Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung und Erwerbsunfähigkeit
Orientierungssatz
Die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs setzt voraus, daß der Arbeitnehmer bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Dies ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeschieden ist.
Normenkette
TVG § 1; BUrlG §§ 13, 7 Abs. 4
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 08.11.1984; Aktenzeichen 3 Sa 1303/84) |
ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 26.07.1984; Aktenzeichen 1 Ca 691/84) |
Tatbestand
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem Jahre 1980 als Verkäuferin mit einem Monatsgehalt von zuletzt 1.337,-- DM (brutto) beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis war kraft Tarifbindung der Manteltarifvertrag vom 31. März 1981 für die Mitarbeiter der co op-Unternehmen (Einzelhandelsbereich) (MTV) anzuwenden.
§ 16 Abs. 2 und Abs. 6 MTV lauten:
"(2) Der Mitarbeiter hat in jedem Kalenderjahr
Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung
des Arbeitsentgelts. Der Urlaub darf nicht in
Geld abgegolten werden.
.....
(6) Mitarbeiter, die wegen Erreichens der Altersgrenze
in der ersten Jahreshälfte ausscheiden,
haben Anspruch auf die Hälfte des Jahresurlaubs.
Mitarbeiter, die wegen Erreichens der Altersgrenze
in der zweiten Jahreshälfte ausscheiden,
haben Anspruch auf den vollen Jahresurlaub.
Entsprechendes gilt auch für Mitarbeiter, die
von der Möglichkeit des Bezuges vorgezogenen
Altersruhegeldes Gebrauch machen."
In § 20 MTV ist bestimmt:
"(1) Das Urlaubsentgelt bemißt sich nach dem
durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der
Mitarbeiter in den letzten 13 Lohnwochen bzw.
den letzten 3 Kalendermonaten vor dem Beginn
des Urlaubs erhalten hat. Verdienstkürzungen,
die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit,
Arbeitsausfällen oder unverschuldetem
Arbeitsversäumnis eintreten, bleiben für die
Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht.
(2) Bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender
Natur, die während des Berechnungszeitraums
oder des Urlaubs eintreten, ist von
dem erhöhten Verdienst auszugehen.
(3) Wird ein Mitarbeiter im Laufe des Kalenderjahres
durch eigenes Verschulden aus einem
Grund entlassen, der eine fristlose Kündigung
rechtfertigt, oder löst er unberechtigt vorzeitig
das Arbeitsverhältnis und liegt in diesen
Fällen eine grobe Verletzung der Treuepflicht
aus dem Arbeitsverhältnis vor, so steht
ihm für jeden im Urlaubsjahr angefangenen Kalendermonat
seiner Tätigkeit Urlaubsentgelt nur
in Höhe von einem Zwölftel des vollen Jahresurlaubsentgelts
zu. Darüber hinausgehendes Urlaubsentgelt
ist von ihm zurückzuzahlen. Der
Betrag ist mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
fällig."
Vom 14. Juni 1982 bis zum 9. Februar 1983 und seit 18. April 1983 war die Klägerin arbeitsunfähig krank. Durch Bescheid der zuständigen Rentenversicherungsanstalt vom 4. Januar 1984 wurde der Klägerin rückwirkend zum 14. Juni 1982 Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt. Deshalb schied die Klägerin am 31. Januar 1984 bei der Beklagten aus. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie einen restlichen Urlaubsanspruch in Höhe von 49 Werktagen, für den das Entgelt 2.519,73 DM betrug.
Die Beklagte hat sich geweigert, diesen Urlaubsanspruch abzugelten.
Mit ihrer am 6. April 1984 der Beklagten zugestellten Klage hat die Klägerin die Gewährung einer Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.519,73 DM begehrt.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.519,73 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 6. April 1984 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie nach Beweiserhebung abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist für die Klägerin mit deren Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ein Urlaubsabgeltungsanspruch entstanden. Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob dieser Anspruch bis zum Erlöschen am Ende des Übertragungszeitraums zu erfüllen gewesen wäre, so daß der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden muß, um dies nachzuholen.
1. Nach dem von der Beklagten nicht bestrittenen Vortrag der Klägerin hatte diese bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 31. Januar 1984 einen Urlaubsanspruch von 49 Werktagen. Keine Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht dazu getroffen, in welcher Höhe dieser Anspruch Urlaub aus dem Jahre 1983 und Urlaub aus dem Jahre 1984 ist.
