Orientierungssatz
(Allgemeiner Feststellungsantrag und § 4 KSchG)
Zum Umfang der Rechtskraft bei Feststellung des Fortbestehens eines Arbeitsverhältnisses nach Zugang einer erneuten Kündigung; vorläufige Weiterbeschäftigung und erstmals stattgegebene Revisionsentscheidung.
Normenkette
KSchG § 4; ZPO §§ 256, 322 Abs. 1, § 554 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30. November 1984 aufgelöst worden ist, obwohl das Arbeitsgericht in dem vorangegangenen Rechtsstreit der Parteien durch sein Urteil vom 24. Januar 1985 - 2 c Ca 1398/84 - festgestellt hat, "daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung vom 12. November 1984 - zugegangen am 12. November 1984 - nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht", und die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 16. Januar 1986 - 4 (5) Sa 86/85 - rechtskräftig zurückgewiesen worden ist. Des weiteren nimmt der Kläger die Beklagte im vorliegenden Verfahren auf seine vorläufige Weiterbeschäftigung in Anspruch.
Der 1928 geborene Kläger ist seit 1. März 1952 im öffentlichen Dienst tätig. Er wurde bei der Beklagten gemäß dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 4. Januar 1965 mit Wirkung vom 1. März 1965 als Leiter der als Eigenbetrieb geführten Stadtwerke der Beklagten eingestellt. Sein Arbeitsverhältnis unterliegt gemäß dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien den Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT). Die Vergütung richtete sich zuletzt nach der VergGr. I b BAT.
Die Beklagte hat dem Kläger aufgrund eines Beschlusses ihres Magistrats vom Sonntag, dem 11. November 1984, mit Schreiben vom 12. November 1984, dem Kläger noch am selben Tag zugegangen, fristlos gekündigt. Am 20. November 1984 hat der Kläger gegen die Beklagte beim Arbeitsgericht Elmshorn Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung vom 12. November 1984 - zugegangen am 12. November 1984 - nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht (2 c Ca 1398/84).
Am 29. November 1984 hat sich die Stadtvertretung der Beklagten mit der Personalangelegenheit des Klägers befaßt. Das Protokoll hierüber lautet auszugsweise:
"Zu 14. Personalangelegenheiten
hier: Genehmigung einer Eilentscheidung
----- des Bürgermeisters gemäß § 70 GO
Herr Bürgermeister Dr. B begründet eingehend
- u.a. anhand des allen Mitgliedern der Stadtvertretung
vorliegenden Schreibens an die Rechtsanwältin
Frau E J, I, vom 15.11.1984 -
die von ihm getroffene Eilentscheidung.
An der sich hieran anschließenden Diskussion
beteiligten sich Herr T, Herr N, Herr A,
Herr Bl, Frau S, Herr W, Frau R und Herr Ti.
Beschluß:
---------
Die vom Bürgermeister nach vorherigem einstimmigem
Beschluß des Magistrats gemäß § 70 Abs. 2 GO zur
Fristwahrung angeordnete und durchgeführte, nicht
bis zur Einholung einer Entscheidung der Stadtvertretung
aufschiebbare dringende Maßnahme "Fristlose
Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Werkleiter
der Stadtwerke, Herrn G G", wird von der
Stadtvertretung genehmigt."
Unter dem 30. November 1984 schrieb die Beklagte dem Kläger:
"30. November 1984
Sehr geehrter Herr G]
Die Stadtvertretung der Stadt G hat in
ihrer gestrigen Sitzung der fristlosen Kündigung
Ihres Arbeitsverhältnisses vom 12. November 1984
zugestimmt.
Die Stadtvertretung hat damit auch ihrerseits
gemäß § 11 der Betriebssatzung Ihre fristlose
Entlassung beschlossen.
Unter Bezugnahme auf die fristlose Kündigung vom
12. November 1984 kündigen wir hiermit das mit
Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis nochmals mit
sofortiger Wirkung gemäß § 54 in Verbindung mit
§ 55 Abs. 1 BAT.
Hochachtungsvoll
gez. Unterschrift
(Dr. B)"
Dieses Schreiben ist dem Kläger noch am 30. November 1984 zugegangen.
