Corona-Mietminderung: Auf den Einzelfall kommt es an
Im Frühjahr und im Herbst 2020 mussten im Zuge der Corona-bedingten Lockdowns viele Geschäfte staatlich angeordnet schließen. Das war mit zum Teil erheblichen Umsatzeinbußen verbunden. Doch berechtigt dieser Umstand einen Gewerbemieter oder Pächter dazu, weniger Miete zu zahlen? Und wenn ja: wie viel weniger? Die Gerichte unterer Instanzen haben in zahlreichen Entscheidungen sehr unterschiedliche Auffassungen hierzu vertreten. Nun hat der BGH mit einem lange erwarteten Urteil Klarheit geschaffen.
Kein Mangel, aber Störung der Geschäftsgrundlage
Eine aufgrund der Corona-Pandemie angeordnete vorübergehende Schließung stellt keinen Mangel der gemieteten Räumlichkeiten im Sinne von 536 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, so der BGH in seiner Entscheidung. Eine „klassische“ Mietminderung kommt daher nicht in Betracht.
Allerdings kann dem von der Corona-bedingten Schließung betroffenen Mieter grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen.
Ob ein solcher Anspruch auf Anpassung der Miete tatsächlich besteht und um wie viel die Miete zu reduzieren ist, ist in jedem konkreten Einzelfall anhand der jeweiligen Umstände zu beurteilen. Einer pauschalen Lösung, etwa im Sinne einer „50:50“-Teilung zwischen Vermieter und Mieter, erteilt der BGH eine Absage.
Maßgebliche Punkte bei der Prüfung, ob und wie viel die Miete zu reduzieren ist, sind:
- Nachteile, die dem Mieter durch die Schließung entstanden sind (bezogen auf das konkrete Mietobjekt, nicht den Konzernumsatz)
- Tatsächlich ergriffene oder mögliche Maßnahmen des Mieters, um die drohenden Verluste zu vermeiden
- Staatliche Leistungen zum Ausgleich pandemiebedingter Nachteile (Darlehen bleiben unberücksichtigt)
- Leistungen der Betriebsversicherung
Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich.
Zudem sind bei der Abwägung auch die Interessen des Vermieters zu berücksichtigen.
BGH gegen pauschale 50:50-Lösung bei Gewerbemiete im Lockdown
In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um eine Filiale des Textil-Discounters Kik, die Mitte März bis Mitte April 2020 schließen musste. Der Vermieter will für diese Zeit die volle Miete von rund 7.850 Euro. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hatte entschieden, dass Kik nur ungefähr die Hälfte zahlen muss. Es gehe hier nicht um ein „normales“ Risiko, „sondern um weitgehende staatliche Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben aufgrund einer Pandemie“. Das Risiko einer solchen Systemkrise könne nicht einer Vertragspartei allein zugewiesen werden. Diese 50:50-Lösung war den BGH-Richtern zu pauschal. Das OLG Dresden muss den Fall anhand der Vorgaben des BGH nun erneut prüfen.
(BGH, Urteil v. 12.1.2022, XII ZR 8/21)
Gerichte der unteren Instanzen sind geteilter Meinung
Bevor der BGH mit seinem Urteil Klarheit geschaffen hat, haben zahlreiche Gerichte unterer Instanzen in diversen Urteilen stark unterschiedliche Auffassungen vertreten.
Eine Übersicht der bisherigen richterlichen Positionen aus den unteren Instanzen:
Mehrere Gerichte: Kein Mietmangel, keine Störung der Geschäftsgrundlage
In der staatlich verordneten Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts wegen der Covid-19-Pandemie liegt kein Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 S. 1 BGB, entschied das Landgericht Frankfurt am Main (Urteil v. 5.10.2020, Az. 2-15 O 23/20). Eine Mietminderung sei nicht gerechtfertigt.
Das Gericht verneinte auch eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB mit der Begründung, dass die Schließung für den Mieter, in diesem Fall einen großen Filialisten, nicht existenzbedrohend war. Ein vorübergehender finanzieller Engpass reichte dem Gericht nicht aus. Das Festhalten am unveränderten (nicht angepassten) Vertrag sei auch nicht unzumutbar. Die Mieterin hat keinen Anspruch auf eine Anpassung des Vertrags beziehungsweise der Miete.
Ähnlich entschieden die Landgerichte in Heidelberg (Urteil v. 30.7.2020, Az. 5 O 66/20) und Zweibrücken (Urteil v. 11.9.2020, Az. HK O 17/20): Eine Mietminderung "wegen Corona" kommt nicht in Betracht. Die Beschränkungen und ausbleibenden Umsätze wegen behördlicher Schließungsanordnungen seien kein Mietmangel im Sinne des § 536 BGB an. Sie schlossen sich dieser BGH-Argumentation (Urteil v. 16.2.2000; Az. XII ZR 297/97) an: Solange die gemietete oder gepachtete Fläche grundsätzlich weiter uneingeschränkt genutzt werden kann, liegt kein Mietmangel vor.
Auch das LG Stuttgart (Urteil v. 19.11.2020, Az. 11 O 215/20) verneinte einen Mangel und sah auch keinen Raum für eine Vertragsanpassung unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage, wenn die Schließung nicht zu existentiell bedeutsamen Folgen beim Mieter geführt hat. Ebenso urteilte das LG Wiesbaden (Urteil v. 5.10.2020, Az. 9 O 852/20).
