Wolfgang Arens, Jürgen Brand
Rz. 510
Der 2. Senat des BAG hat sich mit der Frage, ob die mit § 1 Abs. 5 KSchG zugunsten des Arbeitgebers eingeführten prozessualen Erleichterungen auch dann ihre Berechtigung haben, wenn es neben den auf der Namensliste genannten Mitarbeitern auch noch weitere Arbeitnehmer gibt (sog. Teil-Namensliste), denen gekündigt werden soll, noch nicht abschließend befasst. Die Entscheidung vom 22.1.2004 betraf den Fall eines zeitlich gestaffelten Personalabbaus, wobei die Betriebspartner jeweils im Hinblick auf die einzelnen Entlassungsstufen eine vollständige Namensliste aufstellen wollten und der gekündigte Arbeitnehmer allein durch den Teil des Interessenausgleichs betroffen war, für den die Betriebspartner bereits eine entsprechende Liste erstellt hatten. In einem solchen Fall bietet die Namensliste nach der Auffassung des 2. Senats grundsätzlich deshalb eine ausreichende Vermutungsbasis i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG, weil die Vermutungswirkung der Namensliste, auf der der betreffende Arbeitnehmer aufgeführt ist, nicht durch zeitlich nachfolgende Personalabbaumaßnahmen beeinträchtigt wird. Ob eine Namensliste auch im Fall einer derartigen Teileinigung der Betriebspartner zum Eingreifen der Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG führen kann, hat der 2. Senat in seiner Entscheidung vom 22.1.2004 ausdrücklich dahinstehen lassen.
Rz. 511
§ 1 Abs. 5 S. 1 KSchG setzt voraus, dass "die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll", in einem aufgrund einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG geschlossenen Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Dies legt nahe, dass der Gesetzgeber für den Normalfall davon ausging, dass sich die Betriebsparteien über alle Personen verständigen würden, deren Arbeitsverhältnis beendet werden soll. Da der Wortlaut des Gesetzes eine zwar unvollständige, aber gleichwohl endgültige Benennung von zu kündigenden Arbeitnehmern in einer Namensliste als Vermutungsbasis aber auch nicht eindeutig ausschließt, kann die Frage, ob eine "Teil-Namensliste" als ausreichende Vermutungsgrundlage dienen kann, nur nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes beurteilt werden.
Rz. 512
Der Zweck der Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG besteht vor allem darin, bei betriebsbedingten Kündigungen einer größeren Zahl von Arbeitnehmern die Sozialauswahl für alle Beteiligten rechtssicherer zu gestalten. Mit Blick auf dieses Bedürfnis hielt es der Gesetzgeber für angezeigt, dass die Gerichte für Arbeitssachen die Sachnähe der Betriebsparteien in gewissem Umfang anerkennen, und hat den von ihnen getroffenen Einzelfallentscheidungen die Vermutung der Richtigkeit zugebilligt. Hiervon ausgehend wird in der Literatur vielfach die Auffassung vertreten, der Gesetzeszweck, die Berechenbarkeit von Kündigungen bei Betriebsänderungen zu erhöhen, könne ohne Weiteres auch im Fall einer erfolgten endgültigen Verständigung der Betriebspartner auf eine sog. "Teil-Namensliste" erreicht werden. Den Betriebsparteien sei auf der Grundlage von § 1 Abs. 5 KSchG die Möglichkeit eingeräumt, die einzelnen Arbeitnehmer, denen aufgrund der Betriebsänderung zu kündigen ist, zu ermitteln und in der Namensliste aufzuführen. Bilde aber die Namensliste nur die Summe der getroffenen Einzelfallentscheidungen ab, werde deren Richtigkeitsvermutung nicht dadurch zerstört, dass andere Auswahlentscheidungen nicht hätten einvernehmlich getroffen werden können. Zwar bedeute die Anerkennung einer "Teil-Namensliste", dass der Arbeitgeber im Rahmen einer Betriebsänderung mit einer "Teilliste" zwei Gruppen von Mitarbeitern zu kündigen habe, die in ihren Kündigungsschutzverfahren prozessual unterschiedliche Anforderungen zu bewältigen hätten. Die Privilegierung der außerhalb der Liste befindlichen Arbeitnehmer sei jedoch hinzunehmen, da es in Bezug auf diese Arbeitnehmergruppe keine Einigung der Betriebsparteien gebe, die der Gesetzgeber zum Anlass prozessualer Erleichterungen für den Arbeitgeber habe nehmen können.
Rz. 513
Dem wird entgegengehalten, Grundlage der Namensliste sei eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG, der regelmäßig ein geschlossenes unternehmerisches Konzept zugrunde liege. Aus diesem ergebe sich die (zunächst abstrakte) Zahl erforderlicher betriebsbedingter Kündigungen. Die Namensliste eines Interessenausgleichs stelle die konkrete Umsetzung dieses unternehmerischen Konzepts dar. Sie müsse deshalb, um in sich schlüssig zu sein, das unternehmerische Konzept vollständig erfassen und umsetzen. Eine Ausnahme sei nur in Fällen anzuerkennen, in denen sich die "Teil-Namensliste" auf ein in sich geschlossenes unternehmerisches Konzept beziehe.
Rz. 514
Für die letztgenannte Auffassung spricht im Grundsatz, dass die auf der namentlichen Benennung des Arbeitnehmers im Interessenausgleich beruhende Vermutungswirkung hinsichtlich der Betriebsbedingtheit der Kündigung an die Betriebsänderung als Kündigungsgrund anknüpft und – wie sich auch aus § 1 Abs. 5 S. 3 KSchG ergibt – deren tatsächliche Durchführung...