Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung einer Erzieherin
Leitsatz (redaktionell)
Bestätigung der bisherigen Senatsrechtsprechung zur heilpädagogischen Gruppe
Normenkette
BAT 1975 §§ 22-23
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 17.06.1993; Aktenzeichen 10 Sa 959/91 E) |
ArbG Lingen (Urteil vom 31.05.1991; Aktenzeichen 1 Ca 64/91 E) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 17. Juni 1993 – 10 Sa 959/91 E – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen (Ems) vom 18. Juni 1991 – 1 Ca 64/91 E – abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:
Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Anschlußberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
4. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin in einer heilpädagogischen Gruppe tätig ist.
Die Klägerin ist staatlich anerkannte Erzieherin und Heilpädagogin. Sie wird seit dem 1. September 1988 von dem Beklagten in der von ihm betriebenen Einrichtung zur Versorgung Behinderter als Gruppenleiterin in einer Werkstatt des Produktionsbereichs beschäftigt. Vom 1. Oktober 1983 bis 31. August 1988 leitete die Klägerin im Wohnheim der Lebenshilfe e.V. N. eine Gruppe von geistig und mehrfach Behinderten. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet nach der Vereinbarung im Arbeitsvertrag der BAT/VKA in seiner jeweiligen Fassung nebst allen ändernden und ergänzenden Tarifverträgen Anwendung. Die Klägerin erhält zur Zeit Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT.
Die „Erläuterungen” zu § 9 des Arbeitsvertrages lauten u.a. wie folgt:
„Für die Mitarbeiter unserer Einrichtung stellen wir die Grundlage der Erziehung und Betreuung in einer Einrichtung auf christlicher Grundlage dar. Sie sollen zum Verständnis unserer Arbeit beitragen:
Die Versorgung der Behinderten jeden Alters umfaßt die leibliche Versorgung, soweit sie der Behinderte nicht selber leisten und kontrollieren kann. Sie dient dem hygienischen Erfordernis der Erhaltung und des Schutzes des Leibes. Sie ist getragen von der Achtung und der Würde des Menschen, ungemindert durch jedwede Krankheit oder angeborene Fehlbildung. Sie ist eng verbunden mit erzieherischer Tätigkeit, welche bei jeder pflegenden Verrichtung gleichzeitig geschieht.
Erziehung ist notwendig; sie beeinflußt das Verhalten der Behinderten und hilft Ihnen, daß sie entsprechend ihren Möglichkeiten optimal in der Gesellschaft einen Platz haben und dort leben können.
Dieses erzieherische Bemühen ist auf die Dauer nur sinnvoll zu begründen, wenn es das Leben auch des behinderten Menschen als sinnvoll zu bejahen vermag. Erzieherisches Bemühen ist indirekt auch immer Deutung menschlichen Lebens.”
In der Einrichtung, in der die Klägerin tätig ist, werden ca. 312 körperlich und/oder geistig behinderte Menschen in drei verschiedenen Bereichen betreut. In den Gruppen des Arbeitstrainingsbereichs werden die in das Heim neu aufgenommenen Menschen während der ersten höchstens 24 Monate dauernden Zeit auf ihre Leistungsfähigkeit erprobt mit dem Ziel, sie in das Arbeitsleben einzugliedern. Anschließend werden sie der Psychiatrie, der sogenannten Tagesförderstätte oder dem Produktionsbereich zugewiesen. Die Fördermaßnahmen erstrecken sich dabei sowohl auf die Berufsbildung, wie die Vermittlung praktischer Fertigkeiten und die
Förderung des Sozialverhaltens. Die Klägerin ist als Gruppenleiterin in der Werkstatt für Behinderte im Erwachsenenbereich tätig. Sie betreut dabei eine Gruppe von 16 behinderten Erwachsenen. Dabei beaufsichtigt und unterstützt sie die Behinderten bei ihrer Arbeit, der Produktion von Waren.