Ohne Auswirkungen auf den Bestand des Urlaubsanspruchs ist, daß die Klägerin vor ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis seit 18. April 1983 arbeitsunfähig krank war (vgl. in ständiger Rechtsprechung die Entscheidungen des Sechsten Senats seit 28. Januar 1982, BAGE 37, 382 = AP Nr. 11 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch, zuletzt Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 169/84 - EzA § 7 BUrlG Nr. 43; dieser Auffassung ist der erkennende Senat mit Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt, beigetreten).
2.a) Unter Hinweis auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Juni 1983 (BAGE 44, 75 = AP Nr. 14 zu § 7 BUrlG Abgeltung) hat dagegen das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Klägerin der von ihr geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch nicht zustehe, nachdem sie unstreitig nach andauernder Arbeitsunfähigkeit aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei, ohne die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt zu haben.
b) Dieser Auffassung tritt der erkennende Senat nicht bei. Mit dem Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis allein kann ein Urlaubsabgeltungsanspruch nicht verneint werden. Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, daß in der von ihm angezogenen Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts ein Urlaubsabgeltungsanspruch eines Arbeitnehmers zu beurteilen war, dessen Arbeitsverhältnis nach andauernder Arbeitsunfähigkeit geendet und der auch bis zum 31. März des folgenden Jahres seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt hatte. Wie zu entscheiden ist, wenn nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig wird, hatte das Bundesarbeitsgericht offengelassen. Mit Urteil vom 28. Juni 1984 (BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung), das vom Landesarbeitsgericht ebenfalls zitiert wird, hat der Sechste Senat klargestellt, daß Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht das Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruchs hindert, sondern nur dessen Erfüllbarkeit ausschließt, solange die Arbeitsunfähigkeit andauert. Die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers wegen Krankheit hat auf den Urlaubsabgeltungsanspruch die gleichen Wirkungen wie auf den Urlaubsanspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dieser Auffassung hat sich der erkennende Senat mit Urteil vom 14. Mai 1986 (- 8 AZR 604/84 -, aaO = SAE 1987, 75 ff. mit zust. Anm. von Oetker) angeschlossen. Danach setzt die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs voraus, daß der Arbeitnehmer bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Dies ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeschieden ist. Darauf hat der Senat seit seinem Urteil vom 14. Mai 1986 (aaO) inzwischen in ständiger Rechtsprechung mehrfach abgestellt (vgl. zuletzt Urteil vom 26. März 1987 - 8 AZR 605/84 -).
Erwerbsunfähig ist, wer infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von der Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl. § 1247 Abs. 2 RVO). Die Erwerbsunfähigkeit setzt somit nicht voraus, daß der Arbeitnehmer eine bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Bei Prüfung der Erwerbsunfähigkeit findet keine Beschränkung auf den bisherigen Beruf oder, wie dies bei der Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 2 RVO die Regel ist, auf die Berufsgruppe statt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 392 und Bd. III, S. 682 g). Es ist somit nicht ausgeschlossen, daß ein Arbeitnehmer erwerbsunfähig, aber zugleich dennoch arbeitsfähig ist (arg. § 183 Abs. 4 RVO, vgl. Brackmann, Bd. II, aaO; ebenso LAG Niedersachsen Urteil vom 30. August 1985 - 3 Sa 28/85 - S. 7 bis 10).
c) Dieser Rechtsprechung des erkennenden Senats steht Art. 11 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1970 über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung vom Jahr 1970, BGBl. II 1975, 746) nicht entgegen. Auch das Landesarbeitsgericht hat einen Verstoß gegen dieses Abkommen nicht angenommen.
Die Auffassung, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG in seiner Erfüllbarkeit von der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abhängt und dieser Anspruch ebenso wie der Urlaubsanspruch befristet bis zum Ablauf des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums besteht, widerspricht nicht Art. 11 des Übereinkommens Nr. 132. Hierzu hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits ausführlich Stellung genommen (Urteil vom 7. März 1985, BAGE 48, 186 = AP Nr. 21 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Er hat dargelegt, daß unabhängig davon, ob von einer unmittelbaren innerstaatlichen Geltung dieses Abkommens ausgegangen werden muß, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 7 Abs. 4 BUrlG mit Art. 11 des Übereinkommens Nr. 132 übereinstimmt: Sowohl Art. 11 des Übereinkommens Nr. 132 als auch § 7 Abs. 4 BUrlG sind in ihrem Regelungsumfang darauf beschränkt, die Voraussetzungen für das Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruchs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu bestimmen. Merkmale für Leistungsstörungen oder andere Leistungshindernisse sind in beiden Vorschriften nicht enthalten, also auch keine Regelung über die Erfüllbarkeit dieses Anspruchs. Als Teil des allgemeinen Arbeitsvertragsrechts unterliegt auch der Urlaubsanspruch den Regelungen des Leistungsstörungsrechts. Die Erfüllbarkeit des Urlaubs- und des Urlaubsabgeltungsanspruchs sind daher entsprechend diesen Regelungszusammenhängen zu beurteilen. Dieser Auffassung folgt auch der erkennende Senat (vgl. ebenso bereits das Senatsurteil vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
3. Zu Unrecht meint die Revision, daß der MTV eine Abgeltungsregelung enthalte, die über § 7 Abs. 4 BUrlG hinausgehe und eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung schaffe.