Durch sein Urteil vom 24. Januar 1985 hat das Arbeitsgericht auf die Feststellungsklage des Klägers vom 20. November 1984 hin festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung vom 12. November 1984 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht. Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht durch sein Urteil vom 16. Januar 1986 - 4 (5) Sa 86/85 - zurückgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig geworden.
Während jenes Berufungsverfahren schwebte, hat der Kläger beim Arbeitsgericht Elmshorn eine weitere Klage gegen die Beklagte eingereicht (2 a Ca 720/85). Neben dem nicht weiterverfolgten Antrag auf Zahlung von Gehalt nebst Zulagen hat der Kläger in diesem Verfahren die Verurteilung der Beklagten zu seiner vorläufigen Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen als Werkleiter der Stadtwerke G begehrt. Die Beklagte ist dem Begehren des Klägers mit ihrem am 21. März 1985 eingegangenen Schriftsatz vom 15. März 1985, der Rechtsanwältin J als damaliger Prozeßbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 25. März 1985, u.a. mit dem Hinweis entgegengetreten, sie habe dem Kläger am 30. November 1984 nochmals fristlos gekündigt. Eine in diesem Verfahren hierauf gestützte Zwischenfeststellungswiderklage mit dem Ziel festzustellen, daß zwischen den Parteien spätestens seit dem 30. November 1984 ein Arbeitsverhältnis nicht mehr besteht (Bl. 31 BeiA 2 Ca 720/85), hat die Beklagte fallengelassen. Das Arbeitsgericht hat die nur noch auf vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers gerichtete Klage durch sein Urteil vom 22. August 1985 abgewiesen; auf das Urteil wird Bezug genommen. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil hat das Landesarbeitsgericht mit den nämlichen Richtern zeitgleich mit der Berufung der Beklagten im vorangegangenen Feststellungsverfahren verhandelt und entschieden. Durch sein Urteil vom 16. Januar 1986 - 4 (5) Sa 525/85 - hat es die Berufung des Klägers im Weiterbeschäftigungsstreit im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, es bestehe ein überwiegendes Interesse der Beklagten daran, den Kläger vorläufig nicht weiterzubeschäftigen, weil die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 30. November 1984 erneut gekündigt habe und über diese Kündigung noch ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 2 c Ca 837/85 schwebe. Wegen der Einzelheiten wird auf das Berufungsurteil Bezug genommen. Die vom Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Berufungsurteil erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesarbeitsgericht durch Beschluß vom 9. April 1986 verworfen.
Mit seinem eigenhändigen Schriftsatz vom 3. April 1985 hat der Kläger am 4. April 1985 beim Arbeitsgericht Elmshorn erneut gegen die Beklagte Klage erhoben (2 c Ca 837/85). Diese Klage ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger am 4. Juli 1985 beantragt festzustellen, daß sein "Arbeitsverhältnis mit der Beklagten durch die Kündigung vom 30. November 1984 nicht aufgelöst worden" ist, ferner, die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.
Der Antrag des Klägers auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist vom Arbeitsgericht durch seinen Beschluß vom 4. Juli 1985 zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im wesentlichen darauf verwiesen, daß die Beklagte in der Verhandlung über die erste Kündigung vom 11. (richtig: 12.) November 1984 am 24. Januar 1985 vor der erkennenden Kammer im Verfahren 2 c Ca 1398/84 in Gegenwart des Klägers erklärt habe, dem Kläger sei am 30. November 1984 diese zweite fristlose Kündigung in den Hausbriefkasten gesteckt worden. Die behauptete Unkenntnis des Klägers über den Zugang dieser weiteren Kündigung sei am 24. Januar 1985 in der mündlichen Verhandlung behoben gewesen. Die Zwei-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 KSchG sei bei Eingang des Antrags auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage am 4. April 1985 längst verstrichen gewesen. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen diesen Beschluß ist vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein durch seinen Beschluß vom 23. September 1985 - 5 Ta 163/85 - mit im wesentlichen derselben Begründung zurückgewiesen worden.
