Entscheidungsstichwort (Thema)
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DU TRAVAIL DE BRUXELLES - BELGIEN. ZUSAMMENTREFFEN VON SOZIALLEISTUNGEN. AUSLEGUNG DER VERORDNUNG (EWG) NR. 1408/71. Invaliditätsversicherung. Berechnung der Leistungen. Selbständige Leistung. Begriff. Nach den gemeinschaftsrechtlichen Zusammenrechnungs- und Proratisierungsregeln berechnete Leistungen. Ausschluß. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Nationale Antikumulierungsvorschriften. Unanwendbarkeit auf Empfänger von gemäß den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 festgestellten Leistungen gleicher Art. Leistungen gleicher Art. Kriterien. Während eines begrenzten Zeitraums gewährte Entschädigung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Invaliditätsrente. Leistungen unterschiedlicher Art. Leistungen. Qualifizierung einer Leistung, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährt wird. Frage des nationalen Rechts
Leitsatz (amtlich)
1. Unter „selbständiger Leistung” ist eine gemäß Artikel 46 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 berechnete Leistung zu verstehen, also eine Leistung, deren Betrag allen allein nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats des zuständigen Trägers zu berücksichtigenden Versicherungs- oder Wohnzeiten entspricht, ohne daß Zeiten berücksichtigt werden, die der Betroffene nach auf ihn anwendbaren Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegt hat. Dies trifft nicht zu auf eine Leistung bei Invalidität, die in Anwendung des Systems der Zusammenrechnung der Versicherungszeiten und der Proratisierung der Leistungen berechnet wird.
2. Leistungen der sozialen Sicherheit sind als gleichartig im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 letzter Satz der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten, wenn ihr Sinn und Zweck sowie ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung identisch sind. Diese Anforderung ist nicht erfüllt bei einem Wanderarbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat Leistungen zum Ausgleich eines Einkommensausfalls, den er durch auf Erkrankung beruhende Arbeitsunfähigkeit erleidet, und in einem anderen Mitgliedstaat eine Invaliditätsleistung bezieht, die durch Zusammenrechnung der Versicherungszeiten und Proratisierung der Leistungen berechnet und durch einen Rentenzuschlag aufgestockt worden ist, durch den ihm der Betrag der nationalen Mindestrente garantiert werden soll. Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung steht daher der Anwendung einer Antikumulierungsvorschrift auf solche Leistungen nicht entgegen.
3. Die Qualifizierung einer in einem anderen Mitgliedstaat gewährten Leistung der sozialen Sicherheit hat im Hinblick auf die Antikumulierungsvorschriften eines Mitgliedstaats nach dem anwendbaren innerstaatlichen Recht unter Berücksichtigung der Normen des Kollisionsrechts zu erfolgen, da die Gemeinschaftsvorschriften nicht einschlägig sind.
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 46 Abs. 1, Art. 12 Abs. 2
Beteiligte
Union Nationale des Mutualités Socialistes |
Tenor
1) Eine Leistung bei Invalidität wie die italienische Invaliditätsrente ist keine selbständige Leistung im Sinne von Artikel 46 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, wenn sie in Anwendung des Systems der Zusammenrechnung der Versicherungszeiten und der Proratisierung der Leistungen berechnet wird.
2) Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 steht der Anwendung einer nationalen Antikumulierungsvorschrift auf einen Wanderarbeitnehmer nicht entgegen, der in einem Mitgliedstaat Leistungen zum Ausgleich eines Einkommensausfalls, den er durch auf Erkrankung beruhende Arbeitsunfähigkeit erleidet, und in einem anderen Mitgliedstaat eine Invaliditätsleistung bezieht, die durch Zusammenrechnung der Versicherungszeiten und Proratisierung der Leistungen berechnet und durch einen Rentenzuschlag aufgestockt worden ist, durch den ihm der Betrag der nationalen Mindestrente garantiert werden soll.
3) Bei der Anwendung der nationalen Antikumulierungsvorschriften hat das vorlegende Gericht, da die Gemeinschaftsvorschriften nicht einschlägig sind, die genannten Leistungen nach dem anwendbaren innerstaatlichen Recht unter Berücksichtigung der Normen des Kollisionsrechts zu qualifizieren.
Gründe
1 Das Tribunal du travail Brüssel hat mit Urteil vom 17. Juni 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juni 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Union nationale des mutualités socialistes und dem italienischen Staatsangehörigen Aldo Del Grosso (im folgenden: Beklagter).
3 Der Beklagte war von 1938 bis 1946 in Italien bes...