprechend, die Leistungen, welche die Betroffenen nach deutschem Conterganstiftungsrecht erhalten, aufzustocken bzw. zu ergänzen. Den Zweck, ursprünglich privatrechtliche Haftungsansprüche durch gesetzliche Ansprüche der Berechtigten zu ersetzen und mit der fortwährenden Gewährung einer aus der Eigentumsgarantie folgenden Verpflichtung nachzukommen, weisen die irischen Zahlungen nicht auf. Insoweit unterscheidet sich ihre Zwecksetzung grundlegend von der nach §§ 12, 13 ContStifG gewährten Conterganrente. Das gilt auch für (laufende) und von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfasste spezifische Zahlungen, welche die übrigen Staaten für ihre durch thalidomidhaltige Präparate geschädigten Staatsangehörigen erbringen. Dies wird durch die Studie vom 31. Januar 2012 (DLA) belegt, auf die sich der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des Conterganstiftungsgesetzes im Jahre 2013 bezogen hat (BT-Drs. 17/12678 S. 5). Darin finden sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die jeweiligen Zahlungen der vom Gesetzgeber in Betracht gezogenen (zehn) Staaten in einem vergleichbaren haftungsrechtlichen Zusammenhang stehen, wie dies bei der Conterganrente nach §§ 12, 13 ContStifG der Fall ist.
Rz. 69
(b) An einer Doppelleistung fehlt es auch deshalb, weil die vom Gesetzgeber weiterhin als Grundlage für die Bewertung als Doppelleistung angenommene "Besserstellung" der ausländischen Betroffenen nicht erkennbar ist. Nach Überzeugung des Senats mangelt es vielmehr - selbst bei einem weit bemessenen Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers - an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die gesetzgeberische Annahme einer durch die ausländischen Zahlungen bedingten und zu vermeidenden "Besserstellung" ausländischer Berechtigter (insbesondere) gegenüber der Gruppe der deutschen Berechtigten.
Rz. 70
In der Gesetzesbegründung wird zwar unter Hinweis darauf, in der von der Beklagten in Auftrag gegebenen Studie (DLA Piper vom Januar 2012) sei festgestellt worden, dass in 10 von 21 Ländern, "staatliche Zahlungen in unterschiedlicher Höhe bereits erbracht wurden, laufend geleistet werden oder in Zukunft geleistet werden", die Behauptung aufgestellt, dass "die in den entsprechenden Ländern oder in Deutschland lebenden ausländischen Betroffenen besser gestellt" seien "als die deutschen Geschädigten und die Geschädigten in anderen Ländern ohne staatliche Leistungen" (BT-Drs. 17/12678 S. 5). Diese Behauptung, die sich allein auf die vorgenannte Studie stützt, entbehrt jedoch einer tragfähigen rechtlichen und tatsächlichen Grundlage ((aa)). Eine Besserstellung lässt sich nur auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung der den Geschädigten zugutekommenden Leistungen vornehmen. Eine solche ist jedoch weder vorgenommen worden ((bb)) noch ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass eine Gesamtbetrachtung eine Besserstellung bestimmter ausländischer Berechtigter gegenüber deutschen Berechtigten ergeben könnte. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall ((cc)).
Rz. 71
(aa) Eine hinreichende Tatsachengrundlage für die genannte Behauptung der Besserstellung lässt sich schon der vorgenannten Studie nicht entnehmen. Diese listet zwar entsprechend ihrem Auftrag (vgl. S. 2 der Studie) für 21 Länder die sich nach dem Stand der damaligen Ermittlungen ergebende "Gesamthöhe aller Leistungen an thalidomidgeschädigte Menschen im Einzelfall für die Vergangenheit, Gegenwart und sofern absehbar für die Zukunft" auf, um auf diese Weise "die Möglichkeit der Vergleichbarkeit mit den entsprechenden Leistungen in Deutschland" zu eröffnen. Eine tatsächliche Bewertung dahin, dass auf der Grundlage eines Gesamtvergleichs der Leistungen die in bestimmten Ländern lebenden ausländischen Betroffenen "besser gestellt" seien "als die deutschen Geschädigten und die Geschädigten in anderen Ländern ohne staatliche Leistungen", hat die Studie weder vorgenommen noch gar entsprechende, auf bestimmte Länder bezogene Vergleichsergebnisse festgehalten.
Rz. 72
Überdies erweist sich die Studie im Hinblick darauf, welche Betroffenen ausländischer Staaten überhaupt von der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfasst werden können, als differenzierter: Sie kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich in drei Staaten (Brasilien, Irland und Italien) monatliche laufende Zahlungen erbracht werden (vgl. etwa die Übersicht auf S. 17 f. der Studie). Allein diese Zahlungen lassen sich nach den normativen Vorgaben des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG - wie oben dargelegt - auf die Conterganrente nach §§ 12, 13 ContStifG anrechnen. Jährliche Einmalzahlungen werden zwar im Vereinigten Königreich und in Nordirland erbracht. Diese Leistungen fallen jedoch bereits deshalb nicht unter den im Rahmen der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG vorzunehmenden (Doppelleistungs- bzw. Besserstellungs-)Vergleich, weil die Begünstigten diese Leistungen von einem dortigen gemeinnützigen Treuhandfond (Charitable Trust), dem Thalidomid Trust, beziehen, der die Schadensabwicklung für andere Haftungsschuldner als die Grünenthal GmbH übernommen hat, weshalb die davon Begünstigten nicht zugleich Leistungen nach dem deutschen Conterganstiftungsrecht gemäß §§ 12, 13 ContStifG in Anspruch nehmen (können) (vgl. zur Situation im Vereinigten Königreich: DLA Piper, Studie, u.a. S. 231: Die Leistungen des Thalidomid Trust beziehen sich auf "Geschädigte von thalidomidhaltigen Medikamenten, die im Vereinten Königreich und in bestimmten verbundenen Ländern durch das Unternehmen Distillers ≪Biochemicals≫ Ltd. auf den Markt gebracht wurden. Der Fonds dieses Trust, der durch einen sogenannten Deed of Trust am 10. August 1973 eingerichtet wurde, speist sich aus Zahlungen, die von Distillers und Unternehmen und Organisationen, die Anteile an Distillers gekauft haben, erbracht wurden. Diese Mittel wurden durch Zahlungen der Regierung ergänzt."). Dies entspricht auch der Verwaltungspraxis der Beklagten, die ausweislich ihrer in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigten Informationen derzeit keine Anrechnungsfälle aus dem Vereinigten Königreich oder Nordirland aufweist. Vielmehr sind Anrechnungsfälle lediglich in den drei Staaten zu verzeichnen, in denen laufende monatliche Zahlungen erbracht werden.