Neben der Anleitung der Behinderten zu den von ihnen auszuführenden Arbeiten gehört auch deren umfangreiche persönliche Betreuung zu den Aufgaben der Klägerin. Je nach dem Grad und der Art der Behinderung muß die Klägerin diesen Menschen beim Umkleiden, bei hygienischen Verrichtungen und selbst beim Essen helfen bzw. diese anleiten. Der Umgang mit Messer und Gabel und überhaupt die Förderung einer Tischkultur gehört ebenso zum Dienst der Klägerin, wie eine sinnvolle Pausengestaltung. In dieser Zeit wird nach Möglichkeit gespielt, musiziert, gelesen oder anderen Betätigungen unter Anleitung der Klägerin nachgegangen. Schließlich gehört es stets zur Arbeit der Klägerin, die Behinderten zu motivieren sowie ihre Charaktere und evtl. Agressionen auszugleichen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe nach mehr als vierjähriger Tätigkeit Anspruch auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT, da sie eine heilpädagogische Gruppe im Sinne des Tarifvertrages betreue und hat dies mit Schreiben vom 13. September 1990 erfolglos geltend gemacht.
Mit der dem Beklagten am 23. Januar 1991 zugestellten Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat vorgetragen, Ziel der Werkstätten der Beklagten sei eine möglichst umfassende berufliche und soziale Eingliederung behinderter Menschen. Die zu ergreifenden berufsfördernden Maßnahmen müßten sich dabei nach den individuellen Möglichkeiten der Behinderten richten und der Vermittlung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten, aber auch der Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeiten dienen. Darüber hinaus werde Sozialverhalten sowohl während der Arbeitszeit wie auch in der Freizeit erlernt. Schließlich müsse die Zusammenarbeit in der Gruppe gelernt und geübt werden, die Herausbildung von Partnerschaften und Freundschaften gefördert und die Fähigkeit erlernt werden, in Konfliktsituationen angemessen zu reagieren.
Die Klägerin hat zunächst beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 3.542,55 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag als Gehaltsdifferenz für die Monate Juli bis Dezember 1990 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, die von der Klägerin betreute Gruppe sei keine heilpädagogische Gruppe im Sinne des Tarifvertrages. Aufgabe der Klägerin sei es vielmehr, die Arbeit behinderter Menschen in einer produktionsmäßig orientierten Werkstatt zu organisieren. Die von den Behinderten ausgeführten Tätigkeiten seien sowohl nach dem Schwerbehindertengesetz wie nach der Werkstattverordnung eindeutig als Arbeit definiert.
Das Arbeitsgericht hat der Klageforderung entsprochen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und auf die unselbständige Anschlußberufung der Klägerin festgestellt, der Beklagte sei zur Zahlung der Differenz zwischen der nach der VergGr. V c gezahlten Vergütung und der Vergütung nach der VergGr. IV b der Anlage 1 a zum BAT/VKA auch über den 31. Dezember 1990 hinaus verpflichtet. Mit der Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung aus der Vergütungsgruppe IV b BAT, da sie keine „heilpädagogische Gruppe” im Sinne des Tarifvertrages betreut.
I. Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die auch außerhalb des öffentlichen Dienstes allgemein üblich ist und nach ständiger Sensatsrechtsprechung keinen prozeßrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. Senatsurteile vom 25. September 1991 – 4 AZR 87/91 – AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel = EzA § 4 TVG Großhandel Nr. 2, zu I der Gründe, m.w.N.; vom 11. November 1992 – 4 AZR 117/92 –, n.v. sowie vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 383/92 – AP Nr. 4 zu § 12 AVR Caritasverband).
II.1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag/VKA in seiner jeweiligen Fassung Anwendung.