In der Sache selbst hat der Kläger behauptet und geltend gemacht: Das Schreiben der Beklagten vom 30. November 1984 habe er erstmals am 26. März 1985 zu Gesicht bekommen. Es stelle keine erneute Kündigung dar, sondern lediglich eine rechtlich unbeachtliche Wiederholung der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 12. November 1984. Sollte es sich um eine neue Kündigung handeln, so verstoße sie gegen die guten Sitten und gegen Treu und Glauben, weil der Kläger als Arbeitnehmer so ständig neu Kündigungsschutzklage erheben müsse. Die Kündigung sei auch unwirksam, weil der Beschluß der Stadtvertretung vom 29. November 1984 die erneute Kündigung nicht decke und weil der Personalrat der Stadtwerke zu Unrecht nicht beteiligt worden sei. Der Kündigung fehle es zudem am wichtigen Grund. Sie sei auch ohne Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden; diesen Gesichtspunkt könne er, der Kläger, auch ohne Einhaltung der dreiwöchigen Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage geltend machen. Überdies stehe der Bestand des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien aufgrund des Feststellungsurteils des Landesarbeitsgerichts vom 16. Januar 1986 rechtskräftig fest.
Mit seinem Schriftsatz vom 22. Juli 1986 hat der Kläger seine Klage dahingehend erweitert, daß er nunmehr von der Beklagten auch seine vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des vorliegenden Rechtsstreits begehrt. Zur Begründung hat er sich insoweit auf den Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 (GS 1/84) berufen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. festzustellen, daß die Kündigung vom
30.11.1984 unwirksam ist und das
Arbeitsverhältnis über den 30.11.1984
hinaus fortbesteht,
2. den Kläger zu den bisherigen Bedingungen
weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die KLage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, das vorangegangene Feststellungsurteil habe sich lediglich mit der Wirksamkeit der Kündigung vom 12. November 1984 befaßt, nicht aber mit dem Bestand des Arbeitsverhältnisses insgesamt. Die Kündigung vom 30. November 1984 sei rechtswirksam. Auf den Beschluß der Stadtvertretung komme es nicht an; er habe nur Bedeutung für die interne Vertretung und decke überdies die erneute Kündigung vom 30. November 1984. Die Personalvertretung habe nicht beteiligt werden müssen. Der Kläger könne sich auch nicht mehr darauf berufen, daß es für die erneute fristlose Kündigung an einem wichtigen Grund fehle oder daß die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten sei, weil er die dreiwöchige Frist zur Klageerhebung versäumt habe und ihm die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nicht gewährt worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der im Berufungsurteil zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Im Revisionsrechtszug ist die vormalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers auf seiten des Klägers als Nebenintervenientin durch Einreichung einer Revisionsbegründungsschrift innerhalb der Revisionsbegründungsfrist beigetreten. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insgesamt zulässig, aber nur teilweise begründet. Gegen die Zulässigkeit der Nebenintervention bestehen keine Bedenken.
Begründet ist die Revision, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, daß die Kündigung der Beklagten vom 30. November 1984 unwirksam ist. Die Formulierung des Tenors dient nur der Klarstellung.
Unbegründet ist die Revision dagegen, soweit der Kläger darüber hinaus die Feststellung begehrt, daß sein Arbeitsverhältnis über den 30. November 1984 hinaus fortbesteht.
Ebenso ist die Revision nicht begründet, soweit der Kläger die Verurteilung der Beklagten zu seiner Weiterbeschäftigung als Leiter der Stadtwerke zu den bisherigen Bedingungen begehrt.
I. Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, daß die außerordentliche Kündigung der Beklagten mit deren Schreiben vom 30. November 1984 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, ist die Klage zulässig und - entgegen der Auffassung im angefochtenen Urteil - auch begründet.
1. Für diesen Antrag ist das notwendige Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO gegeben. Diesen rechtlichen Gesichtspunkt haben die Vorinstanzen ungeprüft gelassen. Aufgrund der insoweit unbestrittenen Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts (vgl. § 561 ZPO) ist das Revisionsgericht indessen selbst in der Lage, die fehlende Prüfung nachzuholen.