Rz. 73
Soweit in einigen der zehn (von 21) von der Gesetzesbegründung im Jahre 2013 (BT-Drs. 17/12678 S. 5) in Betracht gezogenen Länder in der Vergangenheit Einmalzahlungen geleistet worden sind, werden diese nach den normativen Vorgaben des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG - wie oben dargelegt - nicht erfasst, weil sie allenfalls dann auf die (einmalige) Kapitalentschädigung nach § 13 ContStifG angerechnet werden dürften, wenn sie von dem ausländischen Staat in der Zeit nach dem Wirksamwerden der Anrechnungsregelung ab 1. August 2013 gezahlt worden sind. In allen Staaten, in denen ausweislich der Studie Einmalzahlungen erbracht wurden - dies sind fünf der untersuchten 21 Staaten (Kanada, Norwegen, Österreich, Schweden und Spanien) -, sind diese jedoch vor dem genannten Zeitpunkt geleistet worden. Dass weitere Einmalzahlungen in diesen oder anderen Ländern geplant sind, wird von der Studie verneint.
Rz. 74
(bb) Die Behauptung einer "Besserstellung" gegenüber den deutschen Berechtigten lässt sich auch nicht mittelbar anhand der genannten Studie belegen, und zwar weder für die soeben genannten drei Staaten noch für sonstige Länder, in denen Berechtigte nach §§ 12, 13 ContStifG leben und dortige Leistungen beziehen. Eine Besserstellung der in diesen Ländern lebenden ausländischen Betroffenen gegenüber den deutschen Geschädigten und den Geschädigten in anderen Ländern ließe sich nur dann in genügender Weise rechtlich und tatsachengestützt fundieren, wenn sie auf der Grundlage einer sachlich nachvollziehbaren Bewertung anhand einer Gesamtbetrachtung der Leistungen vorgenommen worden wäre oder zumindest aktuell vorgenommen werden könnte. Es ist jedoch nicht ansatzweise erkennbar, dass dies der Fall ist.
Rz. 75
Die Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung der Leistungen ergibt sich schon daraus, dass von einer durch Leistungen eines ausländischen Staates begründeten "Besserstellung" bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nur die Rede sein kann, wenn sämtliche relevanten Leistungen in den Vergleich einbezogen werden und nicht nur isoliert eine bestimmte Leistung herausgegriffen wird. In systematischer Hinsicht geht das Conterganstiftungsgesetz selbst davon aus, dass eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist. Das zeigt sich etwa an der Bestimmung über die Einkommensteuerfreiheit (§ 17 ContStifG) und insbesondere an der Regelung des § 18 ContStifG (ähnlich bereits §§ 21 und 22 StGH), welche die Leistungen (bzw. Verpflichtungen) Anderer, die den Berechtigten zu erbringen sind, in die Betrachtung mit einbezieht und das Verhältnis zu diesen Leistungen in der Weise klärt, dass eine Anrechnung mit Ausnahme von § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG in keiner Weise stattfindet. Danach bleiben zum einen die Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz bei der Ermittlung oder Anrechnung von Einkommen, sonstigen Einnahmen und Vermögen nach anderen Gesetzen, insbesondere dem Zweiten, Dritten, Fünften, Neunten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und dem Bürgerlichen Gesetzbuch, außer Betracht (§ 18 Abs. 1 ContStifG). Zum anderen werden Verpflichtungen Anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger und der Träger der Sozialhilfe oder anderer Sozialleistungen, durch dieses Gesetz nicht berührt (§ 18 Abs. 2 Satz 1 ContStifG). Sinn und Zweck dieser Regelungen ist es, dass die Conterganrente und die sonstigen Leistungen nach diesem Gesetz den Berechtigten zusätzlich zu den sonstigen (Sozial-)Leistungen in ungeschmälerter Weise zugutekommen sollen (vgl. BT-Drs. 17/12678 S. 8, wo wiederum Bezug genommen wird auf die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Stiftungsgesetz, BT-Drs. VI/926 S. 7, betreffend die Entwurfsfassung des § 4 und § 5, die inhaltsgleich als § 21 und § 22 in das Stiftungsgesetz Eingang gefunden haben). Der Gesetzgeber hat die Conterganrente damit von Anfang an im Zusammenhang mit anderen Leistungen betrachtet.
Rz. 76
Vor diesem Hintergrund ist auch die Rechtsprechung durchweg davon ausgegangen, dass es im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung des Conterganstiftungsgesetzes (wie bereits des Stiftungsgesetzes) erforderlich ist, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, welche auch die Leistungen Anderer - wie die den thalidomidgeschädigten Menschen zugutekommenden allgemeinen Sozialleistungen - einbezieht. Bei der Überprüfung, ob die gesetzlichen Regelungen der vom Gesetzgeber mit der Stiftungslösung übernommenen (Haftungs-)Verantwortung gerecht wurden und noch werden, ist danach nur eine Gesamtbetrachtung sachgerecht, welche auch die sonstigen gesetzlichen Leistungen in den Blick nimmt, die den Betroffenen zugutekommen (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪301 f.≫; Beschluss vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 - NJW 2010, 1943 Rn. 39; BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2014 - 10 C 1.14 - BVerwGE 150, 44 Rn. 56).
Rz. 77
Dieses Verständnis liegt offenbar auch der von der Beklagten beauftragten Studie (DLA Piper) zugrunde, die neben den spezifisch an die Thalidomidschädigung anknüpfenden (speziellen) Zahlungen in den jeweiligen Ländern auch die allgemeinen staatlichen Sozialleistungen und die sonstigen Vergünstigungen (wie etwa Steuervergünstigungen etc.) in den Blick nimmt und als erforderliches Tatsachenmaterial für "einen möglichen Vergleich" ausweist. Die Studie geht damit der Sache nach ebenfalls und zu Recht davon aus, dass ein Vergleich, der die "Besserstellung" bestimmter ausländischer Betroffener begründen könnte, nur dann sachgerecht vorgenommen werden kann, wenn auch alle sonstigen, den Betroffenen in den jeweiligen Ländern zur Verfügung stehenden Leistungen und Vergünstigungen einbezogen werden.
Rz. 78
Die in der Gesetzesbegründung geäußerte Annahme einer "Besserstellung" der ausländischen Berechtigten erweist sich damit schon deshalb als nicht haltbar, weil der Gesetzgeber eine (nachvollziehbare) Gesamtbetrachtung im aufgezeigten Sinne tatsächlich nicht vorgenommen hat. Allein der Hinweis darauf, dass überhaupt laufende Zahlungen an bestimmte ausländische Berechtigte erbracht werden, vermag die Annahme eine Besserstellung nicht zu rechtfertigen. Aus der isolierten Betrachtung von bestimmten (monatlichen) Zahlungen, welche alle sonstigen staatlichen Leistungen, die den Berechtigten zugutekommen, ausblendet, kann nicht auf eine Besserstellung geschlossen werden. Wird dagegen aus einem Gesamtpaket von Leistungen nur eine einzelne (monatliche) herausgegriffen - wie im Ausgangsfall die monatliche Zahlung des irischen Staates -, erweist sich die Vermutung einer "Besserstellung" der ausländischen Betroffenen als eine ins Blaue hinein formulierte Annahme.
