Dr. iur. Stephanie Herzog, Matthias Pruns
Rz. 14
Bevor wir uns den einzelnen rechtlichen Fragen zuwenden, gilt es, den Begriff "digitaler Nachlass" näher zu beleuchten und einige erbrechtliche Grundlagen als Ausgangspunkte unserer Überlegungen festzuhalten.
Rz. 15
Manch ein mit der Diskussion vertrauter Leser wird sich ggf. fragen, wie wir den Begriff "digitaler Nachlass" definieren. Tatsächlich existieren verschiedene Versuche einer Definition. So definiert der DAV den digitalen Nachlass in seiner Stellungnahem von 2013 als
Zitat
"die Gesamtheit des digitalen Vermögens, also Urheberrechte, Rechte an Websites, Domains sowie sämtliche Vertragsbeziehungen zwischen Providern und dem Erblasser hinsichtlich der Nutzung des Internets selbst, aber auch hinsichtlich diverser Internetangebote (…) und damit auch die Gesamtheit aller Accounts und Daten des Erblassers im Internet."
Deusch fasst es etwas kürzer und spricht in Anlehnung an das BVerfG von der
Zitat
"Gesamtheit der Rechtsverhältnisse des Erblassers betreffend informationstechnische Systeme einschließlich des gesamten elektronischen Datenbestands des Erblassers."
Rz. 16
Teilweise wird sogar versucht, dem Begriff mit den juristischen Auslegungsmethoden beizukommen. Der Nutzen einer solchen Definition ist allerdings mehr als fragwürdig, da es sich beim digitalen Nachlass gerade nicht um einen Rechtsbegriff handelt. Vielmehr handelt es sich nur um einen Sammelbegriff, hinter dem sich eine ganze Reihe von größtenteils noch ungeklärten Fragestellungen verbergen, die aus der zunehmenden Digitalisierung des Lebens resultieren.
Rz. 17
Je mehr die Diskussion fortschreitet, umso mehr zeigt sich, was eigentlich offensichtlich ist: Die zu klärenden Fragen rund um eine "digitale asset protection" entstehen nicht erst mit dem Todesfall. Schon lebzeitig müssen – wie auch schon bisher – Vorkehrungen etwa für den Fall der Geschäftsunfähigkeit getroffen werden (eingehend dazu § 10 Rdn 19). Es geht also letztlich nicht nur um den "digitalen Nachlass", sondern auch schon lebzeitig um das "digitale Vermögen". Aber auch dieser Begriff greift letztlich zu kurz, wenn man sich dabei bspw. nicht vor Augen führt, dass das juristische Vermögen nicht immer einen (wirtschaftlichen) Vermögenswert haben muss.
Rz. 18
Da sich der Begriff des "digitalen Nachlasses" als Schlag- und Stichwort in der Diskussion und nicht zuletzt auch in Suchmaschinen eingebürgert hat, haben wir uns entschieden, bei ihm zu bleiben. Dem Leser muss aber bewusst sein, dass wir darunter (Vermögens-)Vorsorge ebenso wie Planung und Abwicklung des Nachlasses in Bezug auf die gesamten digitalen Aktivitäten und Lebensbereiche einer Person verstehen.
Rz. 19
Wir verzichten aber ganz bewusst darauf, den digitalen Nachlass mittels einer Definition "festzuzurren". Deren Findung ist nicht nur schwierig, sondern auch überflüssig und kann sogar in die Irre führen:
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Zum einen leiden alle Definitionsversuche unter demselben Mangel. Sie können zwar die rechtlichen Fragestellungen mehr oder weniger umreißen, tragen aber zur Lösung der sich uns stellenden rechtlichen Probleme nichts bei. |
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Zum anderen handelt es sich beim digitalen Nachlass in rechtlicher Hinsicht um eine Vielzahl unterschiedlichster Rechtspositionen, die betroffen sein können, bspw. dingliche Rechte an Hardware, Vertragsbeziehungen zu Anbietern (z.B. E-Mail-Dienste, Streamingdienste, Verkaufsplattformen oder soziale Netzwerke), bis hin zu Urheber- und sonstigen (Immaterialgüter-)Rechten. |
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Schließlich würde eine Definition des digitalen Nachlasses suggerieren, dass es einen digitalen und einen sonstigen Nachlass gibt. Das widerspräche aber dem Grundsatz der Universalsukzession nach § 1922 BGB. Einen "beschränkten digitalen Nachlass" gibt es nicht. Damit ist es nicht zulässig, zwischen dem "digitalen" und dem "sonstigen" Nachlass rechtlich zu unterscheiden. Erbrechtlich besteht stets nur ein einziger Nachlass, der sich aus verschiedenen Aktiva und Passiva zusammensetzt. |
Rz. 20
Wenn hier von "realer Welt", "offline-Welt", "analoger Welt" oder Ähnlichem gesprochen wird, so geschieht dies nur, um die beiden Bereiche einander vergleichend gegenüberzustellen und keinesfalls um anzudeuten, es existierten zwei "Spaltnachlässe", die ein jeweils unterschiedliches rechtliches Schicksal hätten.