Leitsatz (amtlich)
1. Die Beurteilung der Reichweite eines ausländischen Schiedsspruchs in einem deutschen Prozess erfolgt nach der Theorie der Wirkungserstreckung. Das bedeutet, dass Rechtskraftwirkungen anzuerkennen sind, wenn das deutsche Recht derartige Wirkungen kennt und diese nicht dem ordre public widersprechen.
2. Die nach englischem Recht zu beurteilende Rechtskraft eines in London ergangenen Schiedsspruchs steht einer Klage gegen dieselbe Beklagte vor den ordentlichen deutschen Gerichten entgegen, wenn eine Identität der sog. cause of action gegeben ist.
3. Macht eine Klägerin im Schiedsverfahren Ansprüche geltend, über die sich der Schiedsspruch verhält, kann es treuwidrig und deshalb unbeachtlich sein, wenn die Klägerin in einem späteren Verfahren vor den staatlichen Gerichten die Wirksamkeit des Schiedsspruchs mit dem Einwand in Frage stellt, die verfolgten Ansprüche seien von der Schiedsabrede nicht erfasst gewesen.
4. Die Rechtskraft eines englischen Schiedsspruchs, mit dem die Klage gegen eine deutsche Aktiengesellschaft abgewiesen wurde, erstreckt sich nur unter engen Voraussetzungen auf den Vorstandsvorsitzenden dieser Aktiengesellschaft, wenn der Vorstandsvorsitzende ausnahmsweise als privy of interest angesehen werden kann oder die - strengen - Voraussetzungen des abuse of process (Verfahrensmissbrauch) vorliegen.
Normenkette
BGB § 242; EMRK Art. 6 Abs. 1;, III;, V Abs. 1 lit. c;, V Abs. 2 lit. b; ZPO §§ 280, 293, 303, 412, 1061 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 12 O 37/12) |
Tenor
Die Berufungen der Klägerin und des Beklagten zu 2) gegen das am 24.03.2015 verkündete Teil- und Zwischenurteil des Landgerichts Essen werden zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin und der Beklagte zu 2) je zur Hälfte. Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin und dem Beklagten zu 2) wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des jeweiligen Urteils für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin bzw. der Beklagte zu 2) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
A. Die Klägerin ist eine Gesellschaft zypriotischen Rechts aus der Unternehmensgruppe "T", die mittelbar von dem russischen Senator M und seiner Familie kontrolliert wurde. Die russischen Gesellschaften OOO V GK, OOO V EK und OOO V EKO waren 100 %ige Tochtergesellschaften der Klägerin. Bei der OOO S Invest handelte es sich um eine weitere Gesellschaft aus dem T Unternehmensverband, deren Geschäftsanteile zu 99 % von Herrn M gehalten und durch die OOO T Group treuhänderisch verwaltet wurden.
Die Beklagte zu 1) ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in N1. Der Beklagte zu 2) war deren Vorstandsvorsitzender.
Nach der Öffnung der russischen Märkte und einer Teilprivatisierung der E E1 (E1), in der die gesamten Energieversorgungsanlagen staatlich kontrolliert und gebündelt waren und aus der 14 regionale (Territorial Generating Companies, TGKs) sowie 6 überregionale Großerzeugergesellschaften (OGKs) ausgegliedert wurden, beabsichtigte die Beklagte zu 1), auf dem russischen Energiesektor aktiv zu werden. Als Zielgesellschaft wurde das russische Energieversorgungsunternehmen OAO L-0 in Russland in den Blick genommen.
Diese Gesellschaft hat ihren Hauptfirmensitz im russischen W. Sie verfügte über mehrere Energieerzeugungseinrichtungen und versorgte sechs Gebiete in Russland im Bereich Rrussland zwischen A und B.
Für den Erwerb des Aktienpakets an L-0 erfolgte ein Bieterverfahren. Die Gebotsfrist endete am 14.03.2008. Angeboten wurden rd. 372 Mrd. Stammaktien, sog. Secondary Shares. Darüber hinaus verpflichtete sich der Bieter bis zu rd. 440 Mrd. neue Stammaktien, sog. New Shares, zu übernehmen. Nach den Regeln des Bieterverfahrens war die Bildung formaler Bieterkonsortien nicht zulässig.
Im Vorfeld des Bieterverfahrens erwarb die Klägerin am 27.12.2007 jeweils die vollständigen Anteile an den Gesellschaften V EK, V GK und V EKO, die insgesamt Aktien im Umfang von 4,9 % am stimmberechtigten Kapital an L-0 hielten, sowie weitere Stamm- und Vorzugsaktien an L-0.
Am 20.02.2008 fand ein erstes Treffen zwischen der T-Unternehmensgruppe und der Beklagten zu 1) statt, auf dem eine mögliche gemeinsame Investition in L-0 über eine Joint Venture Struktur im Rahmen des Bieterverfahrens besprochen wurde. Geplant wurde eine zukünftige Joint Venture Struktur mit Mehrheitsverhältnissen von 51 % zu 49 % zugunsten der Beklagten zu 1). Es wurde ein Letter of Intent verhandelt, in dem die zukünftige gemeinsame Joint Venture Struktur nach erfolgreichem Erwerb des ausgeschriebenen Aktienpakets, Finanzierungsfragen sowie die wichtigsten Eckpunkte eines noch abzuschließenden Investment and Shareholders Agreements ("ISHA") niedergelegt werden sollten. Die Verhandlungen zwischen der T-Gruppe und der Beklagten z...