Rz. 79
(cc) Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass im Ergebnis eine Besserstellung bestimmter ausländischer Berechtigter angenommen werden könnte, wenn die dafür erforderliche Gesamtbetrachtung vorgenommen worden wäre. Vielmehr erscheint eher das Gegenteil der Fall zu sein.
Rz. 80
Bei Zugrundelegung einer Gesamtbetrachtung ist zunächst nicht erkennbar, dass die genannten ausländischen Berechtigten durch die Zahlung ihres Herkunftsstaates bessergestellt sind als die Gruppe der Berechtigten mit deutscher Staatsangehörigkeit, zu der rund 90 % der Geschädigten gehören. Auch und gerade im Hinblick auf die wenigen Länder (insbesondere Brasilien und Irland), in denen monatliche Zahlungen geleistet werden, liegt kein geeignetes Tatsachenmaterial vor, aus dem sich nachvollziehen ließe, dass in diesen Ländern etwa das allgemeine Niveau der den Betroffenen zugutekommenden Sozialleistungen oder sonstigen Vergünstigungen höher sein könnte oder eine Gesamtbetrachtung von Leistungen und Vergünstigungen - unter Einschluss der von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfassten Zahlungen - die Annahme einer Besserstellung der ausländischen Berechtigten zu begründen vermöchte.
Rz. 81
Eine Besserstellung der betroffenen ausländischen Berechtigten ist nicht zuletzt auch deshalb nachhaltig in Zweifel zu ziehen, weil der Gesetzgeber zeitgleich mit der Einführung der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG durch das 3. Änderungsgesetz zum Conterganstiftungsgesetz mit § 18 Abs. 2 Satz 2 bis 4 ContStifG weitere Vergünstigungen für die in Deutschland lebenden Berechtigten eingeführt hat. Für die Inanspruchnahme zahlreicher bedeutsamer Sozialleistungen entfällt für die Betroffenen damit der Sache nach das (ansonsten insbesondere unter Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen zu prüfende) Erfordernis der Bedürftigkeit. Die Regelungen des § 18 Abs. 2 Satz 2 bis 4 ContStifG dienen damit in besonderer Weise der Schonung des Einkommens und Vermögens der contergangeschädigten Menschen und ihrer Ehegatten bzw. Lebenspartner (vgl. zu dieser Zielsetzung der Regelungen die Begründung in BT-Drs. 17/13279 S. 10).
Rz. 82
Unter Hinweis auf die vorgenannte Änderung und aus weiteren Gründen hat der Kläger des Ausgangsverfahrens - ohne dass dem die Beklagte in maßgeblicher Weise entgegengetreten wäre - geltend gemacht, es sei insgesamt trotz der im Streit stehenden monatlichen Zahlungen des irischen Staates von einer Schlechterstellung der in Irland lebenden gegenüber den deutschen Berechtigten auszugehen. Der Gesetzgeber habe insbesondere durch die in § 18 ContStifG enthaltenen Regelungen einen wesentlichen Bedarf von schwer contergangeschädigten Menschen unter anderem im Rahmen der Assistenz und Pflege in einer Weise geregelt, die ausschließlich in Deutschland lebenden oder deutschen Contergangeschädigten über die im Conterganstiftungsgesetz für deutsche Sozialhilfeleistungen enthaltenen Privilegierungen zugutekomme. Ausländische bzw. im Ausland lebende Contergangeschädigte erhielten hingegen keine Leistungen der deutschen Sozialhilfe- und Eingliederungshilfe, sondern müssten ihre Assistenz- und Pflegeleistungen anders organisieren bzw. im Zweifel dafür selbst mit eigenen Mitteln aufkommen. Deshalb seien ausländische Geschädigte - obgleich sie wie die irischen Geschädigten eine monatliche Zahlung von ihrem Heimatstaat erhielten - schlechter gestellt als die deutschen Geschädigten. Der Senat kann offenlassen, ob dieser Bewertung zu folgen ist. Er sieht jedenfalls die Annahme einer "Besserstellung" der in den Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG fallenden ausländischen Berechtigten als eine in tatsächlicher Hinsicht nicht haltbare Vermutung bzw. Behauptung an.
Rz. 83
Auch gegenüber der Gruppe der ausländischen Berechtigten, die keine laufenden spezifischen Leistungen von ihrem Heimatstaat erhalten, lässt sich eine Besserstellung der von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfassten ausländischen Berechtigten nicht feststellen. Dies scheitert bereits daran, dass der Gesetzgeber auch für diese Gruppen die für einen sachgerechten Vergleich zwischen diesen Ländern erforderliche Gesamtbetrachtung der den Betroffenen jeweils in ihren Ländern zugutekommenden (Sozial-)Leistungen nicht ansatzweise vorgenommen hat. Auch aus der von der Gesetzesbegründung in Bezug genommenen Studie (DLA Piper) ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte, die auf eine "Besserstellung" schließen lassen. Um eine solche zu begründen, müsste insoweit neben dem Sozialleistungsniveau und den sonstigen Vergünstigungen für Betroffene überdies berücksichtigt werden, dass rentenartige monatliche Leistungen nicht notwendig günstiger sein müssen als einmalige (höhere) Zahlungen. Deshalb wird eine Besserstellung der Betroffenen in den Ländern, in denen monatliche Zahlungen geleistet werden, auch dadurch in Frage gestellt, dass ausweislich der von der Gesetzesbegründung in Bezug genommenen Studie in anderen in den Vergleich einzubeziehenden ausländischen Staaten relativ hohe einmalige Leistungen erbracht worden sind, welche von der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG nicht (mehr) erfasst werden. Dies gilt für mehrere in der Studie aufgeführte Länder (zu den Einmalzahlungen in Kanada, Norwegen, Österreich, Schweden und Spanien vgl. etwa den Überblick auf S. 17 f. der Studie DLA Piper).
Rz. 84
(4) Selbst wenn das eingesetzte Mittel der Anrechnung entgegen den vorstehenden Erwägungen noch als geeignet anzusehen wäre, fehlt es nach Überzeugung des Senats jedenfalls an der Angemessenheit bzw. Zumutbarkeit des Eingriffs in das Eigentum. Die an die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne einschließlich der an sie unter Vertrauensschutz- und Gleichheitsgesichtspunkten zu stellenden Anforderungen (BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2018 - 1 BvR 97/14 - BVerfGE 149, 86 Rn. 85 m.w.N.) sind im vorliegenden Zusammenhang nicht gewahrt. Bei der gebotenen Abwägung kommt hier den berechtigten Interessen der Betroffenen ein nicht unerheblich größeres Gewicht zu als den öffentlichen Belangen, die der Gesetzgeber mit der Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG verfolgt. Die Eigentumspositionen der von der Anrechnungsregelung betroffenen ausländischen Berechtigten sind in einem hohen Maße schutzbedürftig ((a)). Dies wird durch ein berechtigtes Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der ungeschmälerten Weitergewährung der Conterganrente verstärkt ((b)). Das Gewicht der öffentlichen Interessen an der Anrechnungsregelung ist demgegenüber als deutlicher geringer zu werten und vermag sich bei einer Gesamtabwägung nicht durchzusetzen ((c)).
