Leitsatz (amtlich)
a) Die Kenntnis des Geschädigten von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB a.F. oder von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist ausgeschlossen, wenn und solange der Geschädigte das schädigende Ereignis aufgrund einer psychischen Traumatisierung verdrängt hat und deshalb nicht in der Lage war, rechtliche Schritte ein-zuleiten.
b) Der Geschädigte ist für die Behauptung, er habe das schädigende Ereignis verdrängt und sei deswegen nicht in der Lage gewesen, rechtliche Schritte einzuleiten, darlegungs- und beweispflichtig.
Normenkette
BGB a.F. § 823 Abs. 1, § 852; BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 29.12.2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des LG Osnabrück wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Beklagte war der Nachbar der Großeltern des Klägers. Der am ... 1976 geborene Kläger hat behauptet, er sei in der Zeit von 1985 bis 1990 mehrfach durch den Beklagten sexuell missbraucht worden. Dies habe für ihn bis heute massive psychische Folgen. es liege das Vollbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung vor. Der Kläger hat, soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse, beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld von nicht unter 10.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, die Missbrauchssituationen seien nicht so massiv gewesen und hätten nicht über einen so langen Zeitraum stattgefunden, wie vom Kläger vorgetragen. Ferner hat er die Einrede der Verjährung erhoben.
Demgegenüber hat der Kläger behauptet, er habe das Geschehen bis zu einer Familienfeier am 6.4.2005 vollständig verdrängt und deshalb keine Kenntnis davon gehabt. Bei dieser Feier habe seine jüngere Schwester offenbart, von dem Beklagten missbraucht worden zu sein. Erst dadurch sei bei ihm die Erinnerung an den eigenen Missbrauch wieder zurückgekehrt.
Das LG hat ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob der Kläger die Missbrauchserfahrungen verdrängt hat. Es hat den Beklagten sodann unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 7.500 EUR nebst Zinsen verurteilt. Wegen der Feststellungen und der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er seinen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter verfolgt. Er kritisiert die Beweiswürdigung des LG und macht geltend, dass das Sachverständigengutachten an Mängeln leide. Ferner beanstandet er, dass das LG nicht - wie zunächst vorgesehen - ein aussagepsychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt habe.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. 7.500 EUR gem. § 823 Abs. 1, § 847 BGB in der bis zum 1.1.2002 geltenden Fassung (Art. 229 § 5 EGBGB) gegen den Beklagten zu.
1. Das LG hat die beiden im angefochtenen Urteil konkret festgestellten Fälle sexuellen Missbrauchs des Klägers durch den Beklagten mit zutreffender Begründung als unstreitig angesehen. Dagegen wendet sich die Berufung nicht.
Damit steht fest, dass der Beklagte in der Zeit zwischen dem 29.4. und dem 3.5.1988 auf der Toilette im ersten Stock der von ihm bewohnten Doppelhaushälfte das Glied des damals elfjährigen Klägers in den Mund nahm und Oralverkehr durchführte. Ferner steht fest, dass der Beklagte im Januar 1990 auf der Toilette eines Rohbaus einen nicht näher bestimmbaren Gegenstand in den Anus des Klägers einführte, vor den Kläger trat, sich hinkniete und den Oralverkehr an dem Kläger durchführte und danach den Kläger bestimmte, ihm in den Mund zu urinieren.
2. Der aus diesen Verletzungshandlungen folgende Schmerzensgeldanspruch des Klägers ist, wie das LG mit Recht angenommen hat, nicht verjährt.
Der Beginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung bestimmen sich gem. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB für den Zeitraum vor dem 1.1.2002 nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung. Nach der somit maßgeblichen Vorschrift des § 852 Abs. 1 BGB a.F. verjährte der Schadensersatzanspruch aus einer unerlaubten Handlung in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Sc...