Leitsatz (amtlich)
1. Für die Behandlung eines gegen Mitglieder der Vergabekammer gerichteten Ablehnungsgesuches sind nicht §§ 54 VwGO i. V. m. 41 ff. ZPO analog, sondern stattdessen (unmittelbar) §§ 20 Abs. 4, 21 Abs. 1 und 2, 71 Abs. 1 und Abs. 3 VwVfG M-V anzuwenden.
2. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass die Vergabekammer aufgrund des Ablehnungsgesuches beschlussunfähig wird und eine bestehende behördliche Vertretungskette erschöpft ist (Anschluss an OLG Naumburg, Beschluss vom 31.01.2011, Az.: 2 Verg 1/11, - zitiert nach juris -, Rn. 9 ff.).
Normenkette
VwGO § 54; VwVfG MV § 20 Abs. 4; VwVfG MV § 21 Abs. 1; VwVfG MV § 21 Abs. 2; VwVfG MV § 71 Abs. 1; VwVfG MV § 71 Abs. 3; ZPO §§ 41, 45
Tenor
I. Die Vorlage der 3. Vergabekammer bei dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit Mecklenburg-Vorpommern vom 21.12.2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist ein gegen die Mitglieder der Vergabekammer gerichtetes Ablehnungsgesuch der Antragstellerin.
Die Antragstellerin wendet sich in der Hauptsache mit einem Nachprüfungsantrag gegen die Aufhebung eines Ausschreibungsverfahrens durch die Antragsgegnerin; diese führt dafür wirtschaftliche Gründe an, nachdem das einzig eingegangene Angebot der Antragstellerin die verfügbaren Mittel um mehr aus 129 Prozent übersteige.
In der Verhandlung vor der Vergabekammer hat die Antragstellerin deren Mitglieder wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil ihr eine ausreichende Akteneinsicht nicht gewährt werde und die Vergabekammer ihr entscheidungserheblichen Vortrag der Antragsgegnerin während des Nachprüfungsverfahrens vorenthalte; auch sehe die Vergabekammer keine Veranlassung zu einer Prüfung des Wahrheitsgehaltes des Vorbringens der Antragsgegnerin trotz teilweise ersichtlich unzutreffender Darlegungen.
Die Vergabekammer hat das Ablehnungsgesuch analog § 45 Abs. 3 ZPO dem Vergabesenat vorgelegt, weil sie mangels weiterer hauptamtlicher Entscheider keine ordnungsgemäße Besetzung gewährleisten könne.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, eine Zuständigkeit des Vergabesenats sei nicht gegeben. Eine entsprechende Anwendung von § 54 Abs. 1 VwGO komme nicht in Betracht, weil die Vergabekammer einem Gericht nicht vergleichbar sei; vielmehr seien allein die Vorschriften des VwVfG M-V heranzuziehen.
II. Die Vorlage der Vergabekammer zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ist unzulässig; denn eine Zuständigkeit des Vergabesenates besteht insoweit nicht.
1. Enthalten die speziellen verfahrensrechtlichen Vorschriften für das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer in den §§ 160 ff. GWB weder ausdrücklich noch durch Verweisung eine Regelung über das Ablehnungsverfahren, scheidet für dieses ein Rückgriff auf §§ 54 VwGO i. V. m. 41 ff. ZPO aus; diese Vorschriften betreffen nämlich nur eine Ablehnung von Entscheidungsträgern eines Gerichts, während es sich bei einer Vergabekammer nicht um ein solches handelt.
a. In dem durch Gewaltenteilung geprägten Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland ist die rechtsprechende Gewalt gemäß Art. 92 GG den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, die im GG vorgesehenen Bundesgerichte und die Gerichte der Länder ausgeübt. Zu Recht geht die Antragstellerin davon aus, dass eine Vergabekammer nicht die Funktion eines Gerichts ausübe oder einem Gericht zumindest ähnlich sei. Den Vergabekammern ist zwar die Aufgabe zugewiesen, die Vergabe von Aufträgen zu überprüfen. Bei dieser, dem Individualrechtsschutz dienenden "kontrollierenden" Tätigkeit handelt es sich jedoch nicht um Rechtsprechung, sondern um Verwaltungshandeln. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Gesetzgeber den Vergabekammern als Handlungsinstrument nach § 168 Abs. 3 Satz 1 GWB lediglich den Verwaltungsakt zugebilligt hat, nicht jedoch zum Beispiel den Erlass einer einstweiligen Anordnung, eines Gestaltungs- oder eines Feststellungsurteils. Ebenso wenig hat er die Vergabekammern mit Amtswaltern besetzt, die den formellen Status eines Richters im Sinne von Art. 92, 98 Abs. 1 und 3 GG i. V. m. §§ 8 ff. DRiG innehaben. In § 157 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 GWB ist lediglich vorgesehen, dass es sich bei dem Vorsitzenden der Kammer und dem hauptamtlichen Beisitzer um Beamte handelt, die für eine Amtszeit von fünf Jahren und nicht - wie bei Richtern üblich - auf Lebenszeit als Mitglieder der Vergabekammer bestellt werden; die ihnen in § 157 Abs. 4 Satz 2 GWB zugebilligte "Unabhängigkeit" verändert diesen Status nicht. Der Umstand, dass die Vergabekammer in der Besetzung von einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern "unabhängig und in eigener Verantwortung" entscheidet und mindestens der hauptamtliche Beisitzer Beamter auf Lebenszeit mit der Befähigung zum Richteramt sein muss, macht die Vergabekammer nicht zu einem Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit und ihre Entscheidungen nicht zu Gerichtsentscheidungen. ...