Entscheidungsstichwort (Thema)
Jahressonderzahlung bei Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Fortführung der Rechtsprechung gemäß dem Urteil vom 5. August 1992 – 10 AZR 88/90 – DB 1992, 2348
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 19.09.1991; Aktenzeichen 10 Sa 406/91) |
ArbG Köln (Urteil vom 07.03.1991; Aktenzeichen 13 Ca 213/91) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. September 1991 – 10 Sa 406/91 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß Zinsen nur auf den Nettobetrag zu zahlen sind.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine einmalige betriebliche Leistung für das Jahr 1990.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Einheitliche Manteltarifvertrag für die Brauereien im Lande Nordrhein-Westfalen (EMTV) vom 8. Oktober 1990 aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung. § 16 EMTV enthält folgende Regelung:
„§ 16 Einmalige betriebliche Leistungen
1. Jeder Arbeitnehmer, der am 01.12. des jeweiligen Kalenderjahres in einem Arbeitsverhältnis steht und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb 11 Monate angehört, hat Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung in Höhe eines Monatsentgelts.
4. Keinen Anspruch haben Arbeitnehmer, die am 01.12. ausgeschieden sind oder zu diesem Zeitpunkt in einem gekündigten Arbeitsverhältnis stehen. Für die Frage, inwieweit von dem Arbeitnehmer zu vertretende Fehlzeiten zu berücksichtigen sind, ferner für Rückzahlungsvorbehalte gelten die vom Bundesarbeitsgericht zur Weihnachtsgratifikation entwickelten Grundsätze.
5. Im Eintrittsjahr hat der Arbeitnehmer, der am Auszahlungstag 6 Monate in einem Arbeitsverhältnis steht, für jeden Kalendermonat, in dem er dem Betrieb angehört hat, Anspruch auf ein Zwölftel der jährlichen Sonderzahlung. Im übrigen gilt Ziff. 4 entsprechend.
6. …
7. Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf eine anteilige Sonderzahlung, die sich nach dem Verhältnis ihrer normalen vertraglichen Arbeitszeit zur regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit bemißt.
8. Anspruchsberechtigte, deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr ruht, erhalten keine Leistungen. Ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.”
Der Kläger war seit dem 24. September 1989 und während des ganzen Jahres 1990 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte lehnte deshalb die Zahlung der betrieblichen Leistung für das Jahr 1990 ab.
Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe die betriebliche Leistung für das Jahr 1990 zu, da er die tariflichen Voraussetzungen erfüllt habe. Maßgebend sei allein die mehr als 11-monatige Betriebszugehörigkeit am 1. Dezember 1990. Auf eine tatsächliche Arbeitsleistung komme es nicht an.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.383,– DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Januar 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, mit der tariflichen Leistung solle auch die im Bezugszeitraum geleistete Arbeit abgegolten werden. Deshalb stehe dem Kläger ein Anspruch für das Jahr 1990 nicht zu, da er während des gesamten Bezugs Zeitraums arbeitsunfähig krank gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die einmalige betriebliche Leistung nach § 16 EMTV für das Jahr 1990 zu.
I. Zutreffend nimmt das Landesarbeitsgericht an, der Kläger erfülle die tariflichen Voraussetzungen für den Anspruch auf die einmalige betriebliche Leistung nach § 16 EMTV. Aus den tariflichen Bestimmungen ergebe sich nicht, daß eine tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum erforderlich sei. Dem ist zuzustimmen.
1. Der Kläger erfüllt die tariflichen Voraussetzungen für den Anspruch auf die einmalige betriebliche Leistung, da er am 1. Dezember 1990 dem Betrieb länger als 11 Monate angehörte (§ 16 Ziffer 1 EMTV) und das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt nicht gekündigt war (§ 16 Ziffer 4 EMTV).
2. Das Arbeitsverhältnis hat im Jahre 1990 auch nicht geruht (§ 16 Ziffer 8 EMTV). Das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist und seine arbeitsvertraglichen Pflichten während eines längeren Zeitraums nicht erfüllen kann, ruht nicht. Von einem ruhenden Arbeitsverhältnis kann zwar bereits dann gesprochen werden, wenn nur die wechselseitigen Hauptpflichten (Arbeitsleistung und Vergütung) suspendiert sind und somit der jeweilige Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistungen nicht verlangen und durchsetzen kann, während die Nebenpflichten weiterbestehen. Bei der durch Krankheit bedingten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers liegt jedoch keine durchgehende wechselseitige Suspendierung der Hauptpflichten eines Arbeitsverhältnisses vor. Vielmehr handelt es sich um eine Leistungsstörung, die zugunsten des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers gesetzlich gelöst worden ist (vgl. Urteil vom 7. September 1989 – 6 AZR 637/88 – AP Nr. 129 zu § 611 BGB Gratifikation).
3. Weder aus dem Tarifwortlaut noch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, die bei der Tarifauslegung maßgebend zu berücksichtigen sind (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), läßt sich entnehmen, daß über die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen hinaus ein Mindestmaß an tatsächlicher Arbeitsleistung im Bezugszeitraum tariflich gefordert wird.
a) Zwar hat die betriebliche Leistung nach § 16 EMTV sog. Mischcharakter, da einerseits mit dem Erfordernis des Bestehens des Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember eines Jahres eine Betriebstreue im Bezugszeitraum bis zu diesem Zeitpunkt gefordert wird und andererseits mit dem Erfordernis einer mindestens 11-monatigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit die während dieses Zeitraums im Regelfall erbrachte Arbeitsleistung honoriert werden soll. Jedoch haben die Tarifvertragsparteien nicht bestimmt, daß ein Mindestmaß an tatsächlicher Arbeitsleistung in jedem Falle Voraussetzung für den Anspruch auf die betriebliche Leistung ist.
