Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerhafte zahnärztliche Behandlung bei Anwendung einer Außenseitermethode
Leitsatz (amtlich)
1. „NICO” (Neuralgia Inducing Cavitational Osteonecrosis) als Krankheitsbild.
2. Zur Beurteilung der Pflichtwidrigkeit zahnärztlichen Vorgehens bei einer „ganzheitlich”, d.h. naturheilkundlich ausgerichteten Behandlungsmethode.
3. Zur notwendigen Befunderhebung vor einer zahnchirurgischen Intervention.
Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Urteil vom 01.08.2002; Aktenzeichen 3 O 163/00) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten sowie die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) vom 1.8.2002 werden zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 1/8 und der Beklagte 7/8 zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn und soweit nicht zuvor die andere Partei Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche auf Rückzahlung ärztlichen Honorars, Schadenersatz, Schmerzensgeld sowie einen Feststellungsantrag aus ihm von seiner Ehefrau (im Folgenden: die Patientin) abgetretenem Recht geltend. Dem liegt Folgendes zugrunde:
Die Patientin befand sich seit längerem, u.a. wegen anhaltender Schmerzen im Gesichts- und Kieferbereich, in zahnärztlicher Behandlung, so von 1994 an bei einem Dr. Sch., von 1997 an bei einem Dr. B., der sie zum Zwecke der Diagnostik an die Kieferchirurgie der Universität H. und an einen Radiologen (Dr. R.) überwies, und außerdem in homöopathischer Behandlung in einer Praxis H. Im Juni 1998 begab sie sich schließlich zur „ganzheitlichen Zahnbehandlung” zu dem Beklagten in Behandlung. Hintergrund dieser Wahl einer alternativen, schon von Dr. B. angewandten Behandlungsform war eine von der Patientin angenommene und vom Kläger zu Beginn des vorliegenden Rechtsstreits auch behauptete Metallallergie. Dem Beklagten schilderte sie, sie leide an Kiefer-, Gesichts- und Gelenkschmerzen, rheumatischen Gelenkschmerzen, Mundtrockenheit, Brennen und einem Metallgeschmack im Mund. Sie übergab dem Beklagten diverse Untersuchungsbefunde, aus denen sich eine Unverträglichkeit hinsichtlich verschiedener Metalle ergab.
Der Beklagte führte bei der Patientin verschiedene „bioenergetische Testungen”, u.a. eine „kinesiologische Testung” durch und ließ durch ein Labor einen sog. LTT-Test durchführen, der eine allergische Reaktion auf Chrom und Titan ergab. Er diagnostizierte daraufhin eine Metallallergie und eine Nekrose („Herd”) im Bereich des hinteren, rechten Kieferknochens mit einer Schädigung des Unterkiefernervs, ein Krankheitsbild, welches – außerhalb der Schulmedizin – mit „NICO” (Neuralgia Inducing Cavitational Osteonecrosis) bezeichnet wird.
Am 27.8.1998 bohrte der Beklagte den Zahn 43 auf und stellte fest, dass dieser avital war. Am 29.9.1998 entfernte er der Patientin sämtliche noch im Unterkiefer vorhandenen Zähne 31, 32, 41, 43 und 44 nebst Abtragung der bukkalen Kieferknochenkompakta und nahm eine „Herdsanierung” vor, d.h., im Leerkieferbereich wurde die Kieferspongiosa (innerer Teil des Knochengewebes) unter dem entfernten Kompaktdeckel ausgelöffelt und ausgefräst bis unterhalb des nervus alveolaris inferior, im Bereich der (früheren) Zähne 47/48 bis an den distalen, knöchernen Unterrand des Zahnes 47. Am 5.11.1998 führte er außerdem eine Revisionsoperation durch, nachdem die Patientin über Schmerzen im Operationsbereich geklagt hatte.
In der nachoperativen Behandlung, die der Beklagte bis Dezember 1998 durchführte, ließ er eine provisorische Unterkieferprothese anfertigen, die er der Patientin einsetzte.
Während der Behandlung zahlte die Patientin an den Beklagten insgesamt 7.000 DM in bar in der Praxis. Rechnungen hat der Beklagte der Patientin bislang i.H.v. 5.290,78 DM gestellt.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe der Patientin unzutreffend erklärt, es sei notwendig, alle Zähne im Unterkiefer zu entfernen, da andernfalls der Patientin eine Metallvergiftung drohe, was die Entstehung einer Alzheimer-Krankheit nach sich ziehe. Ihre Einwilligung in die Operation sei bereits deshalb wegen einer Täuschung unwirksam. Eine Belehrung über die Folgen und Risiken dieser Operation sei nicht erfolgt. Insbesondere sei die Patientin nicht darauf hingewiesen worden, dass durch die Extraktion scharfe Knochengrate entstehen könnten und dass auch eine Neuanfertigung der Oberkieferprothese notwendig werde. Auf alternative Behandlungsmöglichkeiten sei sie nicht hingewiesen worden. Tatsächlich sei auch die Entfernung der Zähne ein nicht vertretbarer Behandlungsfehler gewesen. Die Zähne seien vital gewesen. Ebenso sei die Kieferöffnung unnötig gewesen. Der Beklagte habe es insoweit unterlassen, eine weiter gehende Diagnostik zu beitreiben. Durch die Operation sei es zu einer Reizung d...