Rz. 85
(a) Die fortgesetzte ungeschmälerte Gewährung der Conterganrente nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ContStifG ist in einem erhöhten Maße schutzbedürftig. Besonderen Schutz genießt das Eigentum, wenn es für die Sicherung der persönlichen Freiheit des Eigentümers wichtig ist oder sonst einen besonderen personalen Bezug aufweist (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 14 Rn. 43 m.w.N.). Ein solcher die Gewährleistung des Eigentums sichernder und abwehrender Gehalt besteht in besonderem Maße für Ansprüche, die den Charakter eines Äquivalents für Einbußen an Lebenstüchtigkeit besitzen (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2004 - 1 BvR 1804/03 - BVerfGE 112, 93 ≪107≫) und die sich - wie die Conterganrente - für die weitere Lebensgestaltung der Betroffenen von hervorragender und unter Umständen existenzieller Bedeutung erweisen (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪293≫). Diese Bedeutung und erhöhte Schutzwürdigkeit der Conterganrente hat auch der Gesetzgeber durchweg anerkannt (vgl. BT-Drs. 17/12678 S. 8: "... tragen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Betroffenen Rechnung").
Rz. 86
Dementsprechend verfolgte bereits das Stiftungsgesetz die Zielsetzung, den Betroffenen die Conterganrente "ungeschmälert" zukommen und auch keine mittelbaren Kürzungen vornehmen zu lassen (so bereits deutlich die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drs. VI/926 S. 7). Dies fand seinen Niederschlag in der Regelung des § 22 StHG, wonach Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger und Träger der Sozialhilfe oder anderer Sozialleistungen, durch dieses nicht berührt wurden und auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer, auf die kein Anspruch besteht, nicht deshalb versagt werden dürfen, weil nach diesem Gesetz entsprechende Leistungen vorgesehen sind. Bereits diese Vorschrift - die ihre inhaltliche und in ihrer Reichweite noch darüber hinaus gehende Folgeregelung in § 18 ContStifG gefunden hat (vgl. zu deren entsprechender Zwecksetzung: BT-Drs. 17/12678 S. 8) - trug dem oben dargelegten Charakter der Conterganrente als Entschädigungsanspruch Rechnung. Für die in gesetzliche Ansprüche (auf Conterganrente und Kapitalentschädigung) umgewandelten Vergleichs- bzw. Haftungsansprüche sollte Ähnliches gelten, was für die ursprünglichen haftungsrechtlichen Ansprüche der Betroffenen gegen die Verantwortlichen (insbesondere die Firma Grünenthal GmbH) gegolten hat. Weil die Bundesrepublik Deutschland mit dem Stiftungsgesetz die Verantwortung für die Abwicklung der Schadensfälle übernommen hat und an die Stelle der zivilrechtlichen Haftungsschuldner getreten ist, muss sie sich insoweit grundsätzlich so behandeln lassen, wie die ursprünglichen Schuldner dies hätten tun müssen. Insoweit entspricht es einem allgemeinen und für alle Ansprüche aus unerlaubter Handlung wie auch aus besonderen Haftungsgesetzen geltenden Prinzip, dass ein Schädiger nicht durch Leistungen Dritter entlastet werden darf und deshalb deren Anrechnung im Wege des Vorteilsausgleichs nicht in Betracht kommt (vgl. etwa BGH, Urteile vom 4. April 2000 - XI ZR 48/99 - BGHZ 144, 151 Rn. 30 und vom 5. Februar 2013 - VI ZR 363/11 - NJW 2013, 1151 Rn. 23 m.w.N.; Rüßmann, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, § 843 Rn. 6; Kersting, WuW 2020, 619 ≪628≫ jeweils m.w.N.). Insbesondere findet nach zivilrechtlichen Haftungsgrundsätzen eine Anrechnung der dem Geschädigten zugutekommenden freiwilligen Leistungen Dritter nicht statt (vgl. etwa Rüßmann, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, § 249 Rn. 55 m.w.N.). In Anerkennung dessen hat das Stiftungsgesetz in § 18 Abs. 2 eine Anrechnung der Leistungen Dritter nur vorgesehen, wenn es sich dabei um "andere mögliche Verantwortliche", also andere Haftungsschuldner, handelt. Diese Regelung findet sich heute nahezu inhaltsgleich in § 15 Abs. 2 Satz 1 ContStifG. Dies war konsequent, weil eine Anrechnung bzw. ein interner Ausgleich auch nach zivilem Haftungsrecht nur unter Gesamtschuldnern, also "mehreren nebeneinander Verantwortlichen" (vgl. § 840 Abs. 1 BGB) in Betracht gekommen wäre (vgl. etwa OLG Celle, Urteil vom 17. Mai 2001 - 14 U 175/00 - VRS 102, 263). Demgegenüber findet mit der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG entgegen den oben genannten Grundsätzen nunmehr der Sache nach eine Anrechnung von (freiwilligen) Leistungen Dritter, nämlich ausländischer Staaten statt, die den Geschädigten zugutekommen sollen und nicht demjenigen, der die Haftungsverantwortung für den Schädiger übernommen hat.
Rz. 87
(b) Das in die Abwägungsentscheidung einzustellende Gewicht der berechtigten Interessen der Betroffenen wird durch ein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand der ungeschmälerten Weitergewährung der Conterganrente verstärkt.
Rz. 88
Der Eingriff in entstandene und von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechte muss durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein, wobei die Gründe des öffentlichen Interesses, die für einen solchen Eingriff sprechen, so schwerwiegend sein müssen, dass sie Vorrang haben vor dem Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand seines Rechts, das durch den Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG innewohnenden Bestandsschutz gesichert wird (BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 - BVerfGE 143, 246 Rn. 269 m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt ausgesprochen, dass es eine wesentliche Funktion der Eigentumsgarantie ist, dem Bürger Rechtssicherheit hinsichtlich der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Güter zu gewährleisten und das Vertrauen auf das durch die verfassungsmäßigen Gesetze ausgeformte Eigentum zu schützen. Insoweit hat der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes für die vermögenswerten Güter im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren (BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 - 1 BvL 6/92 [ECLI:DE:BVerfG:1998:ls19980324.1bvl000692] - BVerfGE 97, 378 ≪388≫ m.w.N.).
