Rz. 114
Nach § 8 Abs. 1 S. 1 VVG kann jeder Versicherungsnehmer also nicht nur der Verbraucher, eine Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen widerrufen. Bei Lebensversicherungsverträgen beträgt die Widerrufsfrist 30 Tage (§ 152 Abs. 1 VVG).
Der Widerruf ist auch dann möglich, wenn der Vertrag gekündigt wurde und eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht nicht erfolgt ist.
1. Widerrufserklärung
Rz. 115
Die Widerrufserklärung muss in Textform (§ 126 BGB) erfolgen. Eine Begründung ist nicht erforderlich; zur Fristwahrung genügt rechtzeitige Absendung (§ 8 Abs. 1 S. 2 VVG).
2. Frist
Rz. 116
Die Widerrufsfrist von zwei Wochen beginnt gem. § 8 Abs. 2 VVG erst nach Erhalt der folgenden Unterlagen in Textform:
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Versicherungsschein, |
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AVB sowie die Informationen gem. § 7 Abs. 1 S. 1 VVG, |
▪ |
deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht und seine Rechtsfolgen. |
3. Beweislast
Rz. 117
Der Versicherer trägt die Beweislast für den Zugang der in § 8 Abs. 2 S. 1 VVG bezeichneten Vertragsunterlagen (§ 8 Abs. 2 S. 3 VVG). Wenn die Unterlagen gem. § 8 Abs. 2 VVG nicht oder nicht vollständig übersandt werden, kann der Versicherungsnehmer jederzeit, auch nach Ablauf von mehreren Jahren, den Vertrag widerrufen. Insoweit besteht ein "ewiges Widerrufsrecht".
Der Versicherer muss beweisen, dass der Widerruf außerhalb der Zwei-Wochen-Frist erfolgt ist.
4. Rechtsfolgen des Widerrufs (§ 9 VVG)
Rz. 118
§ 9 VVG ist lex specialis zu den §§ 346 ff. BGB, so dass auf diese Vorschriften zurückzugreifen ist, soweit eine Sonderregelung in § 9 VVG nicht erfolgt ist. Bis zum Ablauf der Widerrufsfrist ist der Vertrag auflösend bedingt wirksam. Bei ordnungsgemäßer Belehrung hat der Versicherer nur den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämie zu erstatten (§ 9 S. 1 VVG). Bei fehlender oder nicht ordnungsgemäßer Belehrung muss der Versicherer zusätzlich die für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Prämien erstatten (§ 9 S. 2 VVG).
Bei Ausübung des Widerrufsrechts gilt der Vertrag als nicht geschlossen, es gibt keine beiderseitigen Rechte. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß belehrt worden und zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt (vorläufige Deckungszusage).
Rz. 119
Bei der Lebensversicherung kann der Versicherungsnehmer gem. § 152 Abs. 2 S. 1 VVG den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile verlangen.
Tritt vor Ablauf der Widerrufsfrist der Versicherungsfall ein, hat der Versicherungsnehmer einen vollen Leistungsanspruch und kann die empfangenen Leistungen auch im Falle des Widerrufs behalten. Voraussetzung ist jedoch, dass der Versicherungsfall in dem Zeitraum eingetreten ist, für den der Versicherer die gezahlte Prämie erhalten oder die Nachzahlung der noch ausstehenden Prämie verlangen darf.