a) Die Parteien haben im Arbeitsvertrag vereinbart, die Klägerin werde in die Vergütungsgruppe V c eingruppiert. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß diese unabhängig von den Eingruppierungsregelungen des BAT Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT/VKA erhalten soll. Bei dem Arbeitsvertrag der Parteien handelt es sich um einen formularmäßigen Vertrag, so daß der Senat ihn selbständig auslegen kann (BAGE 24, 198, 202 = AP Nr. 2 zu § 111 BBiG, zu 2 a der Gründe; BAG Urteil vom 20. Februar 1991 – 4 AZR 377/90 –, n.v.). Werden – wie vorliegend – in einem Arbeitsvertrag die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in Bezug genommen, so ist davon auszugehen, daß die Eingruppierung eines Arbeitnehmers sich nach der zutreffenden Vergütungsgruppe richten soll. Dies gilt auch dann, wenn in einer nachfolgenden Bestimmung des Arbeitsvertrages auf eine bestimmte Vergütungsgruppe verwiesen wird. Dieser Verweisung kommt nur die Bedeutung zu, festzulegen, welche Vergütungsgruppe die Parteien einmal als zutreffend angesehen haben (vgl. statt vieler: BAG Urteil vom 12. Dezember 1990 – 4 AZR 306/90 – EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 4 = ZTR 1991, 199). Für die Vergütung der Klägerin sind daher die durch den Dienstvertrag vereinbarten Eingruppierungsregelungen des BAT/VKA maßgebend.
b) Das Berufungsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, die gesamte Tätigkeit der Klägerin stelle einen einheitlichen Arbeitsvorgang im Sinne des § 22 Abs. 2 BAT dar. Arbeitsergebnis sei die Besorgung der Angelegenheiten der ihr zur Betreuung zugewiesenen Behinderten, wobei alle einzelnen Aktivitäten der Klägerin insgesamt diesem Ziel dienten.
Dabei ist das Landesarbeitsgericht von dem in der Senatsrechtsprechung entwickelten Begriff des Arbeitsvorgangs ausgegangen, wonach darunter eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen ist (vgl. statt vieler: BAGE 51, 356, 360 = AP Nr. 120 zu §§ 22, 23 BAT 1975, m.w.N.).
Dementsprechend ist die gesamte Tätigkeit der Klägerin als ein einziger großer Arbeitsvorgang anzusehen. Arbeitsergebnis sind nämlich nicht jeweils die einzelnen Tätigkeiten der Klägerin mit den Behinderten, vielmehr liegt das zu erreichende Arbeitsergebnis in der Eingliederung und Besorgung der sozialen Angelegenheiten der Menschen ihrer Arbeitsgruppe (vgl. BAGE 58, 230, 235 = AP Nr. 143 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG Urteil vom 9. März 1994 – 4 AZR 288/93 –, n.v.).
c) Demgemäß kommen für die Eingruppierung der Klägerin nur die Tätigkeitsmerkmale des BAT für Angestellte im Erziehungsdienst in Betracht. Damit sind die folgenden Tätigkeitsmerkmale des Teils II Abschn. G Unterabschn. II der Anl. 1 a zum BAT (alter Fassung) für die Eingruppierung der Klägerin maßgebend:
VergGr. IV b
…
3. Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung oder Jugendleiterinnen mit staatlicher Prüfung der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 1
nach vierjähriger Berufsausübung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe V b.
(Hierzu Protokollerklärungen Nr. 1, 2, 3 und 15)
…
VergGr. V b
1. Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung oder Jugendleiterinnen mit staatlicher Prüfung
…
k) in geschlossenen (gesicherten) Gruppen oder in Aufnahme- (Beobachtungs-) Gruppen oder in heilpädagogischen Gruppen.
…
(Hierzu Protokollerklärungen Nr. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 14 und 15)
…
VergGr. V c
1. Erzieher(innen), Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen
…
e) in Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern und Jugendlichen
nach einjähriger Berufsausübung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe VI b Fallgruppe 2 oder nach mehrjähriger Berufsausübung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe VI b Fallgruppe 1.
(Hierzu Protokollerklärungen Nr. 5, 6, 10, 11, 13, 14 und 15)
4. Handwerksmeister, Industriemeister oder Gärtnermeister im handwerklichen Erziehungsdienst
- als Leiter von Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder beschützenden Werkstätten,
- als ausdrücklich bestellter ständiger Vertreter der in Vergütungsgruppe V b eingruppierten Leiter von Ausbildungs- oder Berufsförderwerkstätten oder beschützender Werkstätten.
…
VergGr. VI b
1. …
2. Erzieher(innen), Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen
…
e) in Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen.