Rz. 89
Das Vertrauen der Berechtigten auf den unveränderten Fortbestand einer über viele Jahre gewährten Rechtsposition ist grundsätzlich hoch einzuschätzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 - 1 BvL 6/92 - BVerfGE 97, 378 ≪388≫ m.w.N. und Kammerbeschluss vom 14. März 2001 - 1 BvR 2402/97 [ECLI:DE:BVerfG:2001:rk20010314.1bvr240297] - NZA 2001, 687 f.). Im Hinblick auf die Conterganrente hat auch der Gesetzgeber eine solch schützenswerte Vertrauensposition der Betroffenen anerkannt. Leistungsberechtigte dürfen nach dessen gefestigter Auffassung "auf den Fortbestand ihrer gesetzlichen Leistungsansprüche - insbesondere auf die Gewährung der lebenslänglichen monatlichen Conterganrente - grundsätzlich vertrauen" (so zuletzt die Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD im Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes ≪BT-Drs. 19/19498 S. 7≫). Dass dies auch und gerade für die ausländischen Berechtigten gilt, entspricht der im Gesetzgebungsverfahren wiederholt und einhellig geäußerten Ansicht (vgl. zum Vertrauensschutz auf den Fortbestand der Conterganrente und zum Erfordernis des Schutzes der in Brasilien lebenden Berechtigten: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 17. Juni 2020 ≪BT-Drs. 19/20142 S. 1, 5 ff.≫).
Rz. 90
(c) Gegenüber den vorgenannten gewichtigen Belangen der Betroffenen treten die öffentlichen Interessen, deren Wahrung der Gesetzgeber mit der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG in den Blick genommen hat, in den Hintergrund.
Rz. 91
Das vom Gesetzgeber ausdrücklich verfolgte Ziel der Vermeidung von Doppelleistungen bzw. der Vermeidung einer "Besserstellung" ist - wie oben dargelegt - mit der Anrechnungsregelung nicht zu erreichen und fällt damit als in die Abwägung einzustellender Gemeinwohlbelange aus. Selbst wenn man dies anders beurteilte und noch berücksichtigte, dass der Gesetzgeber auch Einsparungen für die öffentlichen Haushalte in Blick genommen haben könnte, wären die Wirkungen der Anrechnungsregelung für die Betroffenen im Ergebnis nicht zumutbar. Die dargelegten schutzwürdigen Belange der Betroffenen sind jedenfalls so gewichtig, dass sie sich in der Gesamtabwägung zwischen Eigentums- und besonderem Vertrauensschutz auf der einen sowie der für die Regelung gegebenenfalls noch sprechenden Gemeinwohlgründe auf der anderen Seite in der Weise durchsetzen, dass sich der mit der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG verbundene Eingriff in ihre geschützten Rechtspositionen als im engeren Sinne unverhältnismäßig erweist. Hieran ändert sich nichts, wenn man einen größeren Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung mit der Erwägung annähme, dass die nunmehr gewährte Höhe der Conterganrente (zu einem unbestimmten) Teil auch auf sozialstaatliche Erwägungen gestützt ist. Zwar würde eine solche sozialstaatlich motivierte "Zusatzkomponente" den personalen Bezug des Eigentumsschutzes der Conterganrente um einen sozialen Bezug erweitern. Dieser soziale Bezug ist aber jedenfalls nicht von einem derart hohen Gewicht wie es etwa bei Rentenansprüchen aus dem Sozialversicherungssystem der Fall ist, die sich von den Rechten und Pflichten anderer nicht lösen lassen, weil sie eingefügt sind in einen Gesamtzusammenhang, der auf dem Gedanken der Solidargemeinschaft und des "Generationenvertrages" beruht (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1980 - 1 BvL 17/77 u.a. - BVerfGE 53, 257 ≪292≫). Prägend für den Charakter der Conterganrente, auch soweit es die Leistungsanpassung in der Vergangenheit mit Blick auf eine veränderte Bedarfslage angeht, bleibt vielmehr ihre haftungsrechtliche Verwurzelung. Es kommt hinzu, dass die in Rede stehende Kürzung ersichtlich nicht zur Erhaltung oder Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Leistungssystems Conterganstiftung unter Einschluss der hierfür aufgewendeten staatlichen Zuschüsse erfolgt ist. Dagegen spricht schon, dass der Gesetzgeber eine (unterstellte) Kürzung zu Einsparungszwecken nur für die Gruppe der ausländischen Leistungsberechtigten vorgenommen hat, während er den Umfang der gesamten staatlichen Leistungen an die inländischen Berechtigten durch die gleichzeitig erfolgte Änderung des § 18 Abs. 2 ContStifG sogar noch deutlich ausgeweitet hat.
Rz. 92
Insoweit ist zugunsten des Eigentumsschutzes auch zu berücksichtigen, dass die Anrechnungsregelung für die Betroffenen zu einer vollständigen Entwertung der ausländischen (Renten-)Zahlungen führt. Deren Zwecksetzung, den Betroffenen zu dienen, wird damit vereitelt. Das zeigt sich deutlich an der im Ausgangsfall in Rede stehenden monatlichen Zahlungen des irischen Staates, welche die deutsche Conterganrente ergänzen sollen. In Folge der Anrechnung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG kommen die ausländischen Zahlungen über eine Kürzung der Conterganrente letztlich allein dem Haushalt des Bundes zugute.
Rz. 93
Die Entwertung der Zahlungen ist vor dem Hintergrund der Wertungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG auch deshalb nicht zumutbar, weil von den ausländischen Betroffenen letztlich nur diejenigen zur Anrechnung herangezogen werden, die eine laufende monatliche Zahlung erhalten. Dies stellt sich etwa auch im Verhältnis zu denjenigen ausländischen Betroffenen, denen in den letzten Jahrzehnten von ihren Heimatstaaten (höhere) einmalige Zahlungen (aber keine monatlichen Zahlungen) gewährt worden sind, als unverhältnismäßig dar, weil diese Zahlungen - wie oben dargelegt - von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG nicht erfasst werden. Ein sachlicher Grund für die Differenzierung, die jedenfalls in ihren faktischen Auswirkungen darauf hinausläuft, dass nur laufende monatliche Zahlungen ausländischer Staaten erfasst werden, ist nicht ersichtlich.
