Dr. Gudrun Doering-Striening
I. Das Beihilferecht der Beamten und die privaten Pflegezusatzversicherungen
Rz. 12
Fallbeispiel 1: Die beschenkte Tochter
Die alleinstehende Tochter T hat vor acht Jahren von ihrem Vater die in seinem Alleineigentum stehende Immobilie im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen bekommen, "damit ein eventueller Zugriff des Sozialhilfeträgers in der Zukunft vermieden werden kann". Der Vater hat sich an der gesamten Immobilie ein lebenslanges Nießbrauchrecht vorbehalten. Der Tochter hat er bereits vor Jahren die im Haus befindliche 80 qm große Einliegerwohnung kostenlos überlassen. Er und seine Ehefrau bewohnen die 100 qm große Wohnung im Erdgeschoss.
Die Heimpflegebedürftigkeit der Mutter droht. Der Vater will die Immobilie auf jeden Fall weiter mit seiner Tochter bewohnen. Vater und Tochter geben bei der anwaltlichen Beratung zu ihrer Lebenssituation Folgendes an:
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Der Vater bezieht eine Pension von 2.684 EUR. Er ist nicht pflegebedürftig. |
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Die Mutter – Pflegegrad 3 – verfügt nicht über eigene Einkünfte. |
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Die Tochter verfügt über ein bereinigtes Nettoeinkommen von 5.000 EUR. |
Vater und Tochter möchten wissen, ob und wenn ja, aus welchen Gründen jetzt der Sozialhilferegress droht, den man ja eigentlich mit der Übertragung der Immobilie hatte vermeiden wollen, und ob man jetzt noch etwas tun kann. Der in Aussicht genommene Heimplatz kostet 3.800 EUR monatlich.
Rz. 13
Das Beratungs- und Gestaltungsinteresse von Bürgern richtet sich häufig darauf, den Kindern das Vermögen oder Teile davon bereits lebzeitig zuzuwenden, um so den "Zugriff" des Sozialhilfeträgers ("Sozialhilfe"-Regress) zu verhindern. Die Beteiligten im Fall 1 haben die Vorstellung, dass wegen der drohenden Heimkosten der pflegebedürftigen Mutter schon bald Sozialhilfe (SGB XII) beantragt werden muss, weil nach ihrer Vorstellung die liquiden Mittel der Eltern für die Deckung des nunmehr pflegebedingt erhöhten Bedarfs beider Ehegatten zusammen nicht ausreichen.
Rz. 14
Heimkosten setzen sich aus mehreren Elementen zusammen. Im Wesentlichen sind drei Elemente prägend:
Den höchsten Anteil haben die Pflegekosten. Die Investitionskosten schlagen dagegen je nach Zustand des Heims mit dem geringsten Betrag zu Buche.
Rz. 15
Die gesetzlich für alle Bürger vorgeschriebene Pflegeversicherung zahlt nur für die reinen Pflegekosten Sie ist nur eine "Teilkasko"-Versicherung, so dass in der Beratungspraxis bei Fällen von drohender stationärer Aufnahme häufig folgende Fragen gestellt werden:
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Welcher Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens wird von dem Pflegebedürftigen/Behinderten und/oder seinem Ehegatten/Lebenspartner verlangt, bevor man überhaupt Sozialhilfe bekommt? |
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Was bleibt dem Daheimgebliebenen in einem solchen Fall von seinem Einkommen? |
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Was bleibt vom Vermögen – vom eigenen und von dem des Ehegatten/Lebenspartners? Kommt es auf den gewählten Güterstand für die Verwertungspflicht beim Vermögen an? |
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Kann der Daheimgebliebene in der Immobilie verbleiben? Ist die Immobilie allgemein/speziell Schonvermögen, ggf. über den Tod hinaus? Oder muss die Immobilie veräußert werden, um die Heimkosten zu bezahlen? |
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Welche Rechtsfolgen können sich aus lebzeitigen Zuwendungen ergeben, die man in der Hoffnung, den "Zugriff" des Sozialhilfeträgers zu vermeiden, bereits in der Vergangenheit getätigt hat? Muss man einen Schenkungsrückforderungsanspruch geltend machen und/oder kommen evtl. andere Ansprüche, hier z.B. aus dem Nießbrauch, vorrangig in Betracht? |
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Kommt ein Elternunterhaltsanspruch in Betracht und droht der Tochter Sozialhilferegress, weil ihr Gesamteinkommen deutlich oberhalb der 100.000 EUR-Grenze des § 94 Abs. 1a SGB XII liegt ("Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches beträgt jeweils mehr als 100.000 EUR (Jahreseinkommensgrenze).")? |
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Gibt es Gestaltungen, mit denen man einen "Zugriff" auf eigenes Einkommen und/oder Vermögen vermeiden kann? |
Rz. 16
Eine Antwort auf diese Fragen lässt sich sinnvoll nur dann geben, wenn man in jedem Fall zunächst die Versorgungssituation derjenigen abklärt, denen evtl. droht, dass
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eigenes Einkommen und/oder Vermögen vorrangig zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden muss (wie hier im Fall 1) oder |
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Zuflüsse aus Erbfall und Abflüsse aus Schenkung Einfluss auf den Bezug von Sozialleistungen haben. |
Rz. 17
Die Beratung muss bei der Frage nach den Einkünften bei oder wegen Pflegebedürftigkeit beginnen, denn nicht jeder Fall eines pflegebedürftigen Angehörigen ist ein "Sozialhilfe"-Regressfall und nicht jede Zuwendung mit dem Motiv "Vermeidung von Sozialhilferegress" ist notwendig oder gar sinnvoll. Das zeigt das Fallbeispiel 1.
1. Pflegebedürftigkeit und das Beihilferecht der Beamten
Rz. 18
Die Besonderheit des Fallbeispiels 1 besteht darin, dass der Ehemann der Pflegebedürftigen ein pensionierter Beamter ist. Beamte unterfallen nicht den allg...