Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehinderung
Leitsatz (amtlich)
Ein geringfügiges Überschreiten der nach der neueren Rechtsprechung des BAG nunmehr geltenden Regelfrist von drei Wochen für die Berufung auf die bestehende Schwerbehinderteneigenschaft nach Zugang einer Kündigung (hier: um drei Kalendertage) kann nach den Umständen des Einzelfalls unschädlich sein (hier: geringerer Vertrauensschutz der Arbeitgeberin aufgrund bereits länger bestehender und auf einen Arbeitsunfall zurückzuführenden Erkrankung/Arbeitsunfähigkeit u. a.).
Normenkette
SGB IX § 85; BGB § 134
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 25.09.2008; Aktenzeichen 32 Ca 8718/08) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 25. September 2008 – 32 Ca 8718/08 – in den Ziffern 1. und 2. abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 17.06.2008 nicht aufgelöst worden ist.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Kehrmaschinenfahrer weiterzubeschäftigen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 2.400,00 (i. W.: zweitausendvierhundert) EUR brutto nebst jeweils Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 1.040,00 EUR brutto für den Zeitraum vom 01.06.2008 bis 30.06.2008 und aus einem Betrag von 2.400,00 EUR brutto ab 01.07.2008 zu bezahlen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht die Rechtsunwirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung der Beklagten wegen seines bestehenden Schwerbehindertenstatus und Ansprüche auf Weiterbeschäftigung sowie auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geltend.
Der – nach den vorliegenden Unterlagen: am 00.00.1949 geborene – Kläger war bei der Beklagten auf der Grundlage eines mündlichen Arbeitsvertrages ab 01.11.2006 als „Kehrmaschinenfahrer” mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden und einer Vergütung von 10,– EUR brutto/Stunde beschäftigt. Die Beklagte erbringt nach dem Vorbringen ihres Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren infrastrukturelle Gebäudedienstleistungen insbesondere im Auftrag der Landeshauptstadt München und privater Auftraggeber (Winterdienst, Straßenreinigung, Gartenpflege u. ä.), wobei sie nach ihrer Einlassung außerhalb des Winters weiter 13/14 – zwischen acht und 30 – Arbeitnehmer ausschließlich als Vollzeitbeschäftigte beschäftige. Der Kläger ist schwerbehinderter Mensch („Schwerbehindertenausweis” vom 14.04.2004, ausweisend einen GdB von 50, Bl. 20 d. A.). Eine Beteiligung des zuständigen Integrationsamtes vor Ausspruch dieser Kündigung war nicht erfolgt.
Der Kläger hatte im/Anfang Oktober 2007 einen Arbeitsunfall erlitten, aufgrund dessen er durchgängig bis Anfang Mai 2008 arbeitsunfähig krank geschrieben war. Mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der – vom Berufungsgericht als sachverständige Zeugin vernommenen – Ärztin Dr. A. P. (Anl. K4/5 Bl. 9/10 d. A.) wurde der Kläger ab 10.05.2008 erneut bzw. weiter arbeitsunfähig krank geschrieben. Die Beklagte ließ das Arbeitsverhältnis mit Anwaltsschreiben vom 17.06.2008 (Anl. K2, Bl. 6 d. A.), dem Kläger unwiderlegt zugegangen am 18.06.2008, „zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist” kündigen.
Mit Klageschriftsatz seiner anwaltschaftlichen Vertreter vom 03.07.2008, der der Beklagten am 12.07.2008 zugestellt wurde, erhob der Kläger Feststellungsklage gegen die Kündigung der Beklagten vom 17.06.2008, auch unter Berufung auf seinen Schwerbehindertenstatus, und machte gleichzeitig Ansprüche auf Weiterbeschäftigung sowie auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab 10.05.2008 für einen Zeitraum von sechs Wochen geltend.
Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen und des streitigen Vorbringens sowie der Anträge der Parteien im Ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Arbeitsgerichts München vom 25.09.2008, das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 03.11.2008 zugestellt wurde, Bezug genommen, mit dem dieses die Klage in vollem Umfang mit der Begründung abgewiesen hat, dass die Kündigung der Beklagten vom 17.06.2008 nicht mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam sei, da der Erhalt des Sonderkündigungsschutzes des Schwerbehinderten nach § 85 SGB IX voraussetze, dass dieser dies dem Arbeitgeber innerhalb einer Regelfrist von – nach der nunmehrigen Rechtsprechung des BAG – drei Wochen ab Zugang der Kündigung mitteile, sofern der Arbeitgeber hiervon nicht ohnehin Kenntnis gehabt habe. Letzteres scheide aus. Die Ausführungen bzw. Andeutungen des Klägers, dass die Beklagte von der Agentur für Arbeit in Kenntnis gesetzt bzw. der Beklagten seine Schwerbehinderung auf jeden Fall bekannt gewesen und offen gelegt worden sei, seien unsubstantiiert und spekulativ, ebenso, dass ihm jeweils der Schwerbehindert...