Verfahrensgang
LG Kiel (Aktenzeichen 6 O 102/20) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 23.07.2021, 6 O 102/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziff. 1. genannte Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. "Abgasskandal".
Sie erwarb am 29.07.2016 beim Autohaus Simon S1 in Emmering E1 einen Neuwagen mit Tageszulassung der Marke Skoda Fabia 1,4 TDI, einer Erstzulassung 2016, der FIN TMBEJ6NJ9GZ031759 x. und einer Laufleistung von 10 km, zu einem Kaufpreis von 16.990 EUR (vgl. Anlage K 1).
Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288, Abgasnorm Euro 6 ausgerüstet. Dieser Motorentyp verfügt über eine sog. Abgasrückführung (AGR), bei der ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und dort erneut an der Verbrennung teilnimmt. Der Grad der Abgasrückführung bemisst sich insoweit auch in Abhängigkeit von der Außentemperatur, wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außen-/Ladelufttemperaturen die Abgasrückführung reduziert wird bzw. ganz ausgeschaltet wird (sog. Thermofenster). Streitig ist, ob der Motor (auch) über die nachfolgend darzulegende Umschaltlogik verfügt: Bei dem Vorgängermodell EA 189 ist die Motorsteuerung so ausgestaltet, dass die Software erkennt, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Dann wird ein besonderer Modus aktiviert (sog. Umschaltlogik), in dem die Rückführung von Abgasen im Vergleich zu dem normalen Betriebsmodus verändert wird, wodurch die nach der Schadstoffnorm Euro 5 vorgegebenen NOx-Grenzwerte während des Durchfahrens des NEFZ eingehalten werden. Im normalen Fahrbetrieb ist dieser Modus nicht aktiv, so dass es dort zu einem höheren Schadstoffausstoß kommt. Das streitgegenständliche Fahrzeug unterlag keinem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (im Folgenden kurz: KBA).
Mit anwaltlichem Schreiben vom 13.04.2020 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, bis zum 27.04.2020 den Kaufpreis in Höhe von 16.990 EUR, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, zu zahlen (vgl. Anlage K 9). Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz lag die Kilometerlaufleistung des Fahrzeugs bei 103.431 km.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlichen Anträge wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2021 sowie ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die allenfalls denkbaren deliktischen Schadenersatzansprüche ausschieden.
Dass ihr Fahrzeug mit einer dem Motorentyp EA 189 entsprechenden unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik, wonach es in illegaler Weise die gesetzlichen Stickoxid-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand einhielte und daher eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Käufers i.S.d. § 826 BGB in Betracht kommen könnte (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962), ausgestattet sei, habe die Klägerin nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Vielmehr handele es sich um eine Behauptung "ins Blaue hinein", die erkennbar ohne Substanz sei und danach eine Beweisaufnahme nicht rechtfertige, weil sie auf eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung hinausliefe. Von dem Käufer eines Dieselfahrzeugs sei ausweislich der wechselseitig zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Abgasskandal-Fällen bei Daimler-Benz zu verlangen, dass er greifbare Umstände anführe, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf; ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts werde eine Behauptung willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt (BGH, Beschluss vom 28.01.2020 - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 7, 8, 10). In Abgrenzung zu diesen gewährleistungsrechtlichen Vorgaben zur Benennung des Symptoms für einen Mangel sei hier im Rahmen der vorsätzlichen unerlaubten Schädigung zu verlangen, dass für das vom Anspruchssteller zu beweisende Vertretenmüssen im konkreten Einzelfall allein der Vortrag eines (denkbaren) Mangels ohne im konkret vorliegenden Fall eine Unterfütterung mit zu erwartenden Reaktionen der Behörden, hier etwa dem KBA, nicht ausreicht, um eine hinreichende Substantiierung ohne Annahme einer Behauptu...