Ebenfalls verneinte das LG München II (Urteil v. 22.9.2020, Az. 13 O 1657/20 und Urteil v. 6.10.2020, Az. 13 O 2044/20) einen Mangel. Auch eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB komme nicht in Betracht; allein schon deshalb, weil das für den Zeitraum geltende Mietenmoratorium eine vorrangige Sonderregelung darstelle. Im Berufungsverfahren im letzteren Fall vertrat das OLG München genauso wie das Landgericht die Auffassung, dass kein Mangel vorliege; in Fällen Conona-bedingter Schließungen sei grundsätzlich eine Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB möglich, im konkreten Fall allerdings nicht (OLG München, Beschluss v. 17.2.2021, Az. 32 U 6358/20).
LG Lüneburg: Keine Mietminderung, keine einseitige Verlagerung des Nutzungsrisikos auf den Vermieter
Die Pandemie-bedingte Betriebsschließung begründet keinen zum Einbehalt des Mietzinses berechtigenden Mangel der Mietsache, weil die öffentlich-rechtliche Anordnung ihren Grund nicht in einer konkreten Beschaffenheit der Mieträume oder in betrieblichen Umständen der Mieterin habe, sondern zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung erfolgt sei – dieser Auffassung ist das LG Lüneburg (Urteil v. 17.11.2020, Az. 5 O 158/20).
Das Ladenlokal war für die Mieterin zudem grundsätzlich weiter nutzbar, nur der Kundenzugang wurde untersagt. Die Mieterin habe das Geschäftshaus auch als Warenlager für den Online-Handel und die Schaufenster als Werbefläche genutzt, so das Gericht. Ein Einbehalt des Mietzinses sei auch nicht etwa wegen einer schwerwiegenden Veränderung der Umstände gerechtfertigt. Eine einseitige Verlagerung des Nutzungsrisikos zu Lasten der Vermieterin sei auch nicht angezeigt.
LG München I: Corona-bedingte Ladenschließung berechtigt zur Mietminderung
Das LG München I wiederum erkennt in der behördlich angeordneten Schließung eines Einzelhandelsgeschäft zur Covid-19-Bekämpfung und der Beschränkung der Mietsache einen Mietmangel im Sinne des BGB. (LG München I, Endurteil v. 22.9.2020, Az. 3 O 4495/20)
Die Richter kamen unter Berufung unter anderem auf ein Urteil des Reichsgerichts (Entscheidung v. 9.11.1915, Rep. III.145/15) zu dem Ergebnis, dass ein Mietmangel als "Unbrauchbarkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch" auch auf behördlichen Verfügungen beruhen kann.
Die Kammer hält eine Mietminderung um bis zu 80 Prozent für angemessen. Der Mieter wollte 100 Prozent Mietminderung für den Zeitraum April bis Juni 2020. Das Gericht war aber der Ansicht, dass der Betreiber eines Möbelgeschäfts nicht jeden Monat gleich stark durch die Ladenschließung beeinträchtigt war und "staffelte" die Minderung. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt.
Weiteres Urteil aus München: Vertragsanpassung unabhängig von drohender Insolvenz
In Fall vor einer anderen Kammer des LG München I (Endurteil v. 5.10.2020, Az. 34 O 6013/20) wurde die vollständige Schließung durch die Allgemeinverfügung als unzumutbare Beeinträchtigung des Geschäftsbetriebs bewertet. Das Gericht will auch nicht danach unterscheiden, ob einem mietenden Unternehmen infolge der Schließung die Insolvenz droht oder nicht.
Die Mieterin nutzte die gemieteten Räume als Galerie für künstlerische Fotografien. Die Räumlichkeiten waren aufgrund einer Allgemeinverfügung der zuständigen Ministerien im Zuge der Pandemie geschlossen worden. Diese vollständige Schließung führte nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall "schon zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Geschäftsbetriebs". Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 313 Abs. 1 BGB lägen vor.
Das Gericht hat die Vertragsanpassung so vorgenommen, dass die Miete für eineinhalb Monate um die Hälfte reduziert werden musste.
LG Mönchengladbach: Kein Mangel, aber Störung der Geschäftsgrundlage
Das LG Mönchengladbach (Urteil v. 2.11.2020, Az. 12 O 154/20) sieht in einer verordneten Schließung keinen Mangel, bejaht aber einen Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage – wie auch das OLG Dresden (Urteil v. 24.2.2021, 5 U 1782/20) in dem Fall, der jetzt im Revisionsverfahren vor dem BGH anhängig ist.
Lockdown-Mietminderung: Das will der Gesetzgeber
Am 17.12.2020 hat der Bundestag eine Gesetzesänderung beschlossen, wonach für Gewerbemiet- und Pachtverhältnisse, die von staatlichen Covid-19 Maßnahmen betroffen sind, gesetzlich vermutet werden soll, dass erhebliche (Nutzungs-)Beschränkungen in Folge der Pandemie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können. Verhandlungen zwischen Gewerbemietern / Pächtern und Eigentümern sollte damit vereinfacht werden. Ein Automatismus, dass eine Reduzierung der Miete oder eine sonstige Vertragsanpassung vom Mieter verlangt werden kann, ist mit der Neuregelung allerdings nicht verbunden.
Das bedeutet konkret, dass gewerbliche Mieter grundsätzlich eine Anpassung des Mietvertrags verlangen können, wenn der Laden Corona-bedingt geschlossen werden muss oder nur mit starken Einschränkungen öffnen darf, es heißt aber nicht, dass der Mieter automatisch Anspruch darauf hat, dass ihm ein Teil der Miete erlassen wird. Der Vermieter kann die fällige Miete auch stunden, muss aber nicht auf das Geld verzichten.
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