(Hierzu Protokollerklärungen Nr. 5, 6, 10, 11, 12, 13, 14 und 15)
…
5. Angestellte im handwerklichen Erziehungsdienst mit abgeschlossener Berufsausbildung
- als Leiter von Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder beschützenden Werkstätten nach mehrjähriger Tätigkeit als solche,
- als ausdrücklich bestellte ständige Vertreter der in Vergütungsgruppe V b eingruppierten Leiter von Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder beschützender Werkstätten.
…
Protokollerklärungen
…
Nr. 3
Erzieher(innen), Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen, mit staatlicher Anerkennung als Erzieher oder Kindergärtnerin
oder
mit staatlicher Prüfung als Kindergärtnerin/Hortnerin
oder
mit staatlicher Erlaubnis als Krankenschwester/Krankenpfleger/Kinderkrankenschwester
sowie
Angestellte in der Tätigkeit von Erziehern (Erzieherinnen), Kindergärtnerinnen oder Hortnerinnen mit abgeschlossener mindestens gleichwertiger Fachausbildung
werden nach diesem Tätigkeitsmerkmal eingruppiert, wenn sie am 01. April 1970 die in dem Tätigkeitsmerkmal geforderte Tätigkeit ausüben oder ihnen bis zum 31. Dezember 1990 diese Tätigkeit übertragen wird.
2.a) Obwohl die Klägerin die persönlichen Voraussetzungen der Vergütungsgruppe V b BAT Fallgruppe 1 k alter Fassung (Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung oder Jugendleiterinnen mit staatlicher Prüfung) nicht erfüllt, kann sie grundsätzlich nach dieser Fallgruppe eingruppiert werden, weil aufgrund der Protokollerklärung Nr. 3 auch Erzieher/Erzieherinnen nach Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 1 k eingruppiert werden können, wenn ihnen bis zum 31. Dezember 1990 diese Tätigkeit übertragen wurde. Dies trifft für die Klägerin zu, weil sie seit dem 1. September 1988 als Erzieherin in einer Gruppe bei dem Beklagten beschäftigt ist.
b) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Klägerin sei in einer „heilpädogische Gruppe” im Sinne dieser Vergütungsgruppe beschäftigt.
aa) Der Begriff „heilpädagogische Gruppe” ist im BAT nicht definiert. Zu seiner Bestimmung ist in erster Linie auf den Wortsinn zurückzugreifen. Dieser richtet sich nach dem Begriff der Heilpädagogik, wie er sich aus dem Sprachgebrauch der beteiligten Fachkreise ergibt. Danach ist, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, unter einer heilpädagogischen Tätigkeit eine solche zu verstehen, die mit besonderen, spezifischen Erziehungsformen die Förderung und Betreuung behinderter Menschen umfaßt (BAG Beschluß vom 3. Dezember 1985, BAGE 50, 241 = AP Nr. 31 zu § 99 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 6. Dezember 1989 – 4 AZR 450/89 – AP Nr. 148 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG Urteil vom 4. April 1990 – 4 AZR 20/90 – ZTR 1990, 380, 381; BAG Urteil vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 383/92 – AP Nr. 4 zu § 12 AVR Caritasverband; zuletzt BAG Urteil vom 23. Februar 1994 – 4 AZR 203/93 –, n.v.). Dabei kann sich die heilpädagogische Förderung nicht auf einzelne Lebensbereiche des Behinderten beschränken, sondern muß in einem umfassenden Sinn seine gesamte Persönlichkeit zum Gegenstand haben (vgl. Senatsurteil vom 4. April 1990 – 4 AZR 20/90 – ZTR, a.a.O.).
bb) Daß für eine heilpädagogische Tätigkeit nicht die übliche erzieherische Tätigkeit mit Behinderten ausreicht, sondern die Anwendung spezifischer Erziehungsformen erforderlich ist, ergibt sich auch aus dem Regelungszusammenhang des BAT. Dieser enthält nämlich mehrere Bestimmungen, in denen ausdrücklich die Eingruppierungen von Mitarbeitern, die als Erzieher in einer Gruppe von Behinderten arbeiten, in die Vergütungsgruppe V c vorgesehen ist. Eine solche Eingruppierung ist enthalten u.a. in Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 1 e/Vergütungsgruppe VI b Fallgruppe 2 e. In diese Vergütungsgruppen sind eingruppiert Erzieherinnen, Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen in Gruppen von körperlich, seelisch und geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen. Allen diesen Tätigkeiten ist gemeinsam, daß sie von pädagogisch qualifizierten Personen in der Betreuung von Behinderten ausgeübt werden und pädagogischen Charakter haben. Die in den genannten Fallgruppen zu Vergütungsgruppe V c enthaltenen, auf genau umschriebene Einzeltätigkeiten bezogenen Eingruppierungsbestimmungen wären gegenstandslos, wenn die von den dort angeführten Personen ausgeübte pädagogische – und damit fördernde – Betreuung Behinderter ohne weiteres zugleich als heilpädagogische Tätigkeit zu qualifizieren wäre. Wenn die Tätigkeit der Betreuer nämlich eine heilpädagogische ist, handelt es sich bei der betreuten Gruppe um eine heilpädagogische Gruppe mit der Folge, daß Betreuer mit den genannten Qualifikationen entgegen den dort enthaltenen ausdrücklichen Vorgaben nicht in Vergütungsgruppe V c, sondern in Vergütungsgruppe V b oder IV b einzugruppieren sind.
cc) Demnach erfordert die zu einer höheren Eingruppierung führende Tätigkeit in einer heilpädagogischen Gruppe mehr als die mit der Arbeit von Erziehern in Behindertengruppen zwangsläufig verbundene pädagogische Einwirkung. Es genügt hierfür nicht, daß diese pädagogische Arbeit in Formen erfolgt, die auf die besonderen Belange Behinderter zugeschnitten sind, denn dies ist schon Grundvoraussetzung jeder in Vergütungsgruppe VI b bzw. V c eingestuften pädagogischen Arbeit in Behindertengruppen. Hinzu kommen muß vielmehr, daß die individuelle und umfassende Förderung eines jeden Behinderten nach seiner spezifischen Behinderung und Persönlichkeit im Vordergrund der Betreuungsarbeit in der Gruppe steht (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 27. Juli 1994 – 4 AZR 529/93 –, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen).
c) Diesen Anforderungen genügt die von der Klägerin geleitete Arbeitsgruppe nicht, denn die von ihr und den anderen Erziehern geleistete Arbeit hat zumindest weit überwiegend keinen heilpädagogischen Charakter (vgl. BAG Urteil vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 383/92 – AP, a.a.O.).
aa) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wird in der Anstalt der Beklagten zwar auch heilpädagogisch gearbeitet. Diese auf die individuelle Förderung der Behinderten gerichtete und durch Anwendung spezifischer, ihre gesamte Persönlichkeit umfassende Erziehungsformen gekennzeichnete Tätigkeit findet in erster Linie außerhalb der Gruppen statt, z.B. in der psychologischen Station.
Dagegen ist die Tätigkeit der „Arbeitserzieher” in den Gruppen, wie sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt, weit überwiegend dadurch geprägt, daß sie die Behinderten an die Arbeit heranführen, das Arbeitsumfeld den Bedürfnissen der Behinderten anpassen und diese bei der Arbeitsleistung und in der Freizeit betreuen. Dabei haben die „Arbeitserzieher” die grundsätzlich wirtschaftliche Ausrichtung der Werkstatt zu berücksichtigen.
bb) Zwar kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß sie bei ihrer Arbeit, insbesondere bei der Förderung und Lenkung des Sozialverhaltens der Behinderten, auch Maßnahmen ergreift, die auf die Gesamtpersönlichkeit des einzelnen Behinderten gerichtet sind und damit zumindest teilweise heilpädagogischen Charakter haben.
Solche Maßnahmen können nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt aber nur einen geringen Teil der in der Gruppe der Klägerin geleisteten Betreuungsarbeit ausmachen und ihr daher nicht das Gepräge geben. Denn bei den von der Klägerin selbst insoweit vorgetragenen Tätigkeiten handelt es sich im wesentlichen um erzieherische Tätigkeiten, die normalerweise in einer Familie von den Eltern geleistet werden (vgl. BAG Urteil vom 27. Juli 1994 – 4 AZR 529/93 –, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr.h.c. Schaub, Bott, Schneider, Grätz, Kiefer
Fundstellen