Verfahrensgang
SG Trier (Entscheidung vom 21.09.2018; Aktenzeichen S 4 R 309/16) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 10.11.2021; Aktenzeichen L 6 R 305/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. November 2021 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb tätige Klägerin in der Zeit vom 1.1.1994 bis zum 30.5.2013 als nicht erwerbstätige Pflegeperson für die Pflege von vier Familienangehörigen in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig war.
Die Klägerin pflegte innerhalb des genannten Zeitraums vier Angehörige, die unterschiedlich lange Pflegegeld nach verschiedenen Pflegestufen bezogen haben. Rentenversicherungsbeiträge wurden jeweils nicht entrichtet. Seit 1.8.2015 erhält die Klägerin Regelaltersrente von der Beklagten und seit 1.3.2017 auch Regelaltersrente von der Landwirtschaftlichen Alterskasse. Den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen lehnte die Beklagte ab, weil in der fraglichen Zeit keine Rentenversicherungspflicht als nicht erwerbsmäßige Pflegeperson bestanden habe. Die Klägerin habe ihre Tante weniger als 14 Stunden wöchentlich gepflegt. Während der Pflege ihres Ehemannes, Schwiegervaters und ihrer Mutter sei sie regelmäßig mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig gewesen (Bescheid vom 24.5.2016; Widerspruchsbescheid vom 30.9.2016).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.9.2018). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Bezüglich der Tante sei schon die Mindestpflegezeit nicht erreicht. Davon abgesehen sei die Klägerin zur Überzeugung des Senats regelmäßig mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig gewesen. Dies ergebe sich aus den klägerischen Angaben und den Zeugenaussagen im Laufe des Verfahrens. Danach sei der Senat überzeugt, dass die Klägerin während der Pflegetätigkeiten mindestens 4,29 Stunden täglich in der Landwirtschaft tätig gewesen sei. § 3 Satz 3 SGB VI solle sicherstellen, dass die Vorteile der rentenversicherungsrechtlichen Absicherung von Pflegepersonen nur Personen zugutekämen, bei denen ansonsten Lücken im Versicherungsverlauf drohten. Saisonabhängige Schwankungen bei der landwirtschaftlichen Arbeit spielten insoweit genauso wenig eine Rolle wie die Vorschriften des Arbeitsschutzes. Die Beweislast hinsichtlich des Umfangs der Erwerbstätigkeit von mehr als 30 Stunden wöchentlich liege nicht bei der Beklagten. Es handele sich um ein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht entsprechend § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hinreichend dargelegt.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin stellt die Frage:
"Sind für die Beurteilung ob die 30 Wochenstundengrenze nach § 3 Satz 3 SGB VI überschritten ist geringere Beweisanforderungen anzustellen, wenn es sich bei der Pflegeperson um einen in der landwirtschaftlichen Alterskasse pflichtversicherten Landwirt handelt?"
Die Tätigkeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb sei nicht vergleichbar mit einem Arbeitsverhältnis eines Angestellten in einem Betrieb oder der selbstständigen Tätigkeit eines Handwerkers oder Handelstreibenden. Der Dienst dauere 24 Stunden, die tatsächliche Arbeitszeit sei jedoch variabel und hänge von nicht beeinflussbaren Umständen wie Witterung oder Vieh ab. In einem landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetrieb sei die Trennung zwischen Privat und Beruf in der erforderlichen Regelmäßigkeit ebenso wenig möglich wie die Bemessung eines durchschnittlichen Arbeitstages. Außerdem sei die Klägerin nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) wegen Überschreitens der Mindestgröße versicherungspflichtig. Diese Überschreitung würde auch vorliegen, wenn die Klägerin weniger als 30 Stunden wöchentlich arbeiten würde. Insoweit sei das SGB VI nicht kongruent mit dem ALG. Unterschiede bestünden auch hinsichtlich der Beitrags- und Leistungshöhe. Daher müsse für den nach dem ALG versicherten Landwirt der Nachweis für das Unterschreiten der Grenze von 30 Wochenstunden mit einem geringeren Beweismaßstab zu führen sein, welcher die Vermengung zwischen landwirtschaftlichem Betrieb und Privatleben berücksichtige sowie dem geringeren Beitrags- und Renteniveau gerecht werde. Rechtsprechung dazu sei nicht ersichtlich. Die Beantwortung der Rechtsfrage habe Relevanz für den Ausgang des Verfahrens, denn von der Auslegung des § 3 Satz 3 ALG hänge ab, ob die 30-Stunden-Grenze unterschritten sei. Die Rentenversicherungspflicht könne etwa durch die Feststellung erreicht werden, dass die 30-Stunden-Regel systemwidrig sei und daher nicht gelte oder indem für die Landwirtschaft die Anzahl an Arbeitsstunden mit einem Faktor unter 1 multipliziert werde, um der 24-Stunden-Bereitschaft, der Mitarbeit von Familienmitgliedern und Betriebshelfern gerecht zu werden.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin schon keine aus sich heraus verständliche abstraktgenerelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert hat, weil unklar bleibt, auf welche Art von Beweisanforderung sie sich bezieht. Insoweit ist jedenfalls die Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dargelegt. Denn die von ihr hierzu bezeichneten Beispiele der Außerachtlassung des 30-Stunden-Erfordernisses oder der verminderten Bewertung der ermittelten Anzahl an Arbeitsstunden bei landwirtschaftlicher Tätigkeit betreffen ersichtlich das materielle Recht und nicht "geringere Beweisanforderungen". Es ist nicht Aufgabe des Senats, zu untersuchen, ob sich aus den Darlegungen der Klägerin andere - materiell-rechtliche - Rechtsfragen bilden lassen würden.
Die Klägerin hat auch die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung nicht hinreichend aufgezeigt, weil sie auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Beweisanforderungen nicht eingeht. Allein die Behauptung, die konkrete Frage sei höchstrichterlich noch nicht entschieden, reicht hierfür nicht aus. Sie hat darüber hinaus auch zu prüfen, ob sich bereits auf Grundlage der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung des von ihr mit der Frage aufgeworfenen Problemkreises ergeben. Denn auch dann gilt eine Rechtsfrage als höchstrichterlich geklärt (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.4.2022 - B 9 V 43/21 B - juris RdNr 10).
Es fehlt aber an jeglicher Auseinandersetzung mit denjenigen Entscheidungen, in denen das BSG ausgeführt hat, welche Anforderungen grundsätzlich an die richterliche Überzeugungsbildung und an Beweiserleichterungen zu stellen sind (vgl zB BSG Urteil vom 18.4.2000 - B 2 U 7/99 R - juris RdNr 29; BSG Urteil vom 8.11.2005 - B 1 KR 18/04 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 19 ff; BSG Urteil vom 2.9.2004 - B 7 AL 88/03 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 5 RdNr 10 = juris RdNr 17). Insbesondere hat sich die Klägerin nicht damit beschäftigt, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts nur ausnahmsweise in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass ein Gericht schon aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem Geschehensablauf überzeugt sein kann. Von diesen Ausnahmefällen abgesehen sind typische Beweisschwierigkeiten im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Allgemeingültige Grundsätze zur Beweiserleichterung etwa für den Fall des Beweisnotstands würden dem in § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung widersprechen (BSG Urteil vom 7.9.2004 - B 2 U 25/03 R - juris RdNr 17 mwN).
Auf die fehlerhafte Beweiswürdigung im Einzelfall kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15766806 |