b) Die Rechtsprechung des Fünften und Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteile vom 29. August 1979 – 5 AZR 763/78 – AP Nr. 102 zu § 611 BGB Gratifikation und – 5 AZR 511/79 – AP Nr. 104 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 7. September 1989 – 6 AZR 637/88 – AP Nr. 129 zu § 611 BGB Gratifikation) – von der auch das Landesarbeitsgericht ausgeht –, wonach im Zweifel bei einer Sonderzahlung mit Mischcharakter im Bezugszeitraum eine nicht unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung als ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung zu fordern sei, hat der Senat mit Urteil vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90 – DB 1992, 2348 = BB 1992, 2218, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) aufgegeben. Dies beruht darauf, daß zwar mit einer Sonderzahlung mit Mischcharakter die für den Betrieb erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergütet werden soll, diese Arbeitsleistung aber in der Regel nur abstrakt nach der Dauer des Bestandes des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum bestimmt wird. Die Dauer des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum entspricht aber regelmäßig nicht den Umfang der während dieser Zeit für den Betrieb tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung. Diese kann wegen einer Vielzahl von Umständen, wie z.B. in Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, des Urlaubs, der persönlichen Arbeitsverhinderung aus sonstigen Gründen, einer vereinbarten Freistellung von der Arbeit, während der Mutterschutzfristen, während des Erziehungsurlaubs, während der Einberufung zum Wehrdienst, durch ehrenamtliche Tätigkeiten o.ä. erheblich gemindert sein. Dies ist den Tarifvertragsparteien bekannt. Es bleibt ihnen deshalb überlassen, welche dieser Zeiten sie anspruchsausschließend oder anspruchsmindernd berücksichtigen wollen. Fehlt es an einer solchen Regelung, so kann eine tatsächliche Arbeitsleistung von nicht unerheblichem Umfang bei einer Sonderzahlung mit Mischcharakter als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung über die ausdrücklich normierten Anspruchsvoraussetzungen hinaus nicht gefordert werden. Auch ist die Annahme eines allgemeinen Rechtsprinzips, wonach eine Sonderzahlung stets nach dem Maß der jährlichen Arbeitsleistung zu quoteln sei, nicht gerechtfertigt (vgl. BAG Urteil vom 5. August 1992 – 10 AZR 88/90 – a.a.O.).
4. Zutreffend führt das Landesarbeitsgericht im übrigen aus, daß die Tarifvertragsparteien vorliegend die Frage des Einflusses von Fehlzeiten des Arbeitnehmers bei der Gewährung der betrieblichen Leistung durchaus berücksichtigt haben, indem sie in § 16 Ziffer 4 Satz 2 EMTV insoweit auf die vom Bundesarbeitsgericht zur Weihnachtsgratifikation entwickelten Grundsätze verweisen. Dabei kann dahinstehen, ob diese Verweisung hinreichend bestimmt ist, um daraus Rechtsfolgen abzuleiten. Die Verweisung gilt nämlich ausdrücklich nur für die vom Arbeitnehmer zu vertretenden Fehlzeiten. An einer krankheitsbedingten Fehlzeit trifft den Arbeitnehmer jedoch kein Verschulden (§ 276 BGB). Daraus folgert das Landesarbeitsgericht zu Recht, daß die Tarifvertragsparteien für krankheitsbedingte Fehlzeiten keine Einschränkung des Anspruchs auf die betriebliche Leistung vorgesehen haben.
5. Demgegenüber greifen die Einwendungen der Beklagten nicht durch. Die Beklagte meint, daß auch nach der Rechtsprechung des Senats eine Gratifikation mit Mischcharakter der Honorierung geleisteter Arbeit diene und demgemäß im Bezugszeitraum zumindest überhaupt eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht sein müsse. Damit unterscheidet die Beklagte jedoch nicht hinreichend deutlich die Zweckbestimmung einer Gratifikation mit Mischcharakter im Regelfalle von den jeweils in den tariflichen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Anspruchsvoraussetzungen.
Zwar trifft es zu, daß aus tariflichen Bestimmungen, nach denen der Anspruch auf die Gratifikation erst nach einer bestimmten Dauer des Arbeitsverhältnisses entsteht, die Gratifikation im Eintritts- oder Austrittsjahr nur anteilig zu zahlen ist und Teilzeitkräfte eine ihrer geringeren Arbeitszeit entsprechende Gratifikation erhalten, folgt, daß die für den Betrieb im Bezugszeitraum geleistete Arbeit zusätzlich anerkannt und vergütet werden soll. Diese Zweckbestimmung wird im Regelfalle auch erfüllt. Deshalb obliegt es den Tarifvertragsparteien, wenn sie die zu honorierende tatsächliche Arbeitsleistung nicht selbst zur Anspruchsvoraussetzung machen, sondern diese an der Dauer des Arbeitsverhältnisses messen, die Fälle zu regeln, in denen jeweils eine fehlende tatsächliche Arbeitsleistung sich auf den Gratifikation auswirken soll. Fehlt es an einer solchen Regelung oder werden krankheitsbedingte Fehlzeiten von ihr, wie vorliegend, nicht erfaßt, bleibt der Anspruch auf die Gratifikation bestehen (vgl. BAG Urteil vom 10. Februar 1993 – 10 AZR 207/91 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
6. Der Zinsanspruch, der aus §§ 288, 291 BGB folgt, war auf Zinsen aus dem Nettobetrag zu beschränken (BAGE 42, 244 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II).
II. Die Beklagte trägt die Kosten der Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Dr. Meyer, Großmann
Fundstellen