Mit dem Antrag begehrt der Kläger nicht nur im Sinne der punktuellen Streitgegenstandstheorie die Feststellung, daß die Kündigung vom 30. November 1984 aus sich heraus, also mangels der für sie notwendigen Voraussetzungen, unwirksam ist, sondern er begehrt vorrangig die Feststellung, daß die Kündigung deswegen nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien geführt hat, weil das Landesarbeitsgericht im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 16. Januar 1986 im vorangegangenen Feststellungsstreit der Parteien durch sein Urteil vom selben Tag - 4 (5) Sa 86/85 - nicht nur die Unwirksamkeit der vorangegangenen Kündigung vom 12. November 1984 festgestellt hat, sondern darüber hinaus auch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Dagegen berühmt sich die Beklagte im vorliegenden Verfahren, wie bereits im vorangegangenen Rechtsstreit um die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers, der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. November 1984 durch die an diesem Tag erklärte fristlose Kündigung. Die Parteien streiten damit über den Umfang der Rechtskraft der Entscheidung im vorangegangenen Feststellungsverfahren. Für eine solche Auseinandersetzung liegt jedoch ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO vor, ohne daß der jetzigen Klage die Rechtskraft der Entscheidung im vorangegangenen Feststellungsverfahren als Prozeßhindernis entgegensteht (vgl. zum Feststellungsinteresse bei Streit über die Grenzen der Rechtskraft: Schumann/Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl., Bd. I, § 256 Anm. II 2 m.w.N. sowie Bd. II, § 322 Anm. IX 1 c).
2. Die Kündigung vom 30. November 1984 konnte zwischen den Parteien bereits deswegen keine Wirkungen im Sinne der Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien (mehr) entfalten, weil zwischen den Parteien aufgrund der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im vorangegangenen Feststellungsverfahren nicht nur i.S. von § 322 Abs. 1 ZPO rechtskräftig feststeht, daß die vorangegangene Kündigung vom 12. November 1984 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat, sondern - darüber hinausgehend - auch, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, nämlich am 16. Januar 1986, noch bestanden hat. In diesem Umfang sind die Parteien, die Vorinstanzen und der Senat gebunden, weil das Urteil rechtskräftig ist. Eine gegenteilige Feststellung, wie sie zur Abweisung des vorliegenden Antrags in den Gründen erforderlich wäre, ist nicht (mehr) möglich.
a) Das Landesarbeitsgericht hat dagegen angenommen, die Rechtskraft jener Entscheidung stehe einer erneuten Entscheidung über die Kündigung vom 30. November 1984 nicht entgegen. Seine Rechtsauffassung erweist sich jedoch nicht als zutreffend. Seine Ansicht, es sei im vorangegangenen Verfahren entgegen dem Wortlaut des Tenors lediglich um die Wirksamkeit der Kündigung vom 12. November 1984 gegangen, hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
b) Vielmehr hat das Landesarbeitsgericht durch sein Urteil vom 16. Januar 1986 nicht nur über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 12. November 1984 entschieden, sondern darüber hinaus auch den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 16. Januar 1986 festgestellt. Insoweit hat es im angefochtenen Urteil die Grenzen der materiellen Rechtskraft jener vorangegangenen Entscheidung verkannt.
Streitgegenstand des vorangegangenen Kündigungsschutzverfahrens war nämlich nicht nur die (beschränkte) Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG, sondern - darüber hinausgehend - auch die Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz fortbestanden hat. Bei einer Kündigungsschutzklage mit einem Klageantrag lediglich nach Maßgabe des § 4 Satz 1 KSchG ist Streitgegenstand allein die Frage, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die streitbefangene Kündigung zu dem in jener Kündigung vorgesehenen Termin beendet worden ist. Ein solcher Antrag kann nur dahin gehen festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die streitbefangene Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Wenn jedoch - wie im vorangegangenen Verfahren - darüber hinaus auch noch begehrt wird festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis fortbesteht, so handelt es sich nicht mehr um den beschränkten Kündigungsschutzantrag nach Maßgabe des § 4 Satz 1 KSchG, sondern um eine allgemeine Feststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Bei ihr ist Streitgegenstand, ob ein Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (oder zu einem im Antrag bezeichneten bestimmten anderen Zeitpunkt) noch fortbesteht (vgl. BAG Urteil vom 31. Mai 1979 - 2 AZR 473/77 - AP Nr. 50 zu § 256 ZPO). Bei einem solchen, gegenüber der (beschränkten) Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG erweiterten Streitgegenstand geht es nicht nur um die Wirksamkeit einer bestimmten Kündigung, sondern auch um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Kündigungstermin hinaus. Es ist im Rahmen eines solchen Antrages nicht nur zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis durch die ausdrücklich angegriffene Kündigung aufgelöst worden ist. Vielmehr ist für einen solchen (allgemeinen) Feststellungsantrag, sofern für die mit ihm begehrte weitergehende Feststellung das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Rechtsschutzinteresse vorliegt und der Antrag deshalb zulässig ist, zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis außer durch die angegriffene Kündigung noch aus einem anderen, später eingetretenen Grund beendet worden ist. Dies gilt insbesondere für weitere Kündigungen durch den Arbeitgeber, die zu einem Termin ausgesprochen werden, der vor dem Zeitpunkt liegt, für den die Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses nach § 256 ZPO begehrt wird (vgl. BAG Urteil vom 31. Mai 1979 - 2 AZR 473/77 -, aaO, auch Urteil vom 21. Januar 1988 - 2 AZR 581/86 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; Bötticher, Festschrift für Herschel, 1955, S. 181, 188; Güntner, BB 1968, 754, 756; Lüke, JZ 1960, 203, 205 ff.).
