Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 11.09.2020; Aktenzeichen S 223 KR 1616/16) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 31.03.2023; Aktenzeichen L 28 KR 379/20) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. März 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Feststellung der Beklagten, der Beigeladene zu 1. (im Folgenden: Beigeladener) habe in seiner Tätigkeit als Prokurist der klagenden GmbH seit 18.3.2010 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie in der gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) unterlegen.
Der Beigeladene war zunächst Geschäftsführer der von ihm 1998 gegründeten klagenden GmbH. Im März 2010 wurde er als Geschäftsführer abberufen. Vom Stammkapital in Höhe von 30 000 Euro entfielen auf ihn 9000 Euro und auf seinen Sohn als alleinigen Geschäftsführer 21 000 Euro. Dem Beigeladenen wurde Einzelprokura erteilt. Nach dem Anstellungsvertrag ist er berechtigt und verpflichtet, die Gesellschaft nach Maßgabe der Gesetze, des Gesellschaftsvertrags (GV) und einer etwaigen Geschäftsführungsordnung allein zu vertreten und die Geschäfte allein zu führen. Weisungen der Gesellschaftsversammlung sind grundsätzlich zu befolgen. Nach dem GV werden Gesellschafterbeschlüsse regelmäßig mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Nach einer Prüfung des versicherungsrechtlichen Status stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene aufgrund seiner Tätigkeit vom 18.3.2010 bis 30.9.2011 der Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen habe. Ab dem 1.10.2011 habe aufgrund dessen Altersrentenbezugs insoweit Versicherungsfreiheit bestanden; die Klägerin habe jedoch den Arbeitgeberanteil zu entrichten (Bescheid vom 6.3.2014). Ab 1.1.2013 unterliege er der Versicherungspflicht in der GKV und sPV (ergänzender Bescheid vom 1.7.2016; Widerspruchsbescheid vom 27.7.2016).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 11.9.2020). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Der Beigeladene habe als Prokurist und aufgrund seiner Beteiligung in Höhe von 30 vH des Stammkapitals nicht über eine die Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht verfügt. Dafür komme es nicht darauf an, ob tatsächlich Weisungen erteilt oder die Gesellschafterentscheidungen einvernehmlich getroffen worden seien. Ebenso wenig komme es darauf an, dass der Beigeladene "Kopf und Seele" der Klägerin gewesen sein möge. Eine Vergleichbarkeit des Beigeladenen mit einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer ergebe sich auch nicht aus sonstigen Umständen, insbesondere nicht wegen seiner Bürgschaft oder Darlehensgewährung zugunsten der Klägerin. Die Gewährung von Tantiemen genüge nicht, um eine Beschäftigung auszuschließen (Urteil vom 31.3.2023).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der mit der Beschwerdebegründung allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Nach Auffassung der Klägerin stellt sich folgende Frage:
"Findet die sogenannte 'Kopf- und Seele-Rechtsprechung' des Bundessozialgerichts in dem Mitgliedschafts- und Beitragsrecht der Sozialversicherung Anwendung, wenn der Firmengründer und Senior-Chef, zwar aus Altersgründen lediglich Minderheitsgesellschafter, jedoch weiterhin in dieser von ihm gegründeten - somit in eigenen - Firma Prokurist ist, mit der Folge, dass er selbstständig tätig ist."
Es sei davon auszugehen, dass diese Rechtsfrage bereits jetzt und auch zukünftig eine Vielzahl von weiteren ähnlichen Fällen betreffen werde. Das LSG habe in den Entscheidungsgründen jedoch ausschließlich auf das Vorliegen einer Sperrminorität abgestellt, welche der Beigeladene als Minderheitsgesellschafter nicht habe, und übersehe zudem, dass der Beigeladene nicht in einem fremden Unternehmen tätig sei. Der Sohn des Beigeladenen könne diesem bei Entscheidungen aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses und aufgrund der Tatsache, dass der Beigeladene Firmengründer sei, nichts entgegensetzen. Der Beigeladene trage auch das Unternehmerrisiko, wie sich an der Rückstellung der Tantiemen, der Darlehensgewährung und der Bürgschaftsübernahme zeige.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin damit eine hinreichend bestimmte, abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung oder Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert hat. Denn sie hat jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt. Eine Rechtsfrage ist dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der vom Beschwerdeführer als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN; s auch Beschluss vom 28.11.2018 - B 12 R 34/18 B - juris RdNr 6). Mit solcher Rechtsprechung hat sich eine Beschwerde auseinanderzusetzen. Die Klägerin hätte sich daher mit den für in einer GmbH angestellte Gesellschafter geltenden höchstrichterlichen Abgrenzungsmaßstäben (vgl zuletzt BSG Urteil vom 13.12.2022 - B 12 KR 16/20 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, juris RdNr 15 mwN) beschäftigen müssen. Danach ist ein GmbH-Gesellschafter, der in der Gesellschaft angestellt und - wie hier - nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, regelmäßig abhängig beschäftigt. Denn allein aufgrund der gesetzlichen Gesellschafterrechte besitzt er noch nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben. Zudem richtet sich die statusrechtliche Beurteilung selbst bei Geschäftsführern einer GmbH in erster Linie danach, ob der Geschäftsführer nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen (vgl zuletzt BSG Urteil vom 13.12.2022 - B 12 R 3/21 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, juris RdNr 12; BSG Urteil vom 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43, RdNr 14 f mwN; BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, RdNr 18). Schließlich hat der Senat geklärt, dass demgegenüber die sog "Kopf und Seele"-Rechtsprechung für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs 1 SGB IV nicht heranzuziehen ist, es also nicht darauf ankommt, ob der Geschäftsführer in der Gesellschaft rein faktisch schalten und walten kann (vgl BSG Urteil vom 8.7.2020 - B 12 R 2/19 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 52, RdNr 17 mwN).
Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin darlegen müssen, dass dieser Rechtsprechung keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihr formulierten Frage zu entnehmen seien. Allein die Behauptung, die konkret aufgeworfene Rechtsfrage sei noch nicht geklärt, entbindet nicht von der Verpflichtung, sich mit den bereits in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätzen substantiiert auseinanderzusetzen. Mit der Behauptung, das Urteil des LSG sei inhaltlich rechtsfehlerhaft, lässt sich die Zulassung der Revision nicht erreichen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18). Dass trotz umfangreich vorhandener höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Bedeutung gesellschaftsrechtlich eingeräumter Rechtsmacht im Sozialversicherungsrecht vorliegend weiterer Klärungsbedarf bestehe, hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Sie legt auch nicht substantiiert dar, dass sich völlig neue Gesichtspunkte ergeben hätten, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 23.6.2010 - B 12 KR 14/10 B - juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 16.7.2021 - B 12 KR 75/20 B - juris RdNr 9). Allein aufgrund der eigenen abweichenden Rechtsauffassung werden höchstrichterlich entschiedene Rechtsfragen nicht erneut klärungsbedürftig.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG. Sie entspricht der Festsetzung des LSG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16180456 |