Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen. Nationale Regelung. Ausstellung und Verlängerung des Aufenthaltstitels. Voraussetzung. Zwangsgebühr. Gebühr, die achtmal höher ist als für den nationalen Personalausweis. Verstoß gegen die Grundsätze der Richtlinie 2003/109/EG
Normenkette
Richtlinie 2003/109/EG
Beteiligte
Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL) |
Istituto Nazionale Confederale Assistenza (INCA) |
Ministero dell'Economia e delle Finanze |
Presidenza del Consiglio dei Ministri |
Tenor
Die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen in der Fassung der Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 steht einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die einem Drittstaatsangehörigen, der die Ausstellung oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels in dem betreffenden Mitgliedstaat beantragt, die Zahlung einer Gebühr auferlegt, die zwischen 80 und 200 Euro beträgt, entgegen, da eine solche Gebühr im Hinblick auf das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel unverhältnismäßig ist und ein Hindernis für die Ausübung der mit der Richtlinie verliehenen Rechte schaffen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Italien) mit Entscheidung vom 17. Dezember 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juni 2014, in dem Verfahren
Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL),
Istituto Nazionale Confederale Assistenza (INCA)
gegen
Presidenza del Consiglio dei Ministri,
Ministero dell'Interno,
Ministero dell'Economia e delle Finanze
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev, J. L. da Cruz Vilaça und C. Lycourgos,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL), vertreten durch V. Angiolini, L. Formilan und L. Santini, avvocati,
- des Istituto Nazionale Confederale Assistenza (INCA), vertreten durch V. Angiolini, L. Formilan und L. Santini, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,
- der französischen Regierung, vertreten durch F.-X. Bréchot und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und A. Aresu als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44) in der durch die Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 (ABl. L 132, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2003/109).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Confederazione Generale Italiana del Lavoro (im Folgenden: CGIL) und dem Istituto Nazionale Confederale Assistenza (im Folgenden: INCA) einerseits und der Presidenza del Consiglio dei Ministri (Vorsitz des Ministerrats), dem Ministero dell'Interno (Innenministerium) und dem Ministero dell'Economia e delle Finanze (Wirtschafts- und Finanzministerium) andererseits über die Nichtigerklärung eines von diesen beiden Ministerien am 6. Oktober 2011 erlassenen Dekrets über die Gebühr für die Ausstellung und die Verlängerung von Aufenthaltstiteln (GURI Nr. 304 vom 31. Dezember 2011, im Folgenden: Dekret von 2011) sowie jedes vorbereitenden, aus ihm folgenden oder mit ihm in Zusammenhang stehenden Rechtsakts.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 9, 10 und 18 der Richtlinie 2003/109 lauten:
„(9) Wirtschaftliche Erwägungen sollten nicht als Grund dafür herangezogen werden, die Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu versagen, und dürfen nicht so aufgefasst werden, dass sie die entsprechenden Bedingungen berühren.
(10) Für die Prüfung des Antrags auf Gewährung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sollte ein System von Verfahrensregeln festgelegt werden. Diese Verfahren sollten effizient und angemessen sein, wobei die normale Arbeitsbelastung der mitgliedstaatlichen Verwaltungen zu berücksichtigen sind; sie sollten auch transparent und gerecht sein, um den betreffenden Personen an...