c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts im angefochtenen Urteil steht durch das rechtskräftig gewordene Berufungsurteil vom 16. Januar 1986 im vorangegangenen Feststellungsverfahren fest, daß zumindest am 16. Januar 1986 das Arbeitsverhältnis der Parteien (noch) bestanden hat. Anders wäre nur zu erkennen, wenn das Landesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 16. Januar 1986 im vorangegangenen Feststellungsverfahren (4 (5) Sa 86/85) eindeutig klargestellt hätte, daß sich jene Entscheidung ausdrücklich nicht auf die Frage der Wirksamkeit der Kündigung vom 30. November 1984 bezieht. Dann wäre es der Beklagten nicht verwehrt, sich im vorliegenden Prozeß auf jene Kündigung zu berufen (vgl. BAGE 7, 36, 46 f. = AP Nr. 17 zu § 3 KSchG, zu III 4 und 5 der Gründe; BAG Urteil vom 17. Mai 1984 - 2 AZR 109/83 -, zu A II der Gründe, insoweit nicht veröffentlicht; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 297). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben.
d) Zwar ist nicht zu übersehen, daß dem Landesarbeitsgericht bei der Entscheidung im vorangegangenen Feststellungsprozeß die Tatsache der weiteren Kündigung vom 30. November 1984 bekannt gewesen ist. Dies ergibt sich eindeutig aus seinem Berufungsurteil im Prozeß über die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers, die aufgrund zeitgleicher mündlicher Verhandlung durch dieselbe Kammer des Landesarbeitsgerichts am 16. Januar 1986 getroffen worden ist (4 (5) Sa 525/85). Denn das Landesarbeitsgericht hat in diesem Urteil die Klage des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung ausdrücklich mit der Begründung abgewiesen, es schwebe wegen der Kündigung vom 30. November 1984 noch ein Streit im ersten Rechtszug. Aus diesen sich nur aus dem Parallelprozeß der Parteien ergebenden Umständen kann jedoch für den Umfang der Rechtskraft des hier in Rede stehenden Urteils vom 16. Januar 1986 nichts hergeleitet werden. Denn der Umfang der materiellen Rechtskraft ist allein aus dem rechtskräftigen Urteil selbst zu bestimmen. Für die Bestimmung der Grenzen der Rechtskraft ist dabei vorrangig auf die Urteilsformel abzustellen, erst in zweiter Linie auf die Entscheidungsgründe.
Die Urteilsformel ist hier eindeutig. Mit ihr wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht nur durch die Kündigung der Beklagten vom 12. November 1984 nicht aufgelöst worden ist, sondern daß das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Dagegen enthält das Urteil keinen Hinweis auf die Kündigung vom 30. November 1984. Es läßt auch sonst nicht erkennen, daß das Landesarbeitsgericht lediglich über die Wirksamkeit der Kündigung vom 12. Januar 1984 befunden hat oder auch nur hat befinden wollen und nicht zugleich auch - möglicherweise ohne hinreichend dargetanes Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO - über das Bestehen des Arbeitsverhältnisses noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, d.h. am 16. Januar 1986.