Rz. 94
cc) Schließlich genügt die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG jedenfalls wegen ihrer gleichheitswidrigen Auswirkungen nicht den Rechtfertigungsanforderungen, die an Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu stellen sind. Der Gesetzgeber ist bei Eingriffen in das Eigentumsgrundrecht verpflichtet, die Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung steht mit der verfassungsrechtlichen Vorstellung eines sozial gebundenen Eigentums nicht in Einklang (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2004 - 1 BvR 1804/03 - BVerfGE 112, 93 ≪109≫ m.w.N.). Bei der inhaltlichen Festlegung von Eigentümerbefugnissen und -pflichten ist der Gesetzgeber auch an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 - BVerfGE 143, 246 Rn. 268; Beschluss vom 18. Juli 2019 - 1 BvL 1/18 - NJW 2019, 3054 Rn. 92). Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind nur verhältnismäßig und zulässig, wenn sie gleichheitsgerecht ausgestaltet sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 8/07 - BVerfGE 126, 331 ≪360, 366≫). Dies ist hier nicht der Fall. Die streitbefangene Anrechnungsregelung vermag wegen ihrer gleichheitswidrigen Wirkungen den Eingriff in die Eigentumsgarantie der Betroffenen nicht zu rechtfertigen. Sie verstößt auch bei gesonderter Betrachtung - wie nachfolgend darzulegen ist - gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Rz. 95
3. § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG ist nach Überzeugung des Senats mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Rz. 96
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen (BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 [ECLI:DE:BVerfG:2011:rs20110621.1bvr203507] - BVerfGE 129, 49 ≪68 f.≫; Urteil vom 10. April 2018 - 1 BvL 11/14 [ECLI:DE:BVerfG:2018:ls20180410.1bvl001114] - BVerfGE 148, 147 Rn. 94 jeweils m.w.N.). Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Ausschluss, bei dem eine Begünstigung dem einem Personenkreis gewährt, dem anderen aber vorenthalten wird (BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 - BVerfGE 129, 49 ≪68≫ m.w.N.). Die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG bewirkt eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (a), die sich nicht verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt (b).
Rz. 97
a) Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts liegt eine verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor.
Rz. 98
aa) Als wesentlich gleich zu bewerten ist die unter einen gemeinsamen Oberbegriff fallende und durch einen wesentlich gleichen Sachverhalt verbundene Personengruppe der durch thalidomidhaltige Präparate der Firma Grünenthal GmbH geschädigten Menschen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese mit dem Oberbegriff der "Gemeinschaft aller Contergangeschädigten" umrissen und als "Schicksalsgemeinschaft" bezeichnet (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 - BVerfGE 42, 263 ≪303≫). Gemeinsame Bezugsgruppe, unter die die verschieden behandelten Personen fallen, ist danach die Personengruppe der nach dem Conterganstiftungsgesetz (§ 12 ContStifG) berechtigten Geschädigten, d.h. diejenigen, denen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma Grünenthal GmbH durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden, eine Entschädigung - insbesondere die Conterganrente und die Kapitalentschädigung - gemäß § 13 ContStifG zusteht. Diese Gruppe besteht aktuell aus ca. 2 600 Anspruchsberechtigten, von denen ca. 10 % im Ausland leben.
Rz. 99
bb) Für einen ganz überwiegenden Teil dieser Gruppe - dies sind die aus dem vorgenannten Grund gegenüber der Beklagten berechtigten Deutschen und die ausländischen Berechtigten, die keine spezifischen (Renten-)Leistungen ihres Heimat- bzw. Aufenthaltsstaates erhalten - kann eine Anrechnung nach der gesetzlichen Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG aus rechtlichen Gründen nicht stattfinden - wie deren oben dargelegte Auslegung unzweifelhaft ergeben hat - und findet auch tatsächlich nach der Verwaltungspraxis der Beklagten nicht statt. Dies wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.
Rz. 100
Im Hinblick auf die im Ausgangsverfahren im Streit stehende Conterganrente wird durch § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG aus dem Kreise der nach dem Conterganstiftungsgesetz Leistungsberechtigten die Gruppe der Thalidomidgeschädigten, die spezifische Zahlungen von ausländischen Staaten erhält, anders behandelt und schlechter gestellt als die Gruppe der übrigen Leistungsberechtigten. Diese (kleinere) Gruppe der nach §§ 12, 13 ContStifG Berechtigten erhält die Conterganrente wegen der Anrechnung von bestimmten Leistungen Dritter nur in dem durch den Betrag der anderweitigen Zuwendung gekürzten Umfang, während die Angehörigen der anderen (größeren) Gruppe, zu der insbesondere die inländischen Berechtigten gehören, die Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz in ungeschmälerter Höhe beziehen, ohne dass Leistungen Dritter (wie etwa sonstige Sozialleistungen des deutschen Staates oder in der Vergangenheit erbrachte Einzelleistungen anderer Staaten) angerechnet werden. Dies führt dazu, dass Personen mit gleich bewerteten Schädigungsfolgen in Abhängigkeit von ihrer Gruppenzugehörigkeit Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz in unterschiedlicher Höhe erhalten (vgl. insoweit auch zur Annahme einer Ungleichbehandlung, wenn innerhalb der Gruppe der Bezieher von Kindergeld eine kleine Gruppe von Berechtigten durch die Anrechnung von ausländischen Kindergeldzahlungen einen Nachteil erleidet: BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2004 - 2 BvL 5/00 - BVerfGE 110, 412 ≪437≫; vgl. ferner zu der in einer Anrechnung von Schmerzensgeld liegenden Ungleichbehandlung: BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvR 293/05 [ECLI:DE:BVerfG:2006:rs20060711.1bvr029305] - BVerfGE 116, 229 ≪240≫).
Rz. 101
cc) Bereits aus den vorstehenden Gründen vermag der Senat nicht der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts zu folgen, dass mit Blick auf bestimmte Leistungen Anderer unterschiedliche Sachverhalte vorlägen, die sodann auch unterschiedlich behandelt werden könnten, und der Gesetzgeber durch die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG letztlich eine Gleichbehandlung vornehme. Soweit dem die Annahme zugrunde liegen sollte, die ausländischen Zahlungen führten zu einer Besserstellung der Empfänger und seien deshalb als Doppelleistungen anzusehen, die aus Gründen der Gleichbehandlung zu kürzen seien, liegt dem ein - wie oben dargelegt - nicht tragfähiger Ansatz zugrunde. Überdies ist der Ansatz des Oberverwaltungsgerichts, dass unterschiedliche Sachverhalte vorlägen, die mit der Anrechnung gleich behandelt würden, auch deshalb abzulehnen, weil das Oberverwaltungsgericht damit der Sache nach das vom Gesetzgeber gewählte, die Schlechterstellung einer Gruppe verursachende Differenzierungskriterium heranzieht, um eine verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung zu verneinen. Damit wird die auf der Rechtfertigungsebene zu behandelnde Frage, ob das gewählte Differenzierungskriterium durch einen verfassungsrechtlich tragenden Grund gerechtfertigt ist, in einer dem Zweck des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gerecht werdenden Weise umgangen und in methodisch nicht zulässiger Weise vorverlagert. Diese Vorgehensweise des Oberverwaltungsgerichts steht auch im Widerspruch dazu, dass es jedenfalls eine "faktische Ungleichbehandlung" angenommen hat, die sich auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen, an die der Senat gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), daraus ergibt, "dass rein tatsächlich typischerweise nur bei nichtdeutschen, nicht aber bei deutschen Contergangeschädigten eine Anrechnung einer weiteren, auf ausländischer Rechtsgrundlage beruhenden Zahlung erfolgt" (UA S. 33).