Soweit die Revision hierfür auf § 16 MTV verweist, kann ihr schon deshalb nicht gefolgt werden, weil diese Bestimmung zwar das Entstehen und den Umfang von Urlaubsansprüchen, nicht aber die Abgeltung solcher Ansprüche regelt.
Die Bestimmung in § 16 Abs. 2 Satz 2 MTV, daß der Urlaub nicht in Geld abgegolten werden darf, ist ersichtlich nicht einschlägig. Mit ihr wird nur der "Abkauf" von Urlaubsansprüchen während des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen. Auch der Hinweis auf § 16 Abs. 6 MTV führt nicht weiter. Abgesehen davon, daß er auf die Klägerin schon deshalb nicht anwendbar ist, weil sie nicht wegen Erreichens der Altersgrenze ausgeschieden ist, sondern wegen der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente, ist auch in dieser Vorschrift nur die Dauer des Urlaubsanspruchs geregelt. Daran ändert nichts, daß die Beklagte im Zeugnis vom 8. Februar 1984 erklärt hat, daß die Klägerin aufgrund der Erreichung des Rentenalters ausgeschieden sei.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 20 Abs. 3 MTV. Diese Vorschrift enthält in Anlehnung an den seit 1974 aufgehobenen § 7 Abs. 4 Satz 2 BUrlG lediglich eine Einschränkung des Abgeltungsanspruchs und setzt damit § 7 Abs. 4 BUrlG als auch für den MTV maßgeblich voraus.
4. Ob der Urlaubsabgeltungsanspruch von der Beklagten zu erfüllen ist, kann gegenwärtig vom erkennenden Senat nicht beurteilt werden, weil vom Landesarbeitsgericht hierzu keine Tatsachenfeststellungen getroffen worden sind. Damit hängt der Erfolg der Klage davon ab, ob die Klägerin nach ihrem Ausscheiden bei der Beklagten so rechtzeitig wieder arbeitsfähig geworden ist, daß der Abgeltungsanspruch vor seinem Erlöschen am Ende des Übertragungszeitraums ganz oder teilweise hätte erfüllt werden können. Hierbei wird das Landesarbeitsgericht zu unterscheiden haben zwischen dem Urlaubsanspruch, der noch aus dem Jahr 1983 stammt, und dem Urlaubsanspruch für das Jahr 1984. Außerdem ist festzustellen, ob und wann die Klägerin den Urlaubsanspruch von der Beklagten verlangt hat. Wegen des Ablaufs der Übertragungszeiträume am 31. März 1984 und am 31. März 1985 stünde ein solcher Anspruch der Klägerin als Schadenersatzanspruch zu (vgl. dazu das Senatsurteil vom 30. Juli 1986 - 8 AZR 475/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Ebenso wie der Urlaubsanspruch ist auch der Urlaubsabgeltungsanspruch zeitlich befristet auf das Urlaubsjahr, für das er entstanden ist, bzw. auf das Ende des Übertragungszeitraums. War die Klägerin vor Ablauf des Übertragungszeitraums im Jahre 1984 oder 1985 arbeitsfähig und damit der Urlaubsabgeltungsanspruch ganz oder teilweise zu erfüllen, befand sich die Beklagte mit dieser Leistung im Schuldnerverzug, wenn sie die Urlaubsabgeltung trotz rechtzeitiger Geltendmachung durch die Klägerin nicht gewährt hat. Die Unmöglichkeit infolge Zeitablaufs hat sie zu vertreten (§§ 286, 280, 287 Satz 2 BGB), wenn trotz Arbeitsfähigkeit der Klägerin der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht vor Ablauf des Übertragungszeitraums am 31. März 1984 bzw. am 31. März 1985 erfüllt werden konnte.
Um dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, muß die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dr. Leinemann Dr. Peifer Dr. Freitag
Schömburg Kümpel
Fundstellen