Ebensowenig ist erheblich, ob jenes Urteil hinsichtlich der (allgemeinen) Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis noch am 16. Januar 1986 bestanden hat, sachlich unrichtig ist. Gerade das formell oder sachlich unrichtige Urteil erwächst in materielle Rechtskraft; sie verbietet es, die Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Urteils nochmals aufzuwerfen (vgl. Vollkommer in Zöller, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., vor § 322 ZPO Rz 71 m.w.N.). Dieses - aus der Sicht der Beklagten möglicherweise unrichtige - Ergebnis wäre nur zu vermeiden gewesen, wenn das Landesarbeitsgericht die Frage des Feststellungsinteresses i.S. des § 256 ZPO geprüft und/oder wenn die Beklagte ihrerseits die Kündigung vom 30. November 1984 in das vorangegangene Feststellungsverfahren, das wesentlich durch die Kündigung vom 12. November 1984 ausgelöst worden ist, eingeführt hätte. Beides aber ist ausweislich der Akten jenes vorangegangenen Prozesses nicht geschehen.
Damit steht die materielle Rechtskraft des zwischen den Parteien ergangenen Feststellungsurteils vom 16. Januar 1986 der Feststellung entgegen, daß die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30. November 1984 das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits aufgelöst habe. Insoweit mußte deshalb auf die Revision des Klägers seiner Klage stattgegeben werden.
II. Unbegründet ist die Revision dagegen, soweit der Kläger über die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 30. November 1984 hinaus auch die Feststellung begehrt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30. November 1984 hinaus fortbestanden hat. Insoweit ist die Klage unzulässig.
Es fehlt dem Antrag das in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfende Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Die Parteien streiten nur darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30. November 1984 aufgelöst worden ist. Weiterer Auflösungsgründe berühmt sich die Beklagte nicht. Für die weitergehende Feststellungsklage ist daher ein Rechtsschutzinteresse des Klägers nicht ersichtlich.
III. Zulässig, aber unbegründet ist die Revision hinsichtlich des Antrages des Klägers auf Verurteilung der Beklagten zu seiner vorläufigen Weiterbeschäftigung. Der Sachantrag ist nicht begründet.
1. Insoweit ist die Revision nicht bereits mangels einer Revisionsbegründung i.S. von § 554 Abs. 2, 3 ZPO unzulässig. Zwar läßt die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil vermissen. Dies ist jedoch hier unschädlich, weil nach der Begründung des angefochtenen Urteils die Begründetheit des Weiterbeschäftigungsanspruchs unmittelbar von der Begründetheit der Feststellungsklage abhängig gemacht worden ist, nämlich in dem Sinne, daß auch insoweit die Berufung des Klägers ohne (nähere) Begründung zurückgewiesen worden ist (vgl. insoweit Senatsurteil vom 3. April 1987 - 7 AZR 66/86 - NZA 1988, 37).
2. Der Antrag des Klägers auf Verurteilung der Beklagten zu seiner Weiterbeschäftigung ist lediglich als Antrag auf Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung zu verstehen. Zwar geht der Antrag seinem Wortlaut nach über den Antrag auf lediglich vorläufige Weiterbeschäftigung hinaus. Bei dem Verständnis des Antrages ist jedoch auch dessen Begründung durch den Kläger heranzuziehen. Der Kläger begründet seinen Antrag allein mit den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses entwickelten Grundsätzen (BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).
3. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung war im Revisionsrechtszug zurückzuweisen. Mit dem vorliegenden Revisionsurteil ist der Bestandsschutzprozeß beendigt, weil zugleich festgestellt wird, daß die Kündigung vom 30. November 1984 nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses geführt hat und der weitergehende allgemeine Feststellungsantrag abgewiesen wird. Durch diese abschließenden Sachentscheidungen ist der Prozeß über den Bestand des Arbeitsverhältnisses beendet. Der Rechtsstreit dauert nicht mehr an, so daß auch kein Zeitraum verbleibt, für dessen Dauer die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt werden könnte.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
Dr. Seidensticker Dr. Becker Schliemann
Gnade Dr. Sponer
Fundstellen
Haufe-Index 441239 |
RzK, I 10m 11 (ST1) |