Entscheidungsstichwort (Thema)
Missbräuchliches Forum-Shopping im lauterkeitsrechtlichen Eilverfahren
Leitsatz (amtlich)
Eines Verfügungsgrunds i.S. der §§ 935, 940 ZPO, 12 Abs. 2 UWG begibt sich, wer im Wege eines "Forum-Shoppings" in rechtsmissbräuchlicher Art erkennbar eine Beteiligung des Prozessgegners an der Entscheidungsfindung vereiteln will, dies jedenfalls dann, wenn hinzutritt, dass der Antragsteller den Umstand eines zuvor woanders erfolglos gestellten Eilantrags gleichen Inhalts gegenüber dem Zweitgericht verheimlicht.
Normenkette
UWG § 12 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 07.09.2015; Aktenzeichen 101 O 66/15) |
Tenor
1. Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil der Kammer für Handelssachen 101 des LG Berlin vom 7.9.2015 - 101 O 66/15 - wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gründe
A. Von der Wiedergabe eines Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V. mit § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
B. Die Berufung der Antragstellerin ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und auch sonst zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Mit Recht hat das LG die zunächst erlassene einstweilige Verfügung wieder aufgehoben. Es fehlte - wie sich im Widerspruchsverfahren herausgestellt hat - am Verfügungsgrund.
I. Den Verfügungsgrund gefährdet im lauterkeitsrechtlichen Eilverfahren, wer (in Ausschöpfung des "fliegenden Gerichtsstands" gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG) - wie hier die Antragstellerin - gleich mehrere LG e mit seinem Eilantrag beschäftigt: Sonach kann die aus § 12 Abs. 2 UWG folgende Dringlichkeitsvermutung jedenfalls dann ohne weiteres widerlegt sein, wenn der Antragsteller den in erster Instanz zurückgewiesenen Antrag (anstatt Rechtsmittel einzulegen) zurücknimmt und ihn vor einem anderen Gericht neu stellt (OLG Frankfurt GRUR-RR 2002, 44 f.; Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 137). Differenzierter sollte demgegenüber die Beurteilung ausfallen, wenn ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zunächst bei einem bestimmten LG gestellt, dann aber (vor Bescheidung) zurückgenommen und bei einem anderen LG anhängig gemacht wird. Ein solches Vorgehen - regelmäßig in Reaktion auf einen verlautbarten Hinweis des zunächst angerufenen Gerichts, wegen rechtlicher und/oder tatsächlicher Bedenken die begehrte einstweilige Verfügung nicht oder jedenfalls nicht ohne mündliche Verhandlung erlassen zu wollen - widerlegt grundsätzlich nicht die Dringlichkeitsvermutung (vgl. OLG Düsseldorf GRUR 2006, 782, 785; OLG Hamburg GRUR-RR 2002, 226; a.A. für den Fall der Rücknahme vor Entscheidung und erneuten Einreichung vor demselben Gericht [dringlichkeitsschädlich]: OLG München Magazindienst 2005, 560). Denn wer in dieser Situation anstatt des - ggf. zeitraubenden - Wegs bis zur Entscheidung der zweiten Instanz (nach mündlicher Verhandlung und Berufungsverhandlung oder nach sofortiger Beschwerde und Nichtabhilfebeschluss) den möglicherweise wesentlich schnelleren Weg wählt, nämlich zurückzunehmen und ein anderes LG anzurufen (in der Hoffnung, dort auf eine günstigere Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu stoßen und die einstweilige Verfügung sofort zu erlangen), unterstreicht normalerweise mit seinem Verhalten gerade, dass er es eilig hat (Hess a.a.O.). Eine andere Frage ist aber, ob man den Verfügungsgrund hier deshalb als nicht (mehr) gegeben ansieht, weil sich der Antragsteller mit dieser Vorgehensweise des rechtlichen Interesses an einer Sachentscheidung im Wege einstweiligen Rechtsschutzes begibt (vgl. OLG München WRP 2011, 364, 365; ähnlich OLG Hamburg GRUR-RR 2010, 266 f.). Dies lässt sich jedenfalls dann mit guten Gründen annehmen, wenn der (vermeintlich) Verletzte (im Wege rechtsmissbräuchlichen "Forum-Shoppings") erkennbar eine vorgesehene Beteiligung des Prozessgegners an der Entscheidungsfindung vereiteln will, was dann zwar nicht der Dringlichkeit seines Anliegens, wohl aber dem gemäß § 12 Abs. 2 UWG, §§ 935, 940 ZPO darüber hinaus erforderlichen besonderen Rechtsschutzbedürfnis an einer Eilentscheidung entgegensteht (vgl. OLG Hamburg GRUR 2007, 614; Hess a.a.O. m.w.N.). Der Senat meint, dass hiervon jedenfalls dann auszugehen ist, wenn hinzutritt, dass der Antragsteller den erfolglosen Erstversuch gegenüber dem Zweitgericht verheimlicht.
II. Nach vorstehenden Maßstäben ist im Streitfall von einem Verlust des Verfügungsgrunds auszugehen, und zwar aus drei Gründen. Die Antragstellerin hat erstens die Antragsgegnerin nicht - was für sich genommen schon ungewöhnlich ist (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 UWG) und wofür ein (den Senat) überzeugender Sachgrund nicht ersichtlich oder vorgetragen ist - vorgerichtlich abgemahnt und somit die Antragsgegnerin von vornherein der Möglichkeit beraubt, sich bei den in Betracht kommenden Gerichten gezielt zum Vorbringen der Antragstellerin rechtliches Gehör zu verschaffen (sei es im Wege der Schutzschrifteinreichung und/oder im Wege der Abmahnbeantwortung im Vertrauen auf deren Vorlage seite...