Rz. 102
b) Die nach alledem durch § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG bedingte Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG unterliegt erhöhten Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung (aa), für die tragfähige Gründe von solcher Art und solchem Gewicht, welche die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten, nach Überzeugung des Senats nicht vorliegen (bb).
Rz. 103
aa) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 [ECLI:DE:BVerfG:2007:fs20070313.1bvf000105] - BVerfGE 118, 79 ≪100≫ und vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 - BVerfGE 129, 49 ≪68≫ m.w.N.). Bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Normgeber regelmäßig engen rechtlichen Bindungen. Dies gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - BVerfGE 118, 79 ≪100≫ m.w.N.). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist auch dann anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 - 1 BvL 11/14 - BVerfGE 148, 147 Rn. 95 m.w.N.). Die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen steigen ferner auch dann bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung, wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (BVerfG, Beschluss vom 19. November 2019 - 2 BvL 22/14 u.a. [ECLI:DE:BVerfG:2019:ls20191119.2bvl002214] - BVerfGE 152, 274 Rn. 96 m.w.N.). Im Übrigen hängt das Maß der Bindung unter anderem davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Kriterien zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 - BVerfGE 129, 49 ≪69≫ und Urteil vom 10. April 2018 - 1 BvL 11/14 - BVerfGE 148, 147 Rn. 95, jeweils m.w.N.).
Rz. 104
Nach diesen Grundsätzen ist die hier in Rede stehende Ungleichbehandlung nicht nur am bloßen Willkürverbot, sondern an den strengeren Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu messen. Denn die mit der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG verbundene Kürzung der Conterganrente bewirkt - wie oben dargelegt - eine Ungleichbehandlung von Personengruppen und stellt sich überdies als eine unmittelbare Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Eigentumsgarantie der Gruppe jener im Ausland lebenden Berechtigten dar, deren eigentumsrechtlich geschützte Ansprüche auf die Conterganrente von der Anrechnungsregelung negativ betroffen sind. Dabei ist es für die Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht notwendig entscheidend, dass die im Streit stehende Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG - wie dargelegt - gegen die Eigentumsgarantie verstößt. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen erschöpfen sich auch dann nicht im bloßen Willkürverbot, sondern unterliegen strengeren Bindungen, wenn die gesetzgeberische Maßnahme zwar im Ergebnis mit einem Freiheitsrecht vereinbar ist, aber gleichwohl in rechtfertigungsbedürftiger Weise in dessen Schutzbereich eingreift (BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 1 BvL 14/07 [ECLI:DE:BVerfG:2012:ls20120207.1bvl001407] - BVerfGE 130, 240; vgl. auch Britz, NJW 2014, 346 ≪349≫). Selbst wenn hier also - anders als vom Senat angenommen - Art. 14 Abs. 1 GG für sich genommen nicht verletzt wäre, wäre das verfassungsrechtliche Eigentumsrecht durch die im Streit stehende gesetzgeberische Maßnahme jedenfalls - wie oben erläutert - beeinträchtigt. Zumindest und jedenfalls aus dieser Betroffenheit von Freiheitsrechten ergibt sich, dass die Ungleichbehandlung nur zu rechtfertigen ist, wenn sie den höheren Rechtfertigungsanforderungen gerecht wird. Das ist hingegen nicht der Fall.
Rz. 105
bb) Den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG nach Überzeugung des Senats nicht. Obgleich der Gesetzgeber mit der Vermeidung von Doppelleistungen an sich ein legitimes Ziel verfolgt, stellt dieses Ziel schon deshalb keinen tragfähigen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund für eine die Gruppe der betroffenen ausländischen Berechtigten benachteiligende Anrechnung dar, weil es nicht um Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung geht ((1)). Überdies fehlt es nach Überzeugung des Senats bereits an der Geeignetheit des gewählten Mittels, das gesetzliche Ziel zu erreichen, jedenfalls aber an seiner Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ((2)).
Rz. 106
(1) Regelungen, die dem Ziel dienen, eine Doppelleistung bzw. Doppelversorgung mit Leistungen zu verhindern, können nur dann einen den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden rechtfertigenden Grund für eine Ungleichbehandlung darstellen, wenn es sich tatsächlich um Doppelleistungen handelt, d.h. um Leistungen, welche die gleiche Zweckbestimmung aufweisen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. März 1980 - 1 BvL 20/76, 1 BvR 826/76 - BVerfGE 53, 313 ≪331≫ und vom 14. Oktober 1997 - 1 BvL 5/89 [ECLI:DE:BVerfG:1997:ls19971014.1bvl000589] - BVerfGE 96, 315 ≪328≫). Der Gesichtspunkt der Vermeidung von Doppelleistung ist grundsätzlich nur dann als hinreichend gewichtiger Grund für eine Ungleichbehandlung anzusehen, wenn die anzurechnende (ausländische) Leistung in ihrer Funktion tatsächlich mit der anderen (deutschen) Leistung vergleichbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2004 - 2 BvL 5/00 - BVerfGE 110, 412 ≪441≫). Das ist - wie oben ausführlich dargelegt - hier nicht der Fall.
Rz. 107
(2) Für die durch § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG bewirkte Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG liegt auch deshalb kein tragfähiger Grund von solcher Art und solchem Gewicht vor, der die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte, weil nicht erkennbar ist, dass das Differenzierungskriterium geeignet ist, das mit der Anrechnungsregelung verfolgte gesetzgeberische Ziel zu erreichen. Das vom Gesetzgeber gewählte Mittel, im Falle der von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfassten ausländischen Zahlungen eine Anrechnung auf die Conterganrente vorzunehmen und damit die Leistungen der genannten ausländischen Berechtigten im Auszahlungsbetrag zu kürzen, ist, obgleich dem Gesetzgeber insoweit ein Einschätzungsspielraum zukommt ((aa)), nicht zur Förderung des gesetzgeberischen Zieles geeignet und stellt sich jedenfalls als nicht verhältnismäßig im engeren Sinne dar ((bb)).
Rz. 108
(aa) Der dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG für die Beurteilung der tatsächlichen Grundlagen einer Regelung einzuräumende Einschätzungsspielraum findet seine Grenze ebenfalls dort, wo sich deutlich erkennbar abzeichnet, dass eine Fehleinschätzung vorgelegen hat (BVerfG, Urteil vom 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 [ECLI:DE:BVerfG:2017:rs20170711.1bvr157115] - BVerfGE 146, 71 Rn. 159 m.w.N.). Mit zunehmender und hier gebotener Strenge und dadurch steigender verfassungsrechtlicher Kontrolldichte sinkt die Einschätzungsprärogative, die dem Gesetzgeber - insbesondere im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Geeignetheit des Mittels - bei der tatsächlichen Beurteilung der Ausgangslage und der möglichen Auswirkungen zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1993 - 1 BvL 38, 40, 43/92 - BVerfGE 88, 87 ≪97≫; Britz, NJW 2014, 346 ≪351≫). Eine Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung kommt dann nicht in Betracht, wenn die angegriffene Regelung das vom Gesetzgeber damit angestrebte Ziel tatsächlich verfehlt (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. April 1999 - 1 BvL 22, 34/95 [ECLI:DE:BVerfG:1999:ls19990428.1bvl002295] - BVerfGE 100, 59 ≪93≫). Es bedarf zumindest sachbezogener Anhaltspunkte, dass die Erreichung des Zieles möglich ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. April 1999 - 1 BvL 11/94 [ECLI:DE:BVerfG:1999:ls19990428.1bvl001194] - BVerfGE 100, 138 ≪181≫). Insoweit müssen noch hinreichende Erkenntnisse vorhanden sein; der Gesetzgeber muss eine vorgenommene Gruppenbildung auf einschlägige Tatsachen stützen können (BVerfG, Urteil vom 28. April 1999 - 1 BvL 22, 34/95 - BVerfGE 100, 59 ≪95 f.≫).
Rz. 109
(bb) Nach diesem Maßstab stellt die gesetzgeberische Zielsetzung, durch die Anrechnung von ausländischen Zahlungen Doppelleistungen zu vermeiden, schon deshalb keinen tragfähigen, durch hinreichende Erkenntnisse gestützten Grund für die Ungleichbehandlung dar, weil die Einschätzung des Gesetzgebers, dass es sich bei der gemäß §§ 12, 13 ContStifG gewährten Conterganrente (und Kapitalentschädigung) einerseits und den von § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG erfassten und nach dieser Regelung anzurechnenden Zahlungen ausländischer Staaten andererseits um zweckgleiche Leistungen handelt, - wie oben dargelegt - nicht zutrifft. Weil schon keine Doppelleistung vorliegt können die ausländischen Zahlungen - wie oben dargelegt - schon bei gesonderter Betrachtung keine "Besserstellung" derjenigen ausländischen Berechtigten bewirken, die sie erlangen.
Rz. 110
Unabhängig davon fehlt es nach Überzeugung des Senats - selbst bei einem weiter bemessenen Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers - jedenfalls auch - wie oben dargelegt - an einer tragfähigen Tatsachengrundlage dafür, überhaupt von einer durch die ausländischen Zahlungen bedingten und zu vermeidenden "Besserstellung" der ausländischen Berechtigten insbesondere gegenüber deutschen Berechtigen auszugehen. Das vom Gesetzgeber gewählte Mittel der Anrechnung der genannten ausländischen Zahlungen auf die Conterganrente ist damit weder zur Förderung des gesetzgeberischen Zieles geeignet noch stellt es sich als verhältnismäßig im engeren Sinne dar (insoweit wird auf die obigen Ausführungen zu Art. 14 Abs. 1 GG verwiesen, die hier entsprechend gelten).
Rz. 111
4. Einer verfassungskonformen Auslegung ist die Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG nicht zugänglich.
Rz. 112
Dabei geht der Senat mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon aus, dass ein Gesetz nur dann verfassungswidrig ist, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt, so ist diese geboten. Die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung endet allerdings dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch tritt. Anderenfalls könnten die Gerichte der rechtspolitischen Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers vorgreifen oder diese unterlaufen. Das Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung muss demnach nicht nur vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt sein, sondern auch die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers wahren (stRspr, vgl. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11, 2 BvR 1279/12 [ECLI:DE:BVerfG:2013:rs20130711.2bvr230211] - BVerfGE 134, 33 Rn. 77 und vom 16. Dezember 2014 - 1 BvR 2142/11 [ECLI:DE:BVerfG:2014:rs20141216.1bvr214211] - BVerfGE 138, 64 Rn. 86, jeweils m.w.N.; vgl. ferner etwa BVerwG, Urteile vom 6. November 2014 - 5 C 36.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:061114U5C36.13.0] - Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 47 Rn. 16 und vom 29. November 2018 - 5 C 10.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:291118U5C10.17.0] - BVerwGE 164, 23 Rn. 41).
Rz. 113
Im Hinblick auf die nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG und die nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG käme eine verfassungskonforme Auslegung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG gegebenenfalls dann in Betracht, wenn sich der Anwendungsbereich dieser Norm darauf reduzieren ließe, dass sie nur solche Zahlungen ausländischer Staaten erfasst, die - wie die Leistung der Conterganrente - einen schadensersatzrechtlichen Kern oder Ursprung aufweisen. In diesem Fall, der anzunehmen sein könnte, wenn ein Staat ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland die Verantwortung für die Folgen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate während der Schwangerschaft übernommen hätte, könnte zwar die Verfassungskonformität des § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG angenommen werden, die Vorschrift liefe dann jedoch - wie oben im Hinblick auf ihren rechtstatsächlichen Anwendungsbereich dargelegt - praktisch leer.
Rz. 114
Eine dahingehende verfassungskonforme Auslegung ist jedenfalls deshalb nicht zulässig, weil sie der eindeutigen insbesondere systematischen und teleologischen Auslegung der Norm - wie diese oben erläutert worden ist - widerspräche. Insbesondere verbietet sich eine derartig einschränkende Auslegung angesichts des klar und unmissverständlich in der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BT-Drs. 17/12678 S. 5) zum Ausdruck gebrachten Willens, den sich der Gesetzgeber mit dem Gesetzesbeschluss zu eigen gemacht hat. Danach soll die Anrechnungsregelung ohne Einschränkung alle (laufenden) Zahlungen ausländischer Staaten erfassen, die wegen einer Thalidomidschädigung geleistet werden (BT-Drs. 17/12678 S. 5). Eine Begrenzung auf Zahlungen ausländischer Staaten mit schadensersatzrechtlichem Kern oder Ursprung widerspräche dem gesetzgeberischen Willen. Der Gesetzentwurf nimmt ausdrücklich die in der von der Beklagten in Auftrag gegebenen vergleichenden Studie vom 31. Januar 2012 in einer Übersicht aufgeführten zehn Staaten in den Blick, die staatliche Leistungen wegen der Thalidomidschädigung gegenwärtig oder zukünftig erbringen oder erbracht haben und ordnet diese als "staatliche Doppelleistungen" ein, die von der Anrechnung erfasst werden sollen (BT-Drs. 17/12768 S. 5). Aus der angesprochenen Übersicht ergibt sich, dass jedenfalls - wie im Falle der irischen Zahlung - auch solche Zahlungen erfasst werden sollen, die keinen irgendwie gearteten schadensersatzrechtlichen Bezug aufweisen und bei denen der Staat nicht die Verantwortung für das Handeln dort ansässiger pharmazeutischer Unternehmen hat übernehmen wollen.
Rz. 115
5. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Fundstellen
Dokument-Index HI14669449 |