Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 03.07.2020; Aktenzeichen S 2 KR 705/18) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 30.08.2021; Aktenzeichen L 4 KR 289/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. August 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten im Wege des Zugunstenverfahrens um die Beitragspflicht einer Kapitalleistung des Altersversorgungswerks der Zahnärztekammer Niedersachsen in der gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV).
Der 1951 geborene Kläger ist seit 1987 wegen des Bezugs einer Witwerrente bei der Beklagten in der GKV pflichtversichert. Er war zunächst als angestellter, dann als selbstständiger Zahnarzt Mitglied des Altersversorgungswerks der Zahnärztekammer Niedersachsens. Auf 1/120tel der von dieser Einrichtung dem Kläger im Januar 2017 ausgezahlten und als Versorgungsbezug gemeldeten Kapitalleistung von 151 943,82 Euro erhob die Beklagte mit Bescheiden vom 24.2.2017 und 29.3.2017 monatliche Beiträge ab 1.2.2017 für die Dauer von 10 Jahren. Den im April 2017 gestellten Antrag auf Überprüfung dieser Bescheide lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 28.6.2017; Widerspruchsbescheid vom 15.5.2018).
Die dagegen gerichtete Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG Hannover vom 3.7.2020; Urteil des LSG vom 30.8.2021). Zur Begründung hat das LSG darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Altersversorgungswerk der Zahnärzte um eine Versorgungseinrichtung handele und die Kapitalleistung nach § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 3, Satz 2 SGB V beitragspflichtig sei. Eine gegen das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot verstoßende Doppelverbeitragung liege nicht vor. Eine Übertragung der Rechtsprechung des BVerfG zur nur in Sonderfällen anzunehmenden Verfassungswidrigkeit der Verbeitragung von Leistungen aus Direktversicherungen (BVerfG Kammerbeschluss vom 28.9.2010 - 1 BvR 1660/08 - SozR 4-2500 § 229 Nr 11) und Pensionskassen (BVerfG Kammerbeschluss vom 27.6.2018 - 1 BvR 100/15 ua - NJW 2018, 3169) sei nicht angezeigt. Der Kläger sei durchgehend als Zahnarzt tätig gewesen und habe als solcher Beiträge gezahlt. Der berufliche Bezug sei nicht gelöst worden.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf und fähig ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (BSG Beschluss vom 17.4.2021 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).
Der Kläger wirft auf Seiten 2 und 4 seiner Beschwerdebegründung folgende Fragen auf:
"Wird eine von einem Versorgungswerk ausgezahlte Kapitalleistung auch bezüglich des Anteils verbeitragt, welcher auf Zahlungen des ursprünglich sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Beendigung des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses von diesem allein und zwar auch bezüglich des ursprünglich von dem Arbeitgeber gezahlten Anteils beruht?" und
"Besteht bei dem Erwirtschaften einer Kapitalleistung ein die Rechtsfrage der Verbeitragung betreffender, entscheidungserheblicher Sachverhaltsunterschied dergestalt, dass bei einer Kapitalleistung, welche erwirtschaftet ist durch Beiträge des Bezugsberechtigten an eine Pensionskasse, eine Verbeitragung durch die Krankenkasse nicht erfolgt, wohingegen bei einer Kapitalleistung, welche erwirtschaftet ist durch Beiträge des Bezugsberechtigten an ein Versorgungswerk, eine Verbeitragung erfolgt?"
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger mit der zweiten Frage nach einem entscheidungserheblichen Sachverhaltsunterschied überhaupt eine konkret formulierte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert und nicht vielmehr eine Tatsachenfrage, also eine solche der Subsumtion seines individuellen Falls unter die Voraussetzungen der einschlägigen Norm, gestellt hat. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).
Selbst wenn aufgrund der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit der Erhebung von Beiträgen auf eine Kapitalleistung des Altersversorgungswerks der Zahnärzte eine Rechtsfrage zur Vereinbarkeit von Bundesrecht mit höherrangigem Recht unterstellt wird, ist deren notwendige Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargetan.
Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist in der Beschwerdebegründung darzulegen, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Auch wenn eine Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich entschieden worden ist, so ist sie als geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6).
Für die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer verfassungsrechtlichen Frage gilt, dass sich die Begründung nicht auf eine bloße Berufung von Normen des GG beschränken darf, sondern unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG ausführen muss, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt. Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden (BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 12 KR 95/18 B - juris RdNr 5 mwN). Die Beschwerdebegründung darf sich im Fall einer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Frage nicht darauf beschränken, die Verfassungswidrigkeit zu behaupten und die als verletzt angesehene Norm des Grundgesetzes zu benennen (BSG Beschluss vom 30.4.2015 - B 10 EG 17/14 B - juris RdNr 5 mwN).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Das Vorbringen des Klägers erschöpft sich im Wesentlichen in dem Hinweis auf zwei Entscheidungen des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Beitragserhebung auf Leistungen aus Direktversicherungen (BVerfG Kammerbeschluss vom 28.9.2010 - 1 BvR 1660/08 - SozR 4-2500 § 229 Nr 11) und Pensionskassen (BVerfG Kammerbeschluss vom 27.6.2018 - 1 BvR 100/15 ua - SozR 4-2500 § 229 Nr 27) sowie der Behauptung, das BVerfG habe noch nicht über Kapitalleistungen von Altersversorgungswerken entschieden und in den vom LSG herangezogenen Urteilen des BSG sei nicht über die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen aus vom selbstständig Versicherten selbst finanzierten Beiträgen entschieden worden. Der Kläger setzt sich weder mit dem Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes und seiner Ausprägung durch das BVerfG, insbesondere in den beiden von ihm selbst zitierten Entscheidungen, auseinander. Noch hinterfragt er die Sachgründe für die unterschiedliche Behandlung von Leistungen aus Direktversicherungen und Pensionskassen in § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V auf der einen und Versorgungswerken in § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V auf der anderen Seite. Er untersucht nicht die in den zitierten Entscheidungen des BVerfG konkretisierten Voraussetzungen einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Lösung des beruflichen Bezugs. Das wäre aber schon deshalb angezeigt gewesen, weil das LSG gerade unter Bezugnahme auf diese beiden Beschlüsse des BVerfG wegen der fehlenden Lösung des beruflichen Bezugs eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung verneint hat.
Im Übrigen fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, auf die in der Berufungsentscheidung zT ausdrücklich Bezug genommen wird (zB BSG Urteil vom 10.10.2017 - B 12 KR 2/16 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 22; BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 13/18 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 25; BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 12 KR 2/19 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 28 RdNr 19 mwN; BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 R 6/14 R - SozR 4-2500 § 255 Nr 2). Die bloße Behauptung, die genannten, gerade selbstständig tätige Versicherte betreffenden Urteile seien nur zur Frage der Verfassungswidrigkeit der Doppelverbeitragung ergangen, genügt schon deshalb nicht, weil das LSG unter Angabe der konkreten Randnummern in den genannten Entscheidungen den fehlenden Grundsatz sozialversicherungsrechtlicher Beitragsfreiheit selbst finanzierter Beiträge zitiert hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Heinz U. Waßer Padé
Fundstellen
Dokument